- Wirtschaft und Umwelt
- Französiche Umweltpolitik
Protest gegen ökologischen Rückschritt
Frankreich: Petition gegen rechtes Gesetz bricht Rekorde. Neuerliche Parlamentsdebatte könnte aufflammen
Bis Sonntagabend unterzeichneten eine Million Franzosen eine Petition gegen das Duplomb-Gesetz zur Umwelt- und Agrarpolitik. Eine derlei erfolgreiche Petition gab es in der Geschichte der Fünften Republik noch nie; die Initiative der bisher unbekannten 23-jährigen Naturschutz-Studentin Eléonore Pattery entwickelt sich gerade zu einer Massenbewegung. Um eine neuerliche Parlamentsdebatte über das Gesetz zu erzwingen – allerdings ohne Abstimmung – sind 500 000 Signaturen erforderlich. Die bisher erfolgreichste Petition erreichte 260 000 Unterschriften.
Die Entwicklung zeugt davon, wie umstritten das Gesetz des rechtsrepublikanischen Senators Laurent Duplomb ist. Anfang Juli von der französischen Nationalversammlung endgültig beschlossen, steht im Zentrum der Kritik die Wiederzulassung des Pestizids Acétamipride. Weil es möglicherweise Krebs erregt, wurde es in Frankreich 2020 verboten. Duplomb ist selbst Großbauer, gilt als Anführer der Lobby des Bauernverbandes FNSEA im Parlament und ist ein erklärter Verfechter des deregulierten Agrarbetriebs.
»Das Duplomb-Gesetz ist ein wissenschaftlicher, ethischer, umwelt- und gesundheitspolitischer Irrweg.«
Petitionstext gegen das Gesetz
In der Begründung der Petition heißt es: »Das Duplomb-Gesetz ist ein wissenschaftlicher, ethischer, umwelt- und gesundheitspolitischer Irrweg. Es stellt einen Frontalangriff auf die öffentliche Gesundheit, die Artenvielfalt, die Logik der Klimapolitik, die Lebensmittelsicherheit und schlichtweg gegen den gesunden Menschenverstand dar.« Der Gesetzestext wird von den rechtsoppositionellen Republikanern (LR) und dem rechtsextremen Rassemblement National (RN) getragen und heißt offiziell »Gesetz zur Aufhebung von Hindernissen für die Berufsausübung von Landewirten«. Er sei eine Ansammlung von Angriffen auf Umweltvorschriften und -normen sowie auf Institutionen zu ihrer Durchsetzung.
Das umstrittene Pestizid-Verbot stand im Mittelpunkt der massiven Protestaktionen französischer Bauern Anfang 2024. Sie wurden von rechten und rechtsextremen Parteien unterstützt, erfuhren aber auch bei vielen Abgeordneten des Regierungslagers und der Zentrumsparteien Verständnis und Sympathie. Französische Bauern seien demnach einer Ungleichbehandlung und unlauterem Wettbewerb ausgesetzt und sehen ihre Existenz bedroht.
Gegner des gesundheitsgefährdenden Einsatzes von Chemie fordern dagegen weitere Schritte beim Pestizid-Verbot. »Statt die Neonicotinoide wieder zuzulassen, sollte sich Frankreich für deren flächendeckendes Verbot in Europa einsetzen«, erklärt beispielsweise Antoine Gatet, der Präsident des Umweltschutz-Dachverbandes France Nature Environnement.
Dass das Duplomb-Gesetz eine Mehrheit im Parlament finden konnte, liegt daran, dass das Regierungslager hier seit der turnusmäßigen Wahl von 2022 und auch seit der Neuwahl von 2024 keine Mehrheit mehr hat und auf die Unterstützung der LR angewiesen ist. Mit dem Gesetz Duplomb wollen die Republikaner Muskeln zeigen und sich für die nächsten Wahlen profilieren. Die rechtsextreme RN sucht mit diesem Thema neue Wähler unter den Bauern zu gewinnen.
Die Regierung, die einem Bündnis LR-RN vorbeugen will, manövriert indes in höchstem Maße ungeschickt. So hat Premier François Bayrou bereits am 14. Januar in seiner Regierungserklärung das »Übermaß ungerechtfertigter Kontrollen« von Bauernhöfen durch bewaffnete Angehörige der »Umweltpolizei« der Französischen Agentur für Biodiversität (OFB) kritisiert.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Tage später mussten Mitarbeiter seines Kabinetts aufgebrachten Gewerkschaftsvertretern der OFB gegenüber einräumen, dass das unsachlich war, und sich stellvertretend für ihren Chef entschuldigen. Der Premier selbst stellte das nie richtig. Falschnachrichten verbreitete die Regierung auch über die staatliche Energiesparagentur Ademe, den staatlichen Küstenschutz und über den Gebirgsschutzrat.
Umweltschutzorganisationen werfen Premier Bayrou und seiner Regierung deshalb vor, dem Umwelt- und Klimaschutz noch mehr geschadet zu haben als ihre Vorgänger. Seit Beginn der zweiten Amtszeit von Präsident Emmanuel Macron 2022 seien außerdem rund 60 Umweltvorschriften gelockert oder ökologische Standards abschwächt worden.
Vier größere Gesetzesprojekte wurden in dieser Zeit zudem wesentlich revidiert oder ganz aufgegeben. Dazu gehören ein Gesetz gegen die »Versiegelung« von Ackerboden und eines zu Genehmigungsverfahren für Bauprojekte. Das 2015 beschlossene Gesetz, mit dem – beginnend in Paris, Lyon, Marseille und dann schrittweise in allen Großstädten – nach und nach alte und besonders luftverschmutzende Autos verboten werden sollten, wurde im Mai per Mehrheitsvotum der Nationalversammlung zurückgezogen. Rechtskräftig ist das allerdings noch nicht. Auch dafür hatten Rechtsextreme Stimmung gemacht – mit dem Argument, dass sich Franzosen bald keine Autos mehr leisten würden können.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.