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Chefarzt klagt gegen Klinik: Arbeitsrecht wider die Moral
Das Klinikum Lippstadt darf dem Gynäkologen Joachim Volz weiterhin Abtreibungen verbieten
»Es gibt Dinge, da kann man keine zwei Meinungen dazu haben, da rührt sich in einem so ein Gefühl von Unrecht«, sagt Joachim Volz, Chefarzt und Gynäkologe am Klinikum Lippstadt, am Freitagmorgen vor rund 2000 Menschen in der nordrhein-westfälischen Stadt. »Da muss man dagegen vorgehen«.
Was er damit meint: Das Verbot seines Arbeitgebers, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, selbst wenn der Embryo keine Chance mehr hat zu überleben. In solchen Fällen sollte alleine die Schwangere entscheiden dürfen, ob sie abtreiben möchte, findet Volz.
Offensichtlich gibt es dabei doch eine zweite Meinung. Seit die evangelische Klinik, für die er jahrelang gearbeitet hat, Anfang des Jahres mit einem katholischen Träger fusionierte, darf Volz in solchen Fällen keine Abtreibungen mehr durchführen. Erlaubt ist ihm das nur noch, wenn das Leben der schwangeren Person in Gefahr ist. Ein gesondertes kirchliches Arbeitsrecht, das solche Entscheidungen billigt, ist im Grundgesetz verbrieft.
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Trotzdem ist Volz gegen seinen Arbeitgeber vor Gericht gezogen. Menschen aus ganz Deutschland sind angereist, um ihn mit einer Demonstration zu unterstützen. Vergebens. Zu ihrer Enttäuschung entschied das Arbeitsgericht Hamm: Das Verbot der Klinik ist rechtmäßig.
Gerade einmal zwei Stunden dauerte die Verhandlung. Arbeitsrechtlich erscheint der Fall recht klar. In Deutschland herrscht das sogenannte Direktionsrecht: Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer Weisungen erteilen, die im Arbeitsvertrag geregelt sind. Als Arbeitnehmer kann man zwar bestimmte Aufgaben verweigern – den umgekehrten Anspruch, eine bestimmte Tätigkeit durchzuführen, gibt es aber nicht. So sah es auch das Gericht: »Die Kammer hat entschieden, dass das beklagte Krankenhaus berechtigt gewesen ist, im Rahmen des zustehenden Direktionsrechts diese Vorgaben zu machen und hat die Klage abgewiesen.« Es bestätigte darüber hinaus, dass dieses Weisungsrecht selbst in Bezug auf die rund 50 Kilometer entfernte Privatpraxis von Volz gelte. Auch dort darf der Gynäkologe also weiterhin keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Ein Berufungsverfahren sei bereits in Vorbereitung, sagt Volz dem »nd« nach der Verhandlung am Telefon. Doch er möchte sich nicht auf diesen rechtlichen Weg beschränken: »Wenn das Gericht sich nicht traut, klare Kante gegen kirchliche Bevormundung zu zeigen, dann müssen wir den politischen Druck erhöhen«. Eine bereits vor der Verhandlung gestartete Petition mit dem Titel »Ich bin Arzt & meine Hilfe ist keine Sünde: Stoppt die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen!« wurde bereits mehr als 230 000 Mal unterzeichnet.
»Wenn das Gericht sich nicht traut, klare Kante gegen kirchliche Bevormundung zu zeigen, dann müssen wir den politischen Druck erhöhen.«
Joachim Volz Chefarzt und Gynäkologe am Klinikum Lippstadt
Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, ist für die Demonstration nach Lippstadt gereist: »Von der katholischen Kirche ist ein Umdenken in dieser Frage erforderlich«, sagt sie. Dass Ärzt*innen einerseits ihrem medizinischen Eid verpflichtet sind und gleichzeitig vom Arbeitgeber angewiesen werden, eine Behandlung zu unterlassen, bezeichnet die Politikerin als »unmögliche Lage«.
Die Bedeutung des Urteils geht über den Fall Volz hinaus: Denn mit der Krankenhausreform werden künftig immer mehr Krankenhäuser fusioniert, darunter werden weitere katholische Träger sein. Eine ähnliche Fusion wie in Lippstadt steht demnächst auch in Flensburg an.
Für die Rechtswissenschaftlerin Anna Katharina Mangold, Professorin für Europarecht an der Europa-Universität Flensburg, ergeben sich daraus verfassungsrechtliche Bedenken: Zum einen teile eine Zusammenschluss eines katholischen und evangelischen Krankenhauses keine einheitliche Glaubenslehre, weshalb sich ein solcher Betrieb nicht auf ein »religiös begründetes kollektives Weigerungsrecht« berufen könne.
Zum anderen besteht laut Verfassungsgericht eine Verpflichtung der Länder, ein »ausreichendes und flächendeckendes Angebot sowohl ambulanter als auch stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen«. Nordrhein-Westfalen verfüge aber nicht einmal über eine entsprechende Datenbasis, könne folglich auch nicht beurteilen, wie sich die Fusion in Lippstadt auf die Versorgungslage auswirke. »Unter diesen Bedingungen dürfen die Landesregierungen die Weigerung gemischt-konfessioneller Krankenhäuser, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, nicht akzeptieren«, schreibt Mangold in einem Artikel für den Verfassungsblog.
Dabei ist anzumerken, dass auch der vorherige evangelische Arbeitgeber von Volz keine Schwangerschaftsabbrüche nach der sogenannten Beratungslösung gemäß § 218a StGB zuließ – also Abbrüche, die innerhalb der ersten zwölf Wochen nach einer verpflichtenden Schwangerschaftskonfliktberatung zwar rechtswidrig, jedoch straffrei sind. Wenigstens etwas Gutes hat der Fall in diesem Zusammenhang, findet Volz: »Mit dem Urteil habe ich erreicht, dass der Berufsverband der Frauenärzte ein neues Selbstbewusstsein im Umgang mit Paragraf 218 an den Tag legt – schließlich sind es ja auch wir Gynäkologen, die damit diskriminiert werden.«
Im August 2024 bewarb sich der Chefarzt bei der CDU Bielefeld für die Bundestagskandidatur. Kann er sich vorstellen, noch einmal in die Politik zu gehen? »Wenn es notwendig ist, natürlich auch das«, sagt er dem »nd«. »Aber das hängt nicht von mir ab – ich bräuchte auch eine Partei, die mich entsprechend fördert.«
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