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Von Colbert bis Don Corleone
Was der US-Präsident als Zölle ausgibt, sind nichts anderes als Erpressungsgelder
Donald Trump nennt sie »gegenseitige Zölle«, aber dieser Begriff trifft die Idee hinter Trumps Handelskrieg nicht im Entferntesten. Im Italienischen gibt es dafür einen hervorragend passenden Begriff: »Estratto«, abgeleitet vom spätlateinischen »strappare con la forza« (»mit Gewalt entreißen«). Auch im Englischen klingt er wie: Erpressung. Und das wird auf beiden Seiten des Atlantiks verstanden.
Die linke Medienlandschaft in Europa ist nicht groß, aber es gibt sie: ob nun die französische »L’Humanité« oder die schweizerische »Wochenzeitung« (WOZ), ob »Il Manifesto« aus Italien, die luxemburgische »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek«, die finnische »Kansan Uutiset« oder »Naše Pravda« aus Prag. Sie alle beleuchten internationale und nationale Entwicklungen aus einer progressiven Sicht. Mit einer Reihe dieser Medien arbeitet »nd« bereits seit Längerem zusammen – inhaltlich zum Beispiel bei unserem internationalen Jahresrückblick oder der Übernahme von Reportagen und Interviews, technisch bei der Entwicklung unserer Digital-App.
Mit der Kolumne »Die Internationale« gehen wir einen Schritt weiter in dieser Kooperation und veröffentlichen immer freitags in unserer App nd.Digital einen Kommentar aus unseren Partnermedien, der aktuelle Themen unter die Lupe nimmt. Das können Ereignisse aus den jeweiligen Ländern sein wie auch Fragen der »großen Weltpolitik«. Alle Texte unter dasnd.de/international.
Die Drohbriefe, die das Weiße Haus verschickt und in denen es detailliert darlegt, was Washington von jedem Land verlangt, hätten eigentlich auch so verfasst werden können, wie man es aus Kriminalfilmen kennt: aus Zeitungen ausgeschnittene Überschriften, auf einen Erpresserbrief geklebt, mit Verweis darauf, in welcher abgelegenen Telefonzelle die unregistrierten Banknoten hinterlegt werden sollen. Nur: Telefonzellen gibt es nicht mehr, deshalb wird heute wohl kaum noch so verfahren.
Die kommunistische Tageszeitung »Il Manifesto« ist bis heute ein wichtiger Bezugspunkt für die italienische Linke. Als eine der ersten Genossenschaft im Medienbereich organisiert, ist die Zeitung unabhängig von Parteien oder Verlegern. Die aktuelle verkaufte Auflage der Tageszeitung liegt heute bei etwa 15 000 Exemplaren.
Il manifesto entstand 1971 als politisches Projekt, begleitete die Arbeitskämpfe des »roten Jahrzehnts« beim Autokonzern Fiat sowie bei anderen Unternehmen und war getragen von der Welle der 68er-Bewegung, die in Italien besonders heftige gesellschaftliche Umbrüche auslöste.
Anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung vom Nazifaschismus rief die Zeitung auch in diesem Jahr wieder zu einer großen Demonstration am 25. April in Mailand auf. Rund 100 000 Menschen kamen zusammen und setzten ein Zeichen gegen die extreme Rechte in Italien und Europa.
Trotzdem funktioniert das Erpressungsinstrument an sich noch immer hervorragend. Es wurde bereits erfolgreich eingesetzt, als billiges russisches Gas durch viermal teureres US-amerikanisches Flüssiggas ersetzt wurde – weil ein Land die Ukraine bombardierte, während das andere den Iran angriff. Auch das wird die Beziehungen zwischen echten Demokratien verändern.
Die fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die bald für Waffen ausgegeben werden (laut Nato-Beschluss vom Juni – d. Red.), sind »technisch« gesehen dagegen keine Erpressung, sondern eher ein Schutzgeld. Hier bei uns in Italien kennen wir den Unterschied zwischen beiden. Die fünf Prozent sind kein Geld im Austausch für nichts, sondern Geld im Austausch für Schutz, den der Stärkere dem Schwächeren gegen jede Bedrohung gewährt – vor allem natürlich gegen die Bedrohung durch diejenigen selbst, die das Schutzgeld verlangen.
Schutz- und Erpressungsgelder zeigen, wie die US-Präsidentschaft die Lehren Thukydides’ über die Starken und Schwachen auf der Halbinsel Peloponnes, Charles Darwins über das Überleben des Stärkeren auf den Galapagosinseln, Jean-Baptiste Colberts Ideen über den Reichtum der Nationen und die von Don Vito Corleone über die Bereicherung der Familie hervorragend gelernt und neu interpretiert hat. Wobei das maßgebliche Vorbild sicherlich Letzterer ist …
Die gesamte Architektur des von Trump entfesselten globalen Handelskrieges basiert darauf, die geforderten Abgaben als Zölle zu bezeichnen – was sie eigentlich nicht sind. Und darauf, dass dieser semantische Schwindel den Anschein von Legitimität erweckt. Schließlich geht es um Strukturen, die die Beziehungen zwischen Staaten prägen, und nicht um jene zwischen Gangstern oder vielmehr zwischen einem Gangster und seiner Beute.
Trump handelt so, weil er so handeln kann. Weil er das reichste und am stärksten bewaffnete Land der Welt führt. Weil er niemanden auf seinem Niveau vor sich hat. Nicht die Europäische Union, die der wahre Wirtschaftsriese wäre, es aber nur zu einem politischen Zwerg geschafft hat. Nicht die Schwellenländer der Brics-Staaten, die politisch fast nicht existieren, obwohl es immer schwieriger wird, die Hälfte der Weltbevölkerung und 40 Prozent des weltweiten BIP zu ignorieren.
In Europa heißt es heute, ein Zoll von 10 Prozent auf die Ausfuhren in die USA sei fair oder akzeptabel. Als ob ein Räuber 10 Prozent unseres Geldbeutels verlangen könnte und wir ihm dafür auch noch dankbar wären, dass er uns nicht den Finger mit dem Ring abschneidet. Was wir derzeit zwischen den USA und dem Rest der Welt sehen, ist eine mittelalterliche Beziehung zwischen Staaten oder Staatengruppen, die wir mit dem Westfälischen Frieden und der Anerkennung der Nationalstaaten begraben glaubten. Das war im Jahr 1648.
Dieser Text ist am 8. Juli in unserem Partnermedium »Il Manifesto« erschienen. Der mit KI-Programmen übersetzte Beitrag wurde nachbearbeitet und gekürzt.
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