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Söders Sommerkarneval
CSU-Chef sorgt mit Forderung nach Ende der Bürgergeldzahlung für alle Ukrainer für Empörung
Die neuesten Zahlen zum Bürgergeld veranlassen die üblichen Verdächtigen, die Debatte um Strafen für Menschen weiterzudrehen, die die Leistung beziehen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wiederum nutzte die Gelegenheit, im ZDF-Sommerinterview am Sonntagabend ein Ende der Zahlung dieser Leistung an alle Geflüchteten aus der Ukraine zu fordern. In der Gruppe der ausländischen Bezieher sind mehrere hundertausend Ukrainer*innen und deren Kinder, die seit 2022 vor dem russischen Angriffskrieg geflüchtet sind. An sie flossen 2024 laut Sozialministerium im vergangenen Jahr 6,3 Milliarden Euro Bürgergeld. Insgesamt beliefen sich die Ausgaben für die Sozialleistung 2024 auf 46,9 Milliarden Euro.
Ukrainer*innen werden nach der »EU-Massenzustromrichtlinie« sozialrechtlich anders behandelt als andere Geflüchtete. Sie erhalten von Anfang an Bürgergeld, sind also deutschen Erwerbslosen gleichgestellt. Dagegen bekommen Asylbewerber und abgelehnte Asylbewerber den um rund 20 Prozent niedrigeren Regelsatz.
Der Vorstoß von Söder sorgte am Montag für viel Kritik, aber auch für Zustimmung und Gesprächsbereitschaft. Letztere signalisierte Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU). Unterstützung kam von Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) sowie von der AfD und vom BSW. Kritik kam vom Koalitionspartner SPD, der Linkspartei, aber auch vom Sozialflügel der CDU.
Söder hatte gesagt, es müsse dafür gesorgt werden, dass es »kein Bürgergeld mehr gibt für all diejenigen, die aus der Ukraine gekommen sind«. Dies müsse nicht nur für diejenigen gelten, die in Zukunft kommen, »sondern für alle«. Das wolle er in der Koalition durchsetzen. Der CSU-Chef geht damit über eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag von Union und SPD hinaus. Dort ist als Stichtag der 1. April dieses Jahres vorgesehen. Alle, die danach aus der Ukraine kommen, erhalten bei nachgewiesener Bedürftigkeit nur noch Asylbewerberleistungen.
Kanzleramtsminister Frei gab Söder am Montag »recht, wenn er sagt, dass wir hier Leistungen ausbringen, wie es kein anderes Land der Erde tut«. Vertragliche Grundlagen könne »man einvernehmlich ändern«, darüber müsse miteinander gesprochen werden, sagte er bei RTL und ntv. Die Situation hierzulande habe »ganz erkennbar auch dazu geführt, dass die Arbeitsmarktintegration von Ukrainern in Deutschland viel schlechter funktioniert hat als in anderen Ländern«, sagte Frei. Es sei »viel zu wenig, wenn nur jeder dritte erwerbsfähige Ukrainer auch tatsächlich arbeitet«.
»Es ist viel zu wenig, wenn nur jeder dritte erwerbsfähige Ukrainer auch tatsächlich arbeitet.«
Thorsten Frei Kanzleramtsminister
Auch Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) betonte, im Vergleich mit Frankreich, den Niederlanden, Polen und Tschechien sei der Erwerbstätigenanteil von Ukrainer*innen hierzulande gering.
SPD-Chef Lars Klingbeil verwies dagegen auf die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag. Er hat aber prinzipiell nichts gegen mehr Druck auf Erwerbslose, das hatte er auch zuvor bereits deutlich gemacht. Nötig sei »ein Gesamtpaket«, das »dieses Land stark macht«, sagte der Finanzminister im Deutschlandfunk mit Blick auf den Bundeshaushalt für dieses Jahr und die kommenden Jahre. SPD-Sozialministerin Bärbel Bas wird im Herbst einen Gesetzentwurf für eine Reform des Bürgergelds ins Kabinett einbringen. Im Mittelpunkt dürfte die Ausweitung von Sanktionen gegen Personen stehen, die Arbeitsangebote ablehnen oder Termine versäumen.
Auf Unterstützung stieß Söders Vorstoß erwartungsgemäß in der AfD. »Gerade bei ukrainischen Flüchtlingen zeigt sich: Wer ohne jede Gegenleistung sofort Anspruch auf volle Sozialleistungen erhält, hat kaum einen Anreiz zur Arbeitsaufnahme«, meinte der sozialpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, René Springer. Ganz ähnlich äußerte sich BSW-Chefin Sahra Wagenknecht : »Ein starker Sozialstaat funktioniert nur, wenn nicht jeder in ihn einwandern kann«, sagte sie der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. »Das Bürgergeld darf nicht immer mehr zur Flüchtlingskasse werden, die zu Migration nach Deutschland motiviert.«
Deutliche Kritik an Söder aus den eigenen Reihen kam vom CDU-Sozialflügel. »Die letzten Jahre sollten doch eigentlich gezeigt haben, dass wir mit breitbeinigen und marktschreierischen Forderungen beim Thema Flucht und Asyl nichts erreichen können«, sagte dessen Chef Dennis Radtke dem »Focus«.
Der stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke, Maximilian Schirmer, wies Söders Vorschlag indes zurück. »Solidarität mit den Menschen aus der Ukraine heißt doch nicht nur Waffen irgendwohin zu liefern, sondern die Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, auch zu unterstützen«, sagte Schirmer am Montag in Berlin.
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, zeigte sich ebenfalls irritiert. Er könne die Debatte über das Bürgergeld zwar nachvollziehen, sei aber dagegen, »die Ukrainer zum Sündenbock zu machen«, sagte er im Deutschlandfunk.
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