Fairer Handel erwartet politischen Gegenwind

Umsätze fair gehandelter Produkte steigen in Deutschland auf Rekordniveau. Davon profitieren vor allem vier Großkonzerne

80 Prozent des Umsatzes aus dem Verkauf einer Tafel Schokolade gehen an industrielle Hersteller und Handelskonzerne auf der Nordhalbkugel.
80 Prozent des Umsatzes aus dem Verkauf einer Tafel Schokolade gehen an industrielle Hersteller und Handelskonzerne auf der Nordhalbkugel.

Es sind nicht die Produzenten landwirtschaftlicher Produkte, die das große Geld machen. Das gilt für viele deutsche Bauern ebenso wie für Landwirte im Globalen Süden. Trotzdem sind viele alltägliche Waren, die Verbraucher kaufen, nicht nur gefühlt teuer. Die Preise für Lebensmittel sind nach Berechnungen des Fermsehnetzwerks ZDF in den vergangenen fünf Jahren in Deutschland um rund 40 Prozent gestiegen.

Richtig großen Umsatz machen dagegen die Akteure in den Lieferketten – zwischen Bauern und Käufern vor Ort. So gehen rund 80 Prozent des Umsatzerlöses aus dem Verkauf einer Tafel Schokolade an die industriellen Hersteller und die Handelskonzerne auf der Nordhalbkugel, schätzt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Schlecht für Kakaoproduzenten in Südamerika und Westafrika. Zu den Kritikern dieser Entwicklung gehört seit Langem das Forum Fairer Handel (FFH). Zugleich ist diese globale Unwucht weiterhin Ansporn für die Dachorganisation der Weltläden, Fair-Handelsunternehmen und fairen Produktsiegeln.

Der Wirtschaftszweig blickt auf ein sehr erfolgreiches Jahr zurück. Mit einem Plus von elf Prozent erreichte der Gesamtumsatz mit Produkten aus fairem Handel hierzulande einen neuen Höchstwert von rund 2,6 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Umsatz mehr als verdoppelt. »Fairer Handel steht für Verlässlichkeit in Krisenzeiten und für soziale sowie ökologische Verantwortung entlang globaler Lieferketten«, warb Vorstandsvorsitzende Andrea Fütterer während der Jahrespressekonferenz des FFH diesen Donnerstag in Berlin.

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Angesichts von Klimakrise, wachsender Ungleichheit und gesellschaftlicher Spaltung sei Verlässlichkeit heute gerade für Landwirte wichtiger denn je. Verkaufsschlager sind mit »Fairtrade« gesiegelte Produkte, wie sie in fast jedem Supermarkt zu kaufen sind. Sie stehen für 83 Prozent des Gesamtumsatzes. Die höchsten Umsätze werden mit Kaffee und Schokolade erzielt.

Schwer tun sich Weltläden und Weltgruppen. Diese Fachgeschäfte – früher hießen sie »3. Welt-Läden« – gelten als Keimzelle des fairen Handels. Erste Geschäfte wurden zu Beginn der 1970er Jahre eröffnet. In mehreren Ländern protestierten damals vor allem junge Menschen gegen die wachsende Ungerechtigkeit im Welthandel. Eine neue politische Bewegung war entstanden. Heute gibt es in der Bundesrepublik 900 Weltläden und Abertausende Menschen engagieren sich ehrenamtlich, 2024 lagen die Umsätze bei 79 Millionen Euro. Doch sie stagnieren seit Jahren und sind inflationsbereinigt sogar gesunken.

Eine Mitschuld daran gibt FFH-Geschäftsführer Matthias Fiedler der Machtkonzentration im stationären Lebensmitteleinzelhandel: Er werde von vier Konzernen beherrscht. Fiedler setzt nun auf eine Reaktion des Bundeskartellamtes. Seit einer Reform des Wettbewerbsrechts im Jahr 2023 kann sich die Behörde durch eine sogenannte Sektoruntersuchung ein genaues Bild über ganze Wirtschaftsbereiche machen. Bis dahin waren überwiegend Einzelfallprüfungen möglich. In der Folge einer Sektoruntersuchung sind gezielte Maßnahmen möglich, um für fairen Wettbewerb zu sorgen.

»Die Idee, dass die Menschheit von Deregulierung profitiert, erfährt leider ein wirtschaftspolitisches Revival.«

Matthias Fiedler Forum Fairer Handel

Dem fairen Handel gehe es nicht allein um höhere Umsätze, sondern auch um politische Rahmenbedingungen, betonte Fiedler. Er beobachte eine »Entsolidarisierung« in der Gesellschaft. So stehe das deutsche Lieferkettengesetz ebenso wie die entsprechende EU-Richtlinie unter Druck. »Die Idee, dass die Menschheit von Deregulierung profitiert, erfährt leider ein wirtschaftspolitisches Revival.« Für eine Vielzahl der Unternehmen bringe dies einen Wettbewerbsnachteil mit sich. Sie versuchten aus eigenem Antrieb Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten, während Firmen, denen die Standards egal sind, geringere Kosten haben.

Unfairer Wettbewerb ist für viele lokale Fair-Produzenten im Lebensmittelsektor ein Problem, übrigens auch in Europa. Sie sind oft von wenigen konventionellen Abnehmern abhängig und unlauteren Handelspraktiken und Preisdrückerei ausgesetzt. Dies ist beispielsweise im Kaffeesektor der Fall. Zwar profitieren Bauern und genossenschaftliche Kooperativen derzeit von einem hohen Weltmarktpreis für Kaffee. Doch an ihrer prekären Stellung in der konventionellen Lieferkette habe sich nichts geändert, kritisiert das Forum Fairer Handel. »Unsere Handelspartner wünschen sich (daher) für die Zukunft vor allem mehr Stabilität und größere Absätze über den Fairen Handel.«

Ein Blick auf benachbarte europäische Länder wie die Schweiz, Österreich und Frankreich zeigt, dass beim Absatz in Deutschland noch viel Luft nach oben ist. 31 Euro gibt eine deutsche Verbraucherin durchschnittlich im Jahr für faire Produkte aus. Der wohlhabendere Eidgenosse lässt sich den Spaß hingegen 112 Franken, rund 120 Euro, kosten. Dabei wird der Markt in der Schweiz von nur zwei großen Spielern dominiert. Doch die genossenschaftlich organisierten Migros und COOP setzen traditionell stärker auf gute und faire Produkte, als es deutsche Anbieter tun.

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