Ulrich Sander: Unbeirrbar und unermüdlich

»Lebensmotto Frieden und Antifaschismus« – ein Film über die geschichtspolitischen Aktivisten Traute und Ulrich Sander

  • Bernd Kant
  • Lesedauer: 5 Min.
Ulrich und Traute Sander in Mittenwald bei einer Protestkundgebung gegen die Gebirgsjäger und ihre braune Tradition
Ulrich und Traute Sander in Mittenwald bei einer Protestkundgebung gegen die Gebirgsjäger und ihre braune Tradition

Die gegenwärtige Kinolandschaft wird geprägt von Blockbuster und Nischen-Film – für kritische Dokumentation ist im kommerziellen Kino kein Platz. Umso verdienstvoller ist es, dass Filmemacher aus Nordrhein-Westfalen über zwei Aktivisten, Traute und Ulrich, kurz »Ulli«, Sander, die seit Jahrzehnten in der antifaschistischen und Friedensbewegung der alten Bundesrepublik aktiv sind, ein biografisches Porträt drehten.

Anfang Juli hatte der Film »Lebensmotto Frieden und Antifaschismus« in einem Dortmunder Alternativkino Premiere. Nicht nur in Dortmund und Hamburg, auch in vielen anderen Teilen der Bundesrepublik sind Ulli und Traute Sander als langjährige Aktivisten der antifaschistischen und Friedensbewegung bekannt und werden als Gesprächspartner geschätzt. Hinzu kommt, dass Ulli Sander als Journalist bis heute in verschiedenen Zeitschriften publiziert und auch als Autor zahlreicher Bücher bekannt ist. Beide stehen stellvertretend für die Frauen und Männer, die sich in den vergangenen Jahrzehnten für die antifaschistischen Ideale eingesetzt haben, die in den Kernaussagen »Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!« mündeten.

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Da die Zeit der Zeitzeugen des antifaschistischen Widerstands, inzwischen auch der Frühphase der Bundesrepublik Deutschland aus biologischen Gründen unwiederbringlich zu Ende geht, sind es jetzt die Angehörigen der zweiten Generation, die als Vermittler dieser historischen Perspektive in den Fokus rücken. Und so machten sich Aktivisten der alternativen Medienarbeit, der Fotograf Jochen Vogler und der Filmemacher Martin Bauer, unterstützt durch den Historiker Ulrich Schneider, auf den Weg, mit Interviews und historischem Bildmaterial sich diesen beiden Personen der Zeitgeschichte zu nähern. Als Vorteil erwies es sich, dass die Macher des Films und die Protagonisten sich seit Jahrzehnten aus der gemeinsamen geschichtspolitischen Arbeit kannten. Es gab keine Missverständnisse oder Barrieren, die überwunden werden mussten. Man merkt den Filmsequenzen an, dass hier Personen auf Augenhöhe miteinander kommunizieren.

Erschienen zum 80. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg, kommen in diesem Film die Protagonisten und ihre Kooperationspartner selber zu Wort. Sie berichten überzeugend und mit eigener Betroffenheit von ihren Erfahrungen und den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahrzehnte in der alten Bundesrepublik. Und so stehen im Zentrum des Filmes Gespräche nicht nur mit Traute und Ulli Sander, sondern auch Beate Klarsfeld und Nicole Mattern von der Vereinigung »Kinder vom Bullenhuser Damm«, mit Mitstreitern der »Angreifbaren Traditionspflege« und anderen.

In acht Kapiteln behandelt dieser Film verschiedene Facetten der antifaschistischen und Erinnerungsarbeit, an denen insbesondere Traute und Ulli Sander beteiligt waren. Im ersten Kapitel »Kindheit und Verbrechen Bullenhuser Damm« berichtet Ulli Sander: »Meine älteste Erinnerung an meine Kindheit im Krieg sieht mich als kleinen Jungen in brennenden, bombardierten Straßen Hamburgs. Krieg und Faschismus begann ich früh zu hassen, hörte die Erzählungen der Kameraden meiner Eltern, die aus den KZs zurückkehrten. Ich kam 1947 zur Schule – es war die Schule am Bullenhuser Damm, in der zwei Jahre zuvor bei Kriegsende 20 jüdische Kinder und ihre Betreuer von der SS ermordet worden waren.«

In der Konsequenz engagierten sich Traute und Ulli Sander, wie es im zweiten Kapitel unter der Überschrift »Geschwister-Scholl-Jugend und Helmuth Hübener« heißt, in der Vereinigung der Verfolgten des Nazizregimes (VVN) Hamburg, für deren antifaschistische Jugendarbeit und den Aufbau der Geschwister-Scholl-Jugend. Ein wichtiger Punkt war die Recherche und Publikation zum Jugendwiderstand, zur Weißen Rose Hamburg und zur Helmut-Hübener-Gruppe, auf die selbst der Literaturnobelpreisträger Günter Grass Bezug nahm.

Für Traute und Ulli Sander gehören »Nie wieder Krieg!« und »Nie wieder Faschismus!« untrennbar zusammen, weshalb sie mit der Geschwister-Scholl-Jugend bereits an den ersten Ostermärschen beteiligt waren. Eine eindrucksvolle Bilderstrecke zeigt die Kontinuität ihres Engagements.

Weitgehend vergessen ist die Auseinandersetzung mit alten Nazis in öffentlichen Ämtern der BRD, zum Beispiel Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. In dem Film berichtet Beate Klarsfeld (Paris) über ihre Zusammenarbeit mit dem Jugendinformationsdienst und über Ulli Sanders Unterstützung bei der politischen Auseinandersetzung nach der legendären Ohrfeige für Bundeskanzler Kiesinger.

Die historische Erinnerung, nicht nur an die Verfolgten des Naziregimes, sondern auch an Täter und Profiteure des NS-Regimes war viele Jahre Ulli Sanders Anliegen. Zusammen mit der VVN-BdA Nordrhein-Westfalen beschäftigte er sich mit den Verbrechen der Wirtschaft, die von ihrer aktiven Mitwirkung am faschistischen Regime profitiert hat. Dabei ging es um eine gesellschaftliche Erinnerung, wie sie jetzt durch die Errichtung eines Denkmals für die Zwangsarbeiter am Dortmunder Phoenix-See sichtbar gestaltet wurde.

Für die VVN-BdA und das Internationale Rombergpark-Komitee forschte und publizierte Ulrich Sander über faschistische Verbrechen in der Endphase des Zweiten Weltkrieges. Bezeichnenderweise wurde Ulli Sander wegen solcher antifaschistischen Arbeit jahrzehntelang vom bundesdeutschen Inlandsgeheimdienst beobachtet und vielfach in den Jahresberichten des Verfassungsschutzes erwähnt. Das hielt Ulli und Traute Sander nicht zurück, sie machten unbeirrbar und unermüdlich weiter.

Ein besonderes Kapitel beschäftigt sich mit den Aktionen gegen militaristische Traditionspflege beim Treffen der Gebirgsjäger in Mittenwald. Mitglieder der Gruppe »Angreifbare Traditionspflege« sowie Traute und Ulrich Sander schildern die langjährige Kampagne der VVN-BdA in NRW und anderer Initiativen zur Entlarvung der Veteranen der Gebirgsjäger in Mittenwald als SS-ähnliche Mördertruppe – eine Kampagne, die schließlich mit einem Erinnerungsmal vor einer Schule in Mittenwald erfolgreich abgeschlossen werden konnte.

Für Traute und Ulrich Sander gehören »Nie wieder Krieg!« und »Nie wieder Faschismus!« untrennbar zusammen.

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Der Film stellt in allen Sequenzen die Frage: Hat es sich gelohnt? Ja. Und für Traute und Ulrich Sander bleibt es weiterhin wichtig, dass Erinnerungen weitergegeben werden, gerade wegen der zunehmenden Aktivitäten von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten. Der Film dokumentiert den Auftritt der »Kinder des Widerstands« gegen den Bundesparteitag der AfD in Essen. Somit liefert dieser Film nicht nur eine Erinnerung an die politische Wirklichkeit in der früheren BRD, einen Rückblick auf die Herausforderungen antifaschistischen Handelns in den vergangenen Jahrzehnten, sondern er macht auch Mut, sich heute und morgen zu engagieren.

Dank gilt dem Medienportal r-mediabase, der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Nordrhein-Westfalen, der VVN-BdA und zahlreichen Einzelspendern, die den Film, empfehlenswert für den Schulunterricht oder andere öffentliche Veranstaltungen, finanziell ermöglicht haben.

»Lebensmotto Frieden und Antifaschismus«, ein Film von Jochen Vogler und Martin Bauer, unter Mitarbeit des Historikers Ulrich Schneider. 70 Min. Kopien können für 20 Euro bezogen werden über r-mediabase, Samoastr. 12, 42277 Wuppertal und unter R-mediabase »Lebensmotto: Frieden und Antifaschismus. Ulli und Traute Sander« - UZ-Shop

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