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- Militarisierung in Deutschland
Deutschland im Kriegsrausch
Mithu Sanyal über den Unsinn der Militarisierung in Deutschland
Auf der Herzogstraße in Düsseldorf hängt ein Mural. Und während ich noch denke, wie schön, merke ich, dass das kein Wandgemälde ist, sondern eine Werbung für die Bundeswehr: »Wie weit bist du bereit, für unsere Demokratie zu gehen?« Wie weit ... what the fuck?
Auf Anhieb fällt mir nichts ein, was weniger demokratisch ist als Militär. Dort wird nicht darüber abgestimmt, gegen wen wir Krieg führen. Entschuldigung! Gegen wen wir uns verteidigen. Bad, very bad, Donald Trump hat sein Verteidigungsministerium gerade in Kriegsministerium umbenannt – wir würden so etwas nie machen. Wahrscheinlich, weil ein »Deutsches Kriegsministerium« unangenehme Erinnerungen weckt. Die deutsche Armee als stärkste Europas allerdings auch. Die hatte Friedrich Merz dennoch direkt in seiner ersten Regierungserklärung gefordert. Es ist ein Zeichen dafür, wie erschüttert wir alle über diese politische Wende sind, dass wir nicht den ganzen Tag lang schreien. Laut. Auf allen Kanälen.
Und dann erklären mir wirklich geschätzte Kolleg*innen, dass das zwar bedauerlich, aber leider notwendig sei, weil morgen der Russe vor der Tür stünde. Bin ich durch ein Zeitloch gefallen?
Mithu Melanie Sanyal ist Schriftstellerin, Journalistin und Kulturwissenschaftlerin, Tochter eines indischen Ingenieurs und einer polnischstämmigen Sekretärin, aufgewachsen in Düsseldorf. In ihren Sachbüchern und Romanen – ihr erster: »Identitti« war ein Riesenerfolg, in ihrem zweiten: »Antichristie« geht es um den bewaffneten Kampf gegen das Empire –, in Hörspielen und Essays verhandelt sie Fragen von Feminismus, Rassismus und sexueller Gewalt. Was Mithu Sanyal veröffentlicht, löst Debatten aus, und zwar ergiebige. Sie wird für uns über alles zwischen Alltag, Politik und Literatur schreiben.
Den Auftakt machte Jens Spahn (CDU), als er diesen Oldie but Goldie im März völlig unironisch in die Debatte schob. Warum reden wir nicht lieber über seine Maskenaffäre, anstatt diese Parole zu wiederholen? Was mir aber vor allem nicht in den Kopf will, ist: Gesetzt den Fall, das wäre wirklich so, warum ist die Bundeswehr dann im Kosovo, im Mittelmeer, im Südsudan, im Irak, in Jordanien, im Libanon, in Litauen, um nur einige zu nennen, anstatt uns hier vor Putin zu beschützen? Randnotiz: Würden wir unsere Truppen zurückziehen, hätten wir nicht nur genug Soldat*innen, sondern auch Panzer und anderes Kriegsgerät, um uns im Ernstfall zu verteidigen. Aber unsere Demokratie wird eben auch am Hindukusch verteidigt.
Und genau das ist der Grund, warum ich gegen die gerade so notgeil diskutierte Wiedereinführung der Wehrpflicht bin. Ich vertraue der von mir nicht gewählten Regierung schlicht nicht, dass sie Kriege führt, die ich nicht zutiefst unmoralisch finde. Ebensowenig wie ich ihr vertraue, dass sie keine Waffen an Staaten exportiert, die Völkermord begehen. Ach was, streicht »vertrauen«: Ich stehe nicht hinter den Kriegen, an denen Deutschland beteiligt ist, und ich fordere die Bundesregierung auf, keine Waffen mehr zu exportieren!
Wunderbarerweise bin ich damit nicht alleine: Beratungsstellen melden einen sprunghaften Anstieg von Kriegsdienstverweigerern. Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) hat gerade ihre Strategie geändert. Hieß es bisher: Keine schlafenden Hunde wecken – denn wer verweigert, muss sich mustern lassen, sonst ist die Verweigerung ungültig –, rät die DFG-VK nun allen ab 2010 Geborenen, zu verweigern. Schließlich hat der Bundesgerichtshof am 16. Januar beschlossen, dass Kriegsdienstverweigerung im Kriegsfall verboten ist.
Wie weit bist du bereit, für unsere Demokratie zu gehen?
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