Der Kampf, der schon gewonnen ist

Ein kalkuliert plumpes Buch von Julia Ruhs warnt vor der »Links-grünen Meinungsmacht«

  • Michael Bittner
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein Angstgespenst der Konservativen: Zur Sonne, zur Freiheit, zur Meinung.
Ein Angstgespenst der Konservativen: Zur Sonne, zur Freiheit, zur Meinung.

In kurzer Zeit ist der Journalistin Julia Ruhs ein bemerkenswerter Aufstieg gelungen. Geboren 1994 und aufgewachsen in der schwäbischen Provinz, begann sie nach einem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaft eine Karriere beim Bayerischen Rundfunk als Regionalreporterin. Ihre Förderung durch die Konrad-Adenauer-Stiftung und ihre Mitgliedschaft im Ring Christlich-Demokratischer Studenten waren dabei gewiss nicht hinderlich. Der BR hielt Ruhs bald für geeignet, auch überregional als konservative Stimme in Erscheinung zu treten. Einer größeren Öffentlichkeit wurde sie bekannt, als sie 2021 im »ARD-Mittagsmagazin« einen Kommentar gegen Gendersprache sprach, dem folgte 2023 eine Tirade gegen »illegale Einwanderung« in den »Tagesthemen«.

Dass das Publikum einmal nicht durch einen alten Mann, sondern durch eine junge Frau von rechts beschallt wurde, dürfte ebenso zum Erfolg beigetragen haben wie der erwartbar erregte Widerspruch, so etwa von Jan Böhmermann. Ruhs wurde mit einer Kolumne bei »Focus Online« und einer eigenen Fernsehsendung mit dem Titel »Klar« belohnt. Schon die erste Folge sorgte wieder für Diskussionen: Haarsträubend einseitig und emotional manipulativ stellte Ruhs darin Migration als Bedrohung dar.

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Wie in der Medienbranche üblich wird die Fernsehprominenz von Julia Ruhs nun auch noch durch eine Buchveröffentlichung kommerziell abgemolken. Auf dem Cover prangt neben ihrem Fernsehgesicht der Titel »Links-grüne Meinungsmacht«, der über den Inhalt des Buches schon alles Wesentliche aussagt. Sollte Julia Ruhs über eine ungewöhnlich breite Bildung oder ein besonderes sprachliches Talent verfügen, gelingt es ihr sehr gut, dies in ihrem Debüt zu verbergen. Dem kalkuliert plumpen Buch ist der Bestsellererfolg in Deutschland sicher.

Was in Ruhs’ Buch steht, hätte der Sache nach auch in einen Zeitungsartikel gepasst. Um dennoch 192 Seiten zu füllen, zitiert die Autorin seitenlang aus Fanpost von Wutbürgern und Schriften von gleichgesinnten Querdenkern wie Wolfgang Kubicki, Harald Martenstein oder Vince Ebert. Originelle Gedanken sucht man vergebens. Stattdessen gibt es »Meinungskorridore«, »Haltungsjournalismus«, »Gutmenschenaufläufe«, eine »Nazi-Keule« und eine »Konsens-Republik« – ja sogar die gute alte »Schweigespirale« dreht sich noch einmal. Wo Ruhs politisch steht, weiß man, wenn man liest, dass sie die »FAZ« für »Mitte« und die »Taz« für »sehr links« hält. Von der extremen Rechten distanziert sie sich aber natürlich pflichtschuldig – ihren Job beim Bayerischen Rundfunk möchte Ruhs gern behalten.

Die These ihres Buches ist einfach: In den Redaktionen seien Menschen mit links-grüner Haltung weit in der Überzahl, darum werde in Deutschland Journalismus einseitig betrieben. Unbequeme Meinungen und Tatsachen würden verschwiegen. Ein uralter Vorwurf der Konservativen, der schon unter Helmut Kohl gern benutzt wurde. Ruhs zufolge fühle sich ein großer Teil des Publikums nicht mehr medial repräsentiert und suche sich rechte »Alternativmedien«.

Diese füllten die entstandene Lücke, so wie auch die AfD ein Vakuum am rechten Rand besetzt habe. Bei der rechten Kundschaft verfängt diese Opfererzählung seit vielen Jahren, allen anderen dürften Einwände in den Sinn kommen: Dass im Journalismus Linksliberale überrepräsentiert seien, mag durch Umfragen beweisbar sein, aber offenkundig haben auch rechte Medien keine Mühe, ihre Stellen zu besetzen und regelmäßig mit großem Erfolg zu erscheinen. Warum sollte die Meinungsvielfalt gefährdet sein, wenn das Publikum die Manipulation angeblich mühelos durchschaut und dann zu rechten Medien wechselt? Wie stark kann die links-grüne Medienmacht sein, wenn inzwischen rechte Parteien überall in der Mehrheit sind?

Ruhs’ Behauptung, linksliberale Journalisten arbeiteten tendenziös, wirkt albern angesichts der Einseitigkeit des rechten Kampagnenjournalismus, in den sich auch ihre eigenen Beiträge einfügen. Der Vorwurf, Linke nutzten – etwa beim Thema Migration – die »Mitleidsmasche«, klingt hohl von einer Autorin, die in ihrer Fernsehsendung den Vater eines Mädchens, das von einem Geflüchteten ermordet wurde, zur Dramatisierung ihrer Thesen benutzt hat. Der Ruf nach Politikferne käme besser nicht von einer Journalistin, die ihre Karriere vor allem politischem Proporz zu verdanken hat. Das Ziel all dessen ist offenkundig und weithin auch schon erreicht: Linksliberale Journalisten sollen sich aus schlechtem Gewissen um Neutralität oder Ausgewogenheit bemühen, während rechte Journalisten einfach weiter rechten Journalismus machen. Julia Ruhs kommt mit ihrem Buch zu spät. Sie zieht in einen Kampf, der schon gewonnen ist. Sollte es je eine linksliberale Hegemonie in den Medien gegeben haben, ist die längst vorbei.

Ein Buch wie das ihre ist allerdings auch eine Falle. Weil so viele ihrer Thesen unhaltbar und offenkundig interessengeleitet sind, kann es Linke dazu verführen, sich über alle Kritik erhaben zu fühlen. Manchmal trifft Ruhs aber tatsächliche Schwachpunkte, wenn auch nur, weil sie mit der Schrotflinte zielt. Ebenso amüsant wie zutreffend zum Beispiel die Erklärung dafür, warum Linke immer noch, Rechte aber nicht mehr in den kriselnden Journalismus wollen: »Konservativ Gesinnte sind oft weniger idealistisch, ihnen ist Geld wichtiger.«

Nicht verkehrt ist auch der Hinweis der Autorin, der Verlust von ökonomischer Sicherheit und Prestige im klassischen Journalismus führe zu fatalen neuen Abhängigkeiten. Auch nicht völlig von der Hand zu weisen ist die These, eine allzu moralisierende und pädagogische Attitüde linksliberaler Medienmacher habe in den vergangenen Jahren weniger Aufklärung als eine trotzige »Reaktanz« bei Teilen des Publikums erzielt.

Progressive Journalistinnen und Journalisten sollten durchaus einmal selbstkritisch prüfen, warum sie in den Meinungskämpfen der vergangenen Jahre das Schlachtfeld so oft als Verlierer verlassen haben. Mit dem Hinweis auf Fake News und den Einfluss von Milliardären ist es nicht getan. Das Buch von Julia Ruhs benötigen sie für eine solche Analyse aber wahrlich nicht.

Julia Ruhs: Links-grüne Meinungsmacht. Die Spaltung unseres Landes. Langen Müller, 192 S., br., 20 €.

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