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Stopp der humanitären Aufnahme Geflüchteter: Tödliche Heuchelei
Jana Frielinghaus über den Verrat der Bundesregierung an den Verletzlichsten
In den letzten Jahren war es ein beliebtes Argumentationsmuster bei der Mehrheit der deutschen Parteien: Wir müssen die »illegale« Migration zurückdrängen. Denn einerseits überlastet sie die Kommunen, andererseits kommen zu viele junge Männer, die eine potenzielle Gefahr seien und sich schlecht integrierten. Stattdessen müsse man Kontingente für besonders »vulnerable« Gruppen schaffen, vor allem für Frauen und Kinder, die es sonst gar nicht nach Europa schaffen würden. Das betont auch die CDU in ihrem neuen Grundsatzprogramm.
Wie verlogen derlei ist, zeigte sich spätestens bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags von Union und SPD im April. Denn darin kündigten die drei Parteien nicht nur an, massiv abzuschieben, Menschen an den Grenzen zurückweisen und Asylverfahren so schnell wie möglich in sichere Drittstaaten verlagern zu wollen. Vielmehr wollen sie auch alle humanitären Aufnahmeprogramme »soweit wie möglich« beenden. Das betrifft das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan, aber auch das vom UN-Flüchtlingshilfswerk koordinierte Resettlement-Programm.
Dabei ist die Koalition bereit, gegebene Versprechen zu brechen. Selbst den wenigen Menschen, die bereits eine Einreisezusage in der Tasche haben, wird die Tür vor der Nase zugeschlagen. Das bedeutet für viele Betroffene konkrete Gefahr für Leib und Leben. Oft sind es Frauen und Kinder, für die die humanitären Programme die einzige Chance auf eine legale Einreise nach Europa sind. Menschen, die auch in überfüllten Flüchtlingslagern fürchten müssen, Opfer von Gewalt zu werden. Die keine Möglichkeit haben, sich dort ein unabhängiges Leben aufzubauen.
Die Zahl derer, die über solche Programme aufgenommen wurden, war – gemessen am vom UNHCR bezifferten Bedarf – schon immer extrem gering. Es gab und gibt genug Institutionen und Vereine sowie viele Ehrenamtliche, die bereit sind, sich um diese Menschen zu kümmern. Für den Staat sind die Programme keine nennenswerte finanzielle Belastung. Sie tragen aber zugleich zum internationalen Prestige der Bundesrepublik bei. Ohne Not zerstört die schwarz-rote Koalition hier also wie an vielen anderen Punkten ihre Glaubwürdigkeit auf internationalem Parkett. In der Fluchtpolitik agiert sie kaum weniger willkürlich als die Trump-Administration. Und genau wie dem US-Präsidenten scheint Kanzler Merz das herzlich egal zu sein. Man will Ansagen machen, vor allem an Staaten im Süden. Die sollen gefälligst ihre Leute zurücknehmen und noch vielen anderen Unterkunft bieten, die in den Augen der Bundesregierung für Deutschland nicht nützlich sind.
Es interessiert bei den Regierenden auch niemanden, dass mit diesem Vorgehen – es werden nicht nur Aufnahmeprogramme gestoppt, sondern zugleich wird bei der humanitäre und Entwicklungshilfe drastisch gekürzt – Elend und lokale Konflikte verschärft werden und damit die Zahl derer weiter steigt, die ihre Heimat verlassen müssen. Denn zugleich sorgt man ja dafür, dass die EU-Außengrenzen immer tödlicher werden.
Abgesehen davon sind all diese Maßnahmen teure und ineffiziente Symbolpolitik, für die unter anderem durch die Grenzkontrollen Milliarden verpulvert werden. Die fehlen den Kommunen weiter. Ihre Probleme sind nicht gelöst, wenn ein paar Geflüchtete weniger versorgt werden müssen. Denn die kommunalen Schwierigkeiten resultieren aus jahrzehntelanger struktureller Unterfinanzierung und der Vielzahl immer neuer Aufgaben, die Kreise, Städte und Gemeinden zugleich stemmen sollen.
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