Jens Spahns rechte Idole

Über den Unionsfraktionschef, seine Rolle bei der gescheiterten Richterwahl und seinen Machtwillen

  • Ariel Tarnev
  • Lesedauer: 5 Min.
Jens Spahn mit Sebastian Kurz, 2017. Den ÖVP-Politiker besuchte er immer wieder.
Jens Spahn mit Sebastian Kurz, 2017. Den ÖVP-Politiker besuchte er immer wieder.

Jens Spahn reist gerne ins Ausland, um sich von dortigen konservativen Parteien und deren Spitzenpersonal inspirieren zu lassen. Im Juli 2024 war der CDU-Politiker beim Parteitag der Republikaner in Milwaukee eingeladen. Dort äußerte er, außer für dessen Rhetorik, viel Zustimmung für Donald Trump, der sich im Wahlkampf befand und seit Beginn dieses Jahres wieder Präsident der USA ist. Spahn lobte Trumps Politik gegen den Einfluss Irans und Chinas. Einige Jahre zuvor hatte sich der heutige Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag mit dem rechtsradikalen, zwischenzeitlichen Chefstrategen Trumps, Steve Bannon, getroffen.

Es ist möglich, dass Spahn in den Vereinigten Staaten gelernt hat, wie man mit Lügen und Tricks in der Politik zum Ziel kommt. Spätestens seit die Republikaner von Trump geführt werden, ist dies ihre bevorzugte Strategie. Nun ist die Frage aufgetaucht, ob Spahn hinter einer Intrige steckt. Er wird von Oppositionspolitikern verdächtigt, als Fraktionsvorsitzender ein Interesse daran gehabt zu haben, dass in der vergangenen Woche die Wahl von drei Verfassungsrichtern im Bundestag kurzfristig abgesetzt wurde. Hintergrund war der Widerstand in der Unionsfraktion gegen die von der SPD unterstützte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf, die eine liberale Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen vertritt. Spahn hatte kurz vor der Wahl die Andeutungen eines selbsternannten »Plagiatsjägers« zur Dissertation von Brosius-Gersdorf zum Anlass genommen, um seinem SPD-Amtskollegen Matthias Miersch mitzuteilen, dass die Abgeordneten von CDU und CSU die Kandidatin nicht wählen werden. Inzwischen ist es erwiesen, dass kein wissenschaftliches Fehlverhalten der Juristin vorlag.

Ist Spahn also Teil des Lagers in seiner Fraktion, das die Wahl sabotiert hat oder konnte er sich schlicht nicht gegen die 50 bis 60 Abgeordneten durchsetzen, die intern erklärt hatten, gegen Brosius-Gersdorf stimmen zu wollen? Fakt ist, dass der gesamte Vorgang zunächst Spahn schadet. Auch in Medienbeiträgen der in konservativen Kreisen einflussreichen Springerpresse wurde der CDU-Politiker heftig dafür kritisiert, dass er keine Mehrheit in seiner Fraktion organisiert und somit für eine schwarz-rote Regierungskrise gesorgt hat. Die Beliebtheitswerte des Politikers, dem auch die Aufarbeitung seiner unwirtschaftlichen Maskengeschäfte als Gesundheitsminister in der Corona-Zeit zu schaffen macht, sind im Keller.

Was für ihn zählt, ist die politische Macht.

-

Andererseits ist es Spahn zuzutrauen, dass er durch Blockaden und Zerwürfnisse die Regierungsarbeit mit den Sozialdemokraten beeinträchtigen will. Dies ist auch das Ziel der AfD, die eines Tages gemeinsam mit der Union regieren möchte. Spahn hat inhaltlich viele Schnittpunkte mit der AfD und fühlt sich schon seit Jahren zu Höherem berufen. Er wollte 2018 Parteivorsitzender der CDU werden, scheiterte aber als Drittplatzierter hinter Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer. Spahn hatte damals im neoliberalen Wirtschaftsflügel der Partei und am rechten Rand der CDU einige Unterstützer, auch in der sogenannten Werteunion.

Für ein Treffen dieses Vereins, der zu diesem Zeitpunkt noch eine rechte Basisbewegung in der Union war und sich für Wehrpflicht, Flüchtlingsabwehr und die Reduzierung von Schwangerschaftsabbrüchen einsetzte, sendete Spahn im Jahr 2018 ein Grußwort. »Wenn wir reden und handeln in einer Haltung, die breite, sich bürgerlich fühlende Schichten zuletzt oft schmerzlich vermisst haben, dann können wir die AfD überflüssig machen«, so Spahn. Dies war nur ein Beispiel von vielen für die Abrechnung des noch jungen Konservativen mit der vergleichsweise liberalen Politik der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

In den Folgejahren erhielt Spahn für seine Forderungen immer wieder freundliche Worte aus der AfD, zum Beispiel, als er im Jahr 2023 »eine Pause von dieser völlig ungesteuerten Asyl-Migration« forderte. Im April dieses Jahres sprach Spahn sich dafür aus, im Bundestag mit der AfD wie »mit jeder anderen Oppositionspartei umzugehen«. Abgeordnete der Partei fallen regelmäßig bei Wahlen der Ausschussvorsitzenden und zum Bundestagsvizepräsidenten durch. Spahn stellte dies infrage und wollte mit seinem Vorstoß testen, ob es möglich wäre, die Rolle der rechtsradikalen Partei im Parlament aus seiner Sicht zu »normalisieren«. Gelungen ist ihm dies bisher nicht.

Allerdings ist das Verhältnis von Spahn zur AfD nicht unproblematisch. Wegen seiner Politik in der Corona-Krise und seiner Maßnahmen, welche die Pandemie eindämmen sollten, gilt er bei einigen in der Partei nach wie vor als Feindbild. Hinzu kommt, dass Spahn wegen seiner Homosexualität von Rechtsradikalen häufig angefeindet wird, oft per Post an sein Bundestagsbüro. Zu Beginn seiner politischen Karriere hatte Spahn im Jahr 2013 auf CDU-Seite die Koordination eines informellen schwarz-grünen Gesprächskreises übernommen, sah diese Konstellation als Koalition der Zukunft und hat sie in der Folgezeit nie ausgeschlossen. Auch das dürfte in der AfD nicht vergessen worden sein.

Spahn ist als Konservativer recht flexibel. Was für ihn zählt, ist die politische Macht. Dies erinnert an den ÖVP-Politiker Sebastian Kurz, den Spahn immer wieder besucht hat. Kurz äußerte sich ebenfalls ablehnend gegen Asylbewerber, trieb seine sozialdemokratischen Koalitionspartner in den Wahnsinn und stützte sich in Koalitionen als Kanzler jeweils einmal auf die rechtsradikale FPÖ und auf die Grünen. Die Parallelen zu Spahns Wunschträumen sind unübersehbar. Schon in jungen Jahren endete die Karriere von Kurz vorerst wegen Korruptionsverdachts, aber er denkt über eine Rückkehr auf die politische Bühne nach. Sollte auch Spahns Stern wieder sinken, müsste er sich keine Sorgen machen. Denn er hat über seinen österreichischen Freund beste Kontakte in Bereiche, wo mit Umweltzerstörung und Risikokapitalfonds das große Geld gemacht wird. Kurz hat unter anderem bei der Investmentfirma eines rechts-libertären Unternehmers und einem emiratischen Ölkonzern angeheuert.

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.