Münchner für Verbrechen in Gaza angezeigt

Soldat soll mit anderen Scharfschützen Unbewaffnete im Gazastreifen getötet haben

Eine an einer verlassenen Stellung israelischer Scharfschützen in Gaza gefundene Patrone.
Eine an einer verlassenen Stellung israelischer Scharfschützen in Gaza gefundene Patrone.

Das in Berlin ansässige European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat mit zwei palästinensischen Menschenrechtsorganisationen bei der Bundesanwaltschaft eine Strafanzeige gegen einen Münchner eingereicht. Als Angehöriger der israelischen Streitkräfte soll der heute 25-Jährige mit einem weiteren Soldaten seiner Einheit an gezielten Tötungen unbewaffneter Zivilist*innen im Gazastreifen beteiligt gewesen sein. Über diese mutmaßlichen Verbrechen hatten am Dienstag der britische »Guardian«, der »Spiegel« und das ZDF sowie eine Zeitung aus Belgien und ein arabisches Journalistennetzwerk berichtet.

Im Mittelpunkt der gemeinsamen Recherche steht der Fall der Familie Doghmosh aus Gaza-Stadt. Am 22. November 2023 wurden in kurzer Folge vier ihrer Mitglieder von Scharfschützen erschossen, zwei weitere schwer verletzt. Dass die Opfer unbewaffnet waren, belegen laut den internationalen Medien medizinische Unterlagen und geolokalisierte Bildaufnahmen von Tat und Tätern.

Die Medien verfügen aber auch über entsprechende Zeugenaussagen: Ein vom »Guardian« Daniel D. genannter Soldat wurde demnach von dem bekannten palästinensischen Journalisten Younis Tirawi unter falschem Vorwand dazu gebracht, sich vor laufender Kamera zu dem Vorgehen in Gaza zu äußern. In einer Gesprächspause kommentierte er freimütig Videos der Erschießungen – dabei lief die Aufnahme des Journalisten weiter. D. belastete sich damit selbst, aber auch seinen in München lebenden Teampartner Daniel G. Die vollen Namen der beiden werden von deutschen Medien nicht genannt.

D. soll in dem Interview damit geprahlt haben, einen 19-Jährigen erschossen zu haben, der lediglich versucht hatte, seinen toten Bruder vom Boden aufzuheben. Bei den Opfern handelte es sich offenbar um zwei Brüder der Doghmosh-Familie. An dem Einsatz sei auch G. aus München beteiligt gewesen. »Auf derselben Achse«, auf der er die Doghhmosh-Brüder erschossen habe, seien weitere Menschen getötet worden, erklärte der US-Bürger. Seinen »Partner« bringt er mit weiteren Tötungen in der Gegend in Verbindung.

Ob Israels Armee die mutmaßlichen Verbrechen wie so oft ignoriert, bleibt offen, da die Pressestelle auf Anfragen dazu keine Antworten gab. Das Rechercheteam konnte keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die vier getöteten Männer einer bewaffneten Gruppe angehörten. Vielmehr sollen die Opfer zu einer Großfamilie gehören, die Medien als Hamas-kritisch beschreiben.

Nach den vorliegenden Erkenntnissen gehörten beide Täter einer Spezialeinheit der israelischen Armee an, die intern als »Ghost Unit« bezeichnet wird und dem berüchtigten 202. Fallschirmjägerbataillon unterstellt war. Ihre Mitglieder – davon viele aus dem Ausland – sollen wiederholt unbewaffnete Zivilist*innen getötet oder verletzt haben. Die Einsätze der »Ghost Unit« sollen auch bei Krankenhäusern erfolgt sein.

Das ECCHR beruft sich in seiner Anzeige auf das Völkerstrafgesetzbuch. Die Bundesregierung sei verpflichtet, Völkerrechtsverbrechen unabhängig von Tatort oder Staatsangehörigkeit der Opfer zu verfolgen – insbesondere wenn diese deutsche Staatsangehörige sind oder in Deutschland geboren wurden. Es bestehe für die deutsche Justiz ein klarer Auftrag zu handeln, erklärte dazu der ECCHR-Jurist Alexander Schwarz – auch wenn es sich um Angehörige einer befreundeten Armee handelt.

Ob es zu Ermittlungen und Anklagen in Deutschland kommt, muss nun die Bundesanwaltschaft entscheiden. In Frankreich, Italien, Südafrika und Belgien wurden bereits ähnliche Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der israelischen Spezialeinheit angestoßen.

Interessant ist ein Vergleich der deutschen und britischen Berichterstattung über die gemeinsame Recherche. Der »Guardian« legte den Fokus auf das Leid der Familie Doghmosh, ordnet die Tötungen aber auch als Teil einer systematischen Praxis der israelischen Armee ein, die besonders Männer zwischen 18 und 40 Jahren trifft. Der »Spiegel« stellt – verständlicherweise – den in München geborenen Scharfschützen in den Mittelpunkt, bettet die Vorwürfe aber in die politischen Folgen des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober 2023 ein.

Beide Medien schreiben aber auch, dass weltweit Forschende, Jurist*innen und Menschenrechtsorganisationen die Tötung sehr vieler Zivilist*innen als Beleg betrachten, dass Israel einen Genozid begeht.

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