Zugezogene erobern Berlin: Möwen siedeln in der Hauptstadt

Immer mehr Möwen siedeln nach Berlin über

Neuberliner: Immer mehr Möwen zieht es in die Hauptstadt.
Neuberliner: Immer mehr Möwen zieht es in die Hauptstadt.

Wenn der Urlaub nach Berlin kommt: Die meisten Menschen verbinden Möwen mit Strand und Meer – doch inzwischen sieht man die Vögel mit dem schneeweißen Gefieder immer häufiger auch in der Berliner Innenstadt. Und das, obwohl die Hauptstadt immerhin über 200 Kilometer von der Ostseeküste entfernt liegt.

Haben sich die Vögel also nach Berlin nur verirrt? Mitnichten. »Möwen sind nicht an das Meer gebunden«, sagt Derk Ehlert, Wildtierbeauftragter des Senats. Kleinere Möwenarten wie Lachmöwen gebe es in Berlin schon immer. Seit etwa 30 Jahren werden auch Großmöwen, wie etwa Silbermöwen, hierzulande gesichtet – und seit gut zehn Jahren beobachte man, dass sich diese Großmöwen in Berlin auch zum Brüten niederließen.

»Durchaus erstaunlich« findet es Ehlert, dass sich die Möwen in Berlin ansiedeln. Doch es gibt eine Erklärung: »An den Küsten finden Möwen nicht mehr genügend Brutstätten und Nahrung«, sagt Ehlert. »Die Idylle, die man beim Gedanken an das Meer im Kopf hat, gibt es so nicht mehr.« Die kleinen unbewachsenen Steininseln, die Möwen als Brutstätten bevorzugen, würden inzwischen häufig auch von Menschen frequentiert, die Konkurrenz um Nahrung sei groß. Daher wichen Teile der naturgemäß recht mobilen Populationen auf andere Gebiete aus.

Dass die Möwen ausgerechnet die trubelige Großstadt Berlin aufsuchen, um Ruhe zu finden, mag überraschen. Doch hier finden sie ideale Bedingungen. »Berlin bietet den perfekten Ersatz zum Brutplatz einsame Insel«, sagt Ehlert. Nämlich Flachdächer. Hier bleiben die Vögel ungestört und können gut geschützt vor Fressfeinden ihre Küken aufziehen. Ein weiterer Vorteil: Die flachen Dächer sind einfach überschaubar, nahende Fremdlinge werden schon auf die Entfernung erkannt.

Auch Nahrung finden die Möwen reichlich in der Hauptstadt. Ganz oben auf der Speisekarte steht ein Möwen-Klassiker: Fisch. Hier bedienen sich die Möwen einfach bei den Beständen in den Berliner Gewässern. Die Entfernung zu den innerstädtischen Brutstätten stellt kein Problem dar. »Für Vögel ist es kein großer Akt, mal eben zum Müggelsee zu fliegen«, sagt Derk Ehlert. Die dort erbeuteten Fische können dann nach der Rückkehr zum Nest einfach wieder hochgewürgt und an den Nachwuchs verfüttert werden.

Und auch abseits maritimer Delikatessen hat Berlin kulinarisch einiges zu bieten. Zahlreiche von Menschen hinterlassene Essensabfälle laden zum Schlemmen ein. Bei den Küken achten die Eltern aber auf nahrhafte Kost. »Die geben den Jungtieren keinen Döner«, versichert Ehlert. Hier bleibt frischer Fisch die Präferenz. Aber auch Mäuse und kleine Ratten werden von den Möwen erbeutet.

Etwa 400 Großmöwen leben in Berlin, schätzt Ehlert. Sicher kann man das nicht sagen. Denn Möwen leben nur begrenzt sesshaft und wechseln mehrmals im Leben den Wohnort. Die örtliche Population ist also von ständigem Zu- und Wegzug geprägt.

Naturschützer und Forscher beringen die Jungtiere systematisch – sie bringen also kleine Ringe an, die mit einer Nummer versehen sind. So kann das Tier später wieder identifiziert werden. »In Berlin geborene Möwen konnten schon in ganz Europa gesichtet werden«, sagt Ehlert. Vor allem junge Möwen kommen viel rum: Kurz nachdem die Jungtiere flügge geworden sind, treten sie eine mehrjährige, Tausende Kilometer lange Wanderung an. Zur Brut kehren sie dann zumeist an ihren Geburtsort zurück. Ältere Möwen sind dagegen eher standorttreu.

Wildtiere in Berlin

Während wir zur heißen Jahreszeit weiter im Büro schwitzen und das Parlament in den Ferien ist, tapst und kratzt und raschelt und flattert die Berliner Tierwelt wie gewohnt durch die Stadt. Wir nehmen uns von Woche zu Woche ein Berliner Wildtier vor. Jeden Dienstag vom 15. Juli bis zum 2. September erwarten Sie an dieser Stelle spannende Geschichten aus dem Großstadtdschungel!

Die wohl größte Möwenkolonie Berlins befindet sich an einem prominenten Ort: Etwa 200 Brutpaare wurden in diesem Jahr auf dem Dach des Kaufhauses Alexa am Alexanderplatz gezählt. Die große Fläche bietet ideale Bedingungen für die Aufzucht des Vogelnachwuchses. Nahrung gibt es in der Spree und auf dem stark frequentierten Alexanderplatz mehr als genug.

»Der Besitzer unterstützt den Bestand der Kolonie«, sagt Derk Ehlert. Das heißt vor allem: Zutritt verboten. »Wenn ein Mensch das Flachdach betreten würde, würde direkt eine Massenpanik unter den Vögeln ausbrechen«, so Ehlert. Sie müssten in jedem Fall in Ruhe gelassen werden.

Größere Konflikte zwischen Möwe und Mensch gibt es nur selten. »Manche fühlen sich von dem lauten Jauchzen gestört«, sagt Ehlert. Doch sonst gebe es nur wenige Beschwerden, Mensch und Möwe lebten die meiste Zeit nebeneinander her, ohne in Kontakt zu treten.

Ein Grund mehr, warum Ehlert optimistisch auf die Zukunft der Möwen blickt. »Wir gehen davon aus, dass sich der Bestand noch erhöhen wird«, sagt er. Zuletzt habe man beobachtet, dass Möwen neue Kolonien auf Dächern in Neukölln und Spandau errichtet hätten. Im Weg stehen kann da nur noch die Stadtplanung: »Möwen wollen immer am höchsten Punkt sein«, berichtet Ehlert. Würden höhere Gebäude um ein bebrutetes Dach herum gebaut, gäben die Möwen den Ort schnell auf und suchten sich eine neue Brutstätte.

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