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Museen für Kinder: »Ich würde ein Fragezeichen malen«
Beate Gorges über die Arbeit mit Kindern, Leerstellen in Museen und Berlin in den 90ern
Atelier Bunter Jakob – das ist ein schöner Name. Was verbirgt sich dahinter?
Das Atelier Bunter Jakob ist eine Kunstwerkstatt für Kinder, Jugendliche und nachbarschaftliche Initiativen in der Berlinischen Galerie. Wir bieten hauptsächlich offene Ateliers, Workshops und Ferienprojekte an. Alle unsere Programme beziehen die aktuellen Ausstellungen und das Museum als einen besonderen Ort mit ein.
Sie kamen mit dem Atelier gleich hierher in die Berlinische Galerie?
Ja! Die Kooperation begann, als das Museum hierher in das ehemalige Glaslager nach Kreuzberg zog. 2004 wurde dann auch das Atelier Bunter Jakob gegründet, als Kooperation von Jugend im Museum e. V. und der Berlinischen Galerie.
Welche Fragen sind mit dem künstlerischen Bildungsangebot verbunden?
Es geht darum, mit der kreativen Arbeit auch Anknüpfungen an die gesellschaftlichen Diskurse herzustellen. Wir fragen uns, was interessiert zehnjährige Besucher*innen an einer Ausstellung, und welche Bedeutungen geben die jungen Berliner*innen den gezeigten Kunstwerken? Welches Wissen und welche Lebenswirklichkeiten bringen sie in die Berlinische Galerie mit?
Beate Gorges ist Theaterwissenschaftlerin, freiberufliche Künstlerin und Kunstvermittlerin. Seit 2009 leitet sie das Atelier Bunter Jakob in der Berlinischen Galerie für den Verein Jugend im Museum.
Was ist für Sie das Besondere an der Berlinischen Galerie?
Es ist bemerkenswert, dass sowohl der Verein Jugend im Museum als auch die Berlinische Galerie unabhängig voneinander in den 70er Jahren privat gegründet worden sind. Und zwar beide von engagierten Bürgerinnen, die kunstinteressiert und museumsbegeistert waren.
Ein Blick zu den beruflichen Anfängen: Da stand bei Ihnen gar nicht die Kinderkunstarbeit im Mittelpunkt, sondern das Theater. Wie kam es dazu?
Theaterspielen begeisterte mich zuletzt schon in der Schule. Nach dem Abitur in Trier bin ich nach München gegangen, war im Kellertheater – einem Kollektiv –, habe dort eine Regieassistenz gehabt. Dann war ich ein Jahr lang mit einem Wandertheater unterwegs und bin mit dem kleinsten bespielten Viermastzelt der Erde durch Bayern gezogen. Danach aber wollte ich unbedingt wieder an die Uni und entschied mich zuerst für Theaterwissenschaften. Kunstgeschichte kam noch dazu.
Kommen Sie aus einer Theater- und Kunstfamilie?
Nein, gar nicht. Meine Mutter war Gärtnerin und mein Vater Ingenieur. Beide waren aber sehr kunstinteressiert.
Wie hat Sie Trier geprägt?
Nach dem Abitur war der Wunsch sehr stark, der Enge dieser konservativen Stadt zu entfliehen. Später habe ich sehr herzliche Menschen und viel Schönes in Trier wiederentdeckt.
Jetzt kommt die Frage: Karl Marx?
Natürlich! Er war allerdings in Trier gar nicht besonders populär. Es ging eher um das römische Kulturerbe. Die Wahrnehmung für Marx entwickelte sich erst richtig 2018 mit der Jubiläumsausstellung. Mir hatte aber immer schon seine historische Anwesenheit hier geholfen, stolz auf Trier zu sein. Die Auseinandersetzung mit ihm begann dann erst als Erwachsene.
Was bedeutete Ihnen das Studium an der Maximilian-Universität?
Das Studium war toll! Mir hat nur ein bisschen die zeitgenössische Kunst gefehlt – und die Praxis, also die unmittelbare Arbeit mit Menschen. Ich habe in meinem Leben immer versucht, eine gute Mischung aus Theorie und Praxis zu finden, die ich für mich befriedigend fand.
Sie haben in den 80ern studiert, noch in der alten Bundesrepublik, dann sind Sie nach Berlin gezogen.
Ja. Aber ich habe nach dem Studium zuerst in München gearbeitet. Ich war künstlerische Projektleiterin im Modellprojekt Kinder- und Jugendmuseum. Das war sehr schön, weil ich eine tolle Kollegin hatte, mit der ich auch selber künstlerisch aktiv war. 1990 bin ich dann nach Berlin gekommen und war sehr beeindruckt, nicht zuletzt auch von der Größe der Stadt.
Wie haben Sie die 90er Jahre erlebt?
Ich erinnere mich daran, wie viele Spuren der Vergangenheit aus dem Zweiten Weltkrieg ich im Osten Berlins noch gesehen habe. Das gab es so in der alten Bundesrepublik nicht mehr. Ein Zufall brachte mich auch nach Wünsdorf, in die ehemalige sowjetische Militärstadt, als diese noch nicht öffentlich zugänglich war. Es war eine starke emotionale Prägung, durch die unbewohnte Stadt zu gehen, kyrillische Buchstaben zu sehen und leer stehende Wohnungen, die aussahen, als ob hier Personen eben vom Frühstück aufgestanden und fortgegangen sind.
Wie war Ihr Start in Berlin?
Es existierten viele Nischen für Künstlerinnen und Künstler und unglaubliche Projekte. Ich habe mich hier sehr zu Hause gefühlt und zuerst eineinhalb Jahre eine Weiterbildung »Europäisches Kulturmanagement« absolviert. Bis 2004 ging ich dann aber noch nach Wien an das Museumsquartier.
Zurück ins Heute, da ist Spielen zum Trendbegriff geworden. Warum gehören Kinderkunst und Spielen heute zu den zentralen Angeboten vieler Museen?
Spielen ist eine universelle menschliche Kulturtechnik. Das hat mit Selbstbestimmung und dem Eintritt in fiktive Räume zu tun. Es ist schön und stärkt uns, gerade auch Kinder und Jugendliche. Museen sind dafür wichtige Räume. Es ist auch für die Zukunft essenziell, Kinder und Jugendliche für die Museen zu interessieren und sie stärker am kulturellen Geschehen teilhaben zu lassen.
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Wenn Sie selbst künstlerisch loslegen, wie drücken Sie sich aus und womit?
Ich arbeite gern mit gesammelten Dingen. Ich habe mehrere Jahre lang Eierschalen gesammelt und diese bearbeitet. Auch Nylonstrümpfe zum Beispiel.
Beide Materialien, obwohl so gegensätzlich, haben mit Haut und Oberfläche zu tun. Können Sie das noch ein bisschen erklären, was Sie daran interessiert?
Ich glaube, mich interessieren zerbrechliche Materialien und Serien sehr stark. Dabei geht es mir um die Variation, um das Durchkreuzen der seriellen Logik. Ich habe mal ein Plakat des Naturkundemuseums gesehen mit einem abgebildeten Schmetterlingsschaukasten. Darunter stand: »Bei uns ist die Welt noch in Ordnung.« Ich dachte in dem Moment, das ist der Grund, warum mich Serien und Ordnungen und eben Variationen so interessieren.
Eierschalen sind extrem fragil. Ist das auch was für die Arbeit mit Kindern?
Vor langer Zeit habe ich mal am Südstern im Jugendzentrum als Vertretung für eine Freundin gearbeitet. Da waren ganz wilde Jungs, vor denen ich mich ein bisschen fürchtete. Ich entschied mich, mit ausgeblasenen Eiern zu arbeiten und mit Bohrungen in diese Eier. Dabei muss man sehr behutsam sein. Das hat richtig gut funktioniert. Ich glaube, die Jungs waren überrascht.
Wenn Sie jetzt ein Bild malen würden, was müsste darauf auf jeden Fall passieren?
Ich würde vielleicht kein ganzes Bild, eher nur ein Zeichen malen. Es wäre so etwas wie ein Fragezeichen oder eine Leerstelle.
Leerstelle?
Ja! Es geht um die bewusste Wahrnehmung von Lücken, gerade in unserer Arbeit mit jungen Besucher*innen. Wir möchten die Erfahrung vermitteln, dass das, was im Museum gezeigt wird, subjektiv ausgewählt und in bestimmte Zusammenhänge gebracht worden ist. Bestimmte Perspektiven werden sichtbar gemacht, andere bleiben verborgen.
Könnten Sie sich vorstellen, nach Trier zurückzugehen?
Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich möchte auch nicht aufs Land ziehen. Ich finde es sehr schön, dass ich die Möglichkeit habe, in Berlin-Kreuzberg zu arbeiten, die Stadt so zu erleben und trotzdem viel in der Natur zu sein.
Wo verbringen Sie gern Ihre Freizeit?
Ganz viel in Brandenburg oder in Mecklenburg-Vorpommern. Ich bin ja aus den stark kultivierten Landschaften rund um Trier und München gekommen. Ich gehe gerne Paddeln und genieße hier die schöne, nicht so stark »beackerte« Natur.
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