Gefahren für das dritte Geschlecht

Der Vormarsch islamistischer Parteien bedroht queere Menschen in Bangladesch

  • Felix Lill, Dhaka
  • Lesedauer: 8 Min.
Bei einer Kundgebung zur Unterstützung von transgender Personen in der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka fordern die Teilnehmer mehr Anerkennung für Hijra.
Bei einer Kundgebung zur Unterstützung von transgender Personen in der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka fordern die Teilnehmer mehr Anerkennung für Hijra.

Wer in den Straßen von Dhaka oder anderen größeren Städten Bangladeschs einmal im Stau steht, begegnet immer wieder diesem Bild: Personen, die männliche Körper haben und weibliche Kleidung tragen, nähern sich den stehenden Autos an, halten die Hand auf, bitten um Geld. Nicht alle, aber doch einige Fahrerinnen reichen ein paar Münzen oder Scheine rüber. Dann bedanken sich die Bittsteller und gehen zum nächsten Auto.

Hijra nennen sich diese Personen, die man in westlichen Gesellschaften als trans Frauen bezeichnen würde. 11 000 von ihnen gibt es offiziellen Schätzungen zufolge in Bangladesch. »Ich komme aus dem Großraum Dhaka«, sagt die 29-jährige Tania, die sich täglich ihren Lebensunterhalt im Stau verdient. »Wie viele von uns lebe ich mit fünf anderen Hijra in einer Wohngemeinschaft.« Da werde alles geteilt. »Wir leben von der Hand in den Mund, alles von der Straße. Wir sind es gewohnt, mit wenig auszukommen.«

Wer sich als Hijra outet – sich also weiblich identifiziert, obwohl der Körper männliche Merkmale aufweist –, wird zwar auch heute häufig von seiner Familie verstoßen. Vom regulären Arbeitsmarkt sind die Hijra meist ausgeschlossen – schon wegen ihres Erscheinungsbildes. So leben sie in der Regel in Armut. Trotzdem haben die Hijra eine lange Geschichte in Bangladesch, einem südasiatischen Land mit 175 Millionen Einwohnern, und zwar eine, die längst nicht nur vom Leben in Abgasen und Arbeitslosigkeit handelt. Sondern auch von Stolz.

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Rechtliche Anerkennung

»Alle hier im Land wissen, dass es sie gibt«, sagt Jusuf Saadat in einem modernen Büro in der Hauptstadt Dhaka, in das von außen der Straßenlärm eindringt. »Sie werden zwar diskriminiert. Aber sie haben seit Ewigkeiten trotzdem ihren besonderen Platz in der Gesellschaft.« Saadat, Forscher beim unabhängigen Thinktank Centre for Policy Dialogue, betont das Ansehen, das die Hijra genießen: »Sie sind bekannt dafür, als Gruppe stark zusammenzuhalten, auch Kinder aufzunehmen, um die sich niemand kümmert.«

So empfinden die Menschen in Bangladesch eben eine »Art Milde« für diese an den Rand gedrängte Gruppe, betont Jusuf Saadat und lächelt: »Ihr Einkommen sehen wir auch nicht als Betteln. Alle in Bangladesch wissen ja, dass sie durch ihre Identität keine anderen Jobs finden würden. Deshalb geben wir ihnen Geld.« In einem Land, wo sich rund 90 Prozent der Menschen dem Islam zugehörig fühlen, einer Religion also, die wie das Christentum wenig für queere Identitäten übrighat, ist das überraschend.

Was aber noch viel verblüffender klingt: Die Hijra sind nicht nur geduldet, sondern sogar offiziell als eigenes Geschlecht anerkannt. Im Jahr 2014 bestätigte ein neues Gesetz, dass es in Bangladesch fortan nicht mehr nur die Genderkategorien Frau und Mann gibt, sondern als drittes Geschlecht auch die Hijra. »Nach Jahrzehnten schrittweiser Verbesserungen für die Hijra war das wirklich ein Riesenschritt«, erinnert sich Saadat.

Queere Identitäten sind tabu

Seitdem ist Bangladesch auf geschlechterpolitischer Ebene insofern den meisten westlichen Staaten um einiges voraus. Denn Personen wie Tania können nun Personalausweise erhalten – eben nicht mehr als Mann, sondern als Hijra. »Eines Tages, so die Hoffnung, soll mit dieser Anerkennung auch die Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt gelingen«, erklärt Jusuf Saadat. Wobei er zu bedenken gibt: Regeln seien eine Sache, »Normen und Kultur brauchen Zeit«.

Wie besonders die formale Anerkennung der Hijra ist, zeigt der Umgang mit anderen queeren Gruppen in der Gesellschaft. Jusuf Saadat sucht einen Moment nach Worten, um sich nicht zu hart auszudrücken: »Wenn jemand in Bangladesch sagt, er sei schwul oder lesbisch oder homosexuell, dann gilt das überhaupt nicht als akzeptabel. Das ist ein absolutes Tabu hier.« Es sei sogar illegal. »Auch in der Religion, also im Islam, ist es verboten.« Nur die Hijra genössen mehr Akzeptanz: »Weil wir das Gefühl haben, dass ihnen die Identität angeboren ist.« Bei Homosexualität werde das nicht so gesehen.

Tania hat sich seit der gesetzlichen Anerkennung sicherer und zumindest ganz grundsätzlich auch anerkannt gefühlt: »Wir sind rechtstreue Bürger dieses Landes, wir befolgen die Gesetze in Bangladesch. Und wenn wir etwas falsch machen, sind wir für Kritik offen«, sagt sie, wie eine, die nie für sich selbst reden kann, sondern immer gleich für ihre Gruppe steht. »Dass dieses Gesetz uns eine Identität verschafft, ist daher so wichtig! Damit kann uns niemand einfach wegsperren oder so.«

Umsturz von Premierministerin Scheikh Hasina

Nur: Tania sagt all dies unter der Bedingung der Anonymität. Ihr wahrer Name ist ein anderer. Denn mittlerweile fühlt Tania sich nicht mehr so sicher wie noch vor einigen Monaten. Bangladesch durchlebt gerade turbulente Zeiten. Im August vergangenen Jahres sorgten Studentenproteste dafür, dass die über 15 Jahre wie eine Diktatorin regierende Premierministerin Scheikh Hasina aus dem Land floh.

Die säkulär, aber brutal eingestellte Premierministerin hatte zu diesem Zeitpunkt schon 1400 getötete Protestierende zu verantworten. Auch Freunde von Tania waren darunter. Nach Hasinas Flucht beauftragte das Militär Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus, eine Übergangsregierung zu bilden. Für Neuwahlen ist das Land aber kaum bereit. Das liegt auch daran, dass sich im eigentlich moderat-muslimischen Land nun islamistische Kräfte auf dem Vormarsch befinden.

Schon an den Tagen des Umsturzes konnte Tania nicht nur Freude über die neue Freiheit empfinden, sondern hatte auch Angst vor dem, was nun kommen würde. »In der Unruhe kam ein Polizist zu uns in die Wohnung gestürmt, schrie uns an, drohte uns und verlangte unser Geld.« Viel hatten sie nicht, aber sie hätten ihm dennoch alles gegeben. »Das werde ich wohl nie vergessen.« Und jetzt? »Müssen wir uns vor den Islamisten in Acht nehmen, die mögen Menschen wie uns leider nicht. Sie sehen uns als Problem.«

»Wenn jemand in Bangladesch sagt, er sei schwul oder lesbisch oder homosexuell, dann gilt das überhaupt nicht als akzeptabel. Das ist ein absolutes Tabu hier.«

Jusuf Saadat Centre for Policy Dialogue

Die Partei Jamaat-e-Islami, eine islamistische Gruppierung, die unter der Ägide von Scheikh Hasina stets von der Macht ferngehalten wurde, ist jetzt auch wegen ihrer langen Oppositionshaltung beliebt im Land. Dies beobachtet etwa Dschulfikar Ali Manik, ein im Land bekannter liberaler Journalist, der unter anderem für die Zeitung »Daily Star« wiederholt über religiösen Extremismus und auch über die Stellung der Hijra berichtet hat.

»Aus meiner Arbeitserfahrung kann ich sagen, dass die Extremisten hier in Bangladesch, welchen Namen auch immer sie tragen, von Gruppen wie Al-Qaida, den Taliban und dem Islamischen Staat inspiriert sind«, sagt Manik, der nach dem Umsturz in den Untergrund habe gehen müssen. »Einige dieser Extremisten habe ich vor Jahren selbst interviewt, und sie haben mir gesagt: Ja, wir wollen ein System wie das der Taliban in Bangladesch.« Und alle wüssten, was das bedeuten würde.

Steigender Einfluss der Islamisten

Eine schleichende Islamisierung beobachtet Dschulfikar Ali Manik schon länger im Land, auch ohne dass islamistische Parteien die Regierung gestellt hätten: »Meine Identität bezeichne ich zum Beispiel als Bengalisch. Das kann muslimisch, christlich oder buddhistisch sein. Meine Identität verstehe ich ethnisch, nicht religiös.« Aber die Islamisten? »Die sagen: ›Nein, du bist ein Muslim.‹«

So ermahnten Anhänger von Jamaat-e-Islami Frauen oft, sie sollen ihre Gesichter nicht nach Hindu-Bräuchen dekorieren, sondern eine Burka tragen. Und Jungs sollten keine kurzen Hosen tragen und einen Bart haben. »Es sind diese kleinen Dinge, die sie über die Zeit der Gesellschaft aufzudrücken versuchen. Und aus Angst halten sich viele Menschen dran.« Oder sie gingen in den Untergrund wie Dschulfikar Ali Manik.

Islamistische Gruppen sind jedenfalls nicht nur friedlich. Anfang des Jahres sorgten sie für Aufsehen, als sie Fußballspiele von Frauen stürmten und den Abbruch erzwangen. Mehrere ähnliche Ereignisse hat es zuletzt gegeben. Die Botschaft: Konservative Geschlechterrollen seien streng einzuhalten. Für die Hijra – das dritte Geschlecht – eine Drohung.

Umbruch geht auf Kosten von Minderheiten

Leo Wigger, Fellow für EU- und Südasienbeziehungen im Mercator-Kolleg für Internationale Aufgaben und Experte für Bangladesch, sieht die Hijra als größte Verlierer des Umbruchs, der eigentlich mehr Freiheit für alle bedeuten sollte: »In diesem postrevolutionären Ringen um Einfluss erstarken jetzt eben auch einige der Parteien, die die staatlichen Institutionen eher missbrauchen.« Gerade auf Kosten von Minderheiten: »Für die alteingesessenen transgender Communitys hat sich die Situation massiv verschlechtert. Wenn man da mit Aktivistinnen spricht, ist die Angst schon sehr groß.«

Wann in Bangladesch Neuwahlen anstehen, ist noch nicht bekannt. Viele im Land gehen aber davon aus, dass islamistische Gruppierungen wie Jamaat-e-Islamit dann zu den Favoritinnen gehören. Für die Hijra, die traditionell auch als Glücksbringer für Neugeborene gelten und für Zeremonien nach der Geburt eingeladen werden, würde sich die Lage dann wohl weiter zuspitzen.

Vielleicht würde ihnen sogar die Anerkennung als drittes Geschlecht wieder aberkannt. Tania jedenfalls geht mittlerweile kaum noch auf die Straße, um dort um Geld zu bitten. Sie versteckt sich und hat oft Hunger: »Ich bin an einem sicheren Ort, mit meinen Kameradinnen zusammen. Wir sind jetzt erst mal vorsichtig.«

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