Streichen statt aufklären

Linke sieht strukturelles Versagen im Fall des homosexuellen Lehrers Oziel Inácio-Stech

Oziel Inácio-Stech berichtete im Mai über homophobes Mobbing, das er an einer Moabiter Schule erfahren habe.
Oziel Inácio-Stech berichtete im Mai über homophobes Mobbing, das er an einer Moabiter Schule erfahren habe.

Hat die Bildungsverwaltung darin versagt, einen homosexuellen Lehrer vor Mobbing zu schützen? Diesen Vorwurf erhebt die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Die Antwort der Senatsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage habe gezeigt, dass der Pädagoge Oziel Inácio-Stech »alleingelassen« worden sei, schreibt die Linksfraktion in einer Pressemitteilung. Der Lehrer sei an der Carl-Bolle-Grundschule in Moabit wegen seiner Homosexualität diskriminiert worden.

Inácio-Stech war im Mai in der »Süddeutschen Zeitung« mit Vorwürfen an die Bildungsverwaltung an die Öffentlichkeit gegangen. Der Mann, der an der Carl-Bolle-Grundschule als pädagogische Hilfskraft angestellt war, berichtete, dass er jahrelang mit homophoben Anfeindungen durch die Schülerschaft konfrontiert gewesen sei, nachdem bekannt geworden war, dass er schwul ist. Beschwerden bei der Schulleitung, der Schulaufsicht und später der Bildungssenatsverwaltung seien ausweichend beantwortet worden. In persönlichen Gesprächen legte die Schulleitung Inácio-Stech nahe, seine Homosexualität nicht zu thematisieren, weil es an der Moabiter Schule viele Schüler aus »traditionellen Elternhäusern« gebe, zitiert die »Süddeutsche« aus einem Gesprächsprotokoll.

Stattdessen habe es Versuche gegeben, ihn aus dem Kollegium zu mobben. So habe die Schulleitung eine Strafanzeige gegen ihn gestellt, weil er Kindern im Unterricht körperlich und emotional zu nahe gekommen sei, was eine Verletzung der dienstlichen Fürsorge- und Erziehungspflicht darstelle. Entsprechende Hinweise hatte eine andere Lehrkraft gegeben. Die Polizei stellte das Verfahren ein, nachdem sie eine vorgeblich betroffene Schülerin befragt hatte. Inácio-Stech ist mittlerweile nicht mehr als Lehrkraft tätig.

Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hatte bereits im Juni im Abgeordnetenhaus erklärt, dass in dem Fall »von einem Systemversagen beziehungsweise fehlenden Arbeiten der zuständigen Stellen zu keinem Zeitpunkt die Rede sein kann«. An dieser Auffassung halte man auch weiterhin fest, schreibt die Bildungsverwaltung nun als Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion.

So habe die Schule als Reaktion auf den Fall »Präventionsmaßnahmen« ergriffen. Die Antwort der Senatsverwaltung zeigt allerdings auch, dass diese recht spärlich waren. So wurde als einzige Maßnahme ein Elternabend »zur Aufarbeitung der Geschehnisse und Sensibilisierung zum Thema Diskriminierung« einberufen, wie es in der Senatsantwort heißt. Doch dieser Elternabend fiel offenbar wegen mangelnder Anmeldungen aus.

Als einzige Maßnahme wurde ein Elternabend einberufen – der jedoch mangels Anmeldungen ausfiel.

Ein psychologisches Unterstützungsangebot wurde Inácio-Stech nicht unterbreitet, wie die Senatsverwaltung bestätigt. Stattdessen wurde im Lehrerzimmer nur ein Aushang angebracht, der generell auf entsprechende Angebote verwies. Ob der Senat dieses Vorgehen für angemessen hält, lässt die Verwaltung unbeantwortet.

Widersprüchlich bleibt weiterhin, ab wann Günther-Wünsch selbst über die Vorgänge informiert war. Inácio-Stech hatte sich im Dezember vergangenen Jahres mit einem Einschreiben direkt an die Bildungssenatorin gewandt. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe gab Günther-Wünsch an, den Brief erst im Mai selbst gelesen zu haben. Später korrigierte sie, dass ihr der Brief bereits im Dezember vorgelegt worden sei. »Im Leitungsstab der SenBJF wurde sichergestellt, dass die Senatorin das an sie persönlich gerichtete Schreiben zeitnah zur Kenntnis nahm«, heißt es jetzt in der Senatsantwort. Gespräche mit den zuständigen Stellen führte sie nach Senatsangaben aber erst, nachdem die Vorwürfe im Mai bekanntgeworden waren. Das Schreiben von Inácio-Stech hatte sie zuvor lediglich an die Schulaufsicht in Mitte weitergeleitet, die den Fall zuvor bereits bearbeitet hatte.

Ein »Armutszeugnis« nennt Franziska Brychcy die Antwort des Senats. »Die Verantwortungslosigkeit des Senats stellt in Frage, ob Lehrkräfte und Schüler noch offen ihre sexuelle Orientierung zeigen können«, sagt die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Der Fall zeige, dass es »strukturelle Versäumnisse« bei den beteiligten Institutionen gebe.

»Bis heute wurden keine Maßnahmen ergriffen, um solche Vorfälle zukünftig zu verhindern«, so Brychcy. Stattdessen setze der Senat nun den Rotstift bei Unterstützungsangeboten für queere Lehrkräfte und Schüler an. So sollen nach dem Entwurf für den Doppelhaushalt 2026/2027 die Mittel für das Projekt I-Päd, das bislang Fortbildungen für Lehrkräfte anbot, und für die Fachstelle Queere Bildung vollständig gestrichen werden.

Zur Begründung verweist die Bildungsverwaltung auf eine »Neupriorisierung« der vorhandenen Mittel. Vergleichbare Angebote gebe es beim sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg, an den Volkshochschulen und der Landeszentrale für politische Bildung. I-Päd könne erhalten bleiben, weil die Senatsverwaltung für Arbeit die Förderung übernehme.

Brychcy stellt das nicht zufrieden: »Das ist eine Bildungsangelegenheit.« Die Förderung müsse entsprechend auch aus dem Budget der Bildungsverwaltung erfolgen. Die Angebote an anderen Orten stellten kein Äquivalent zur Arbeit der bisherigen Stellen dar. So biete die Landeszentrale für politische Bildung etwa nur vereinzelt Veranstaltungen zu Homophobie an Schulen an – ein Ersatz für das Fortbildungs- und Beratungsangebot der Fachstelle sei das nicht. »Die Angebote sollen aus ideologischen Gründen gestrichen werden«, sagt Brychcy.

»Das Weiterbestehen der Projekte muss gesichert werden«, fordert Brychcy. »Das wäre das Minimum.« Langfristig könne sogar über einen Ausbau nachgedacht werden.

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