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- 1. FC Union Berlin
Klotzen und großkotzen: Unions Fußballerinnen und ihr Präsident
Die Köpenicker Spielerinnen leisten Historisches, der Vereinspräsident erklärt allen anderen den Fußball der Frauen
Wenn die Frauen des 1. FC Union ihr erstes Auswärtsspiel überhaupt in der Bundesliga bestreiten, dann erleben sie gleich sehr viel von dem, was Dirk Zingler so gar nicht gefällt. Das Reiseziel der Berlinerinnen am 2. Spieltag heißt Leverkusen. Und glaubt man den Worten von Unions Vereinspräsident, dann ist Fußball unter dem Bayer-Kreuz so zukunftsweisend wie beispielsweise eine Dampflok.
Wildes Treiben
»Wenn ich sehe, welche finanziellen Möglichkeiten wir im Profifußball haben, ist es beschämend, wie wenig bei den Frauen ankommt«, findet Zingler. Die Fußballerinnen von Bayer Leverkusen spielen seit sieben Jahren in der Bundesliga und verbesserten sich in dieser Zeit stetig, Platz vier in der Vorsaison ist das bislang beste Ergebnis. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, aber wenn man davon ausgeht, dass die Erstligisten durchschnittlich 2,4 Millionen Euro pro Saison für ihr gesamtes Personal ausgeben, weiß man ungefähr, wie groß die Lücke zwischen Fußballerinnen und Fußballern bei Bayer ist. Während der Kader der Männer einen Gesamtwert von fast 400 Millionen Euro hat, meint Leverkusens Geschäftsführer Sport, Simon Rolfes: »Dem Frauenfußball ist nicht geholfen, wenn höhere Gehälter gezahlt werden.« Einem seiner besten Spieler, Florian Wirtz, soll Rolfes 7,5 Millionen Euro pro Jahr gezahlt haben.
Beklagen kann man diese Zustände durchaus, gerade mit Blick auf den Fußball der Männer, in dem es vollkommen normal ist, dass Wirtz für 150 Millionen Euro nach Liverpool wechselt. Plump aber bleibt jede Kritik, wenn keine Lösung angeboten wird. Einerseits spielt Union mit seinen Fußballern im Rahmen der Köpenicker Möglichkeiten bei dem wilden Treiben mit. Und wäre der Verein irgendwann einmal in der Lage, einen Spieler für 150 Millionen Euro zu kaufen, er würde es wahrscheinlich tun. Warum? Weil der Markt das so regelt. Genau diese Antwort gab Unions Präsident nach dem Erstligaaufstieg der Frauen Ende Mai auf »nd«-Nachfrage, was denn angemessene Gehälter für Fußballerinnen seien.
Triste Dienstreise
Zahlen nennt auch Zingler nicht. Der Verein aber investiert ordentlich in seine Frauen – und hat sich in diesem Sommer fast eine komplett neue Startelf nach Köpenick geholt. Mit der Verpflichtung der 22-jährigen Stürmerin Hannah Eurlings hat der 1. FC Union sogar einen neuen Transferrekord im belgischen Fußball der Frauen aufgestellt – 120 000 Euro sollen als Ablöse nach Leuven geflossen sein.
Mit diesem Team will der Aufsteiger sogleich nichts mit dem Abstieg zu tun haben. Das erste, historische Bundesligaspiel endete am vergangenen Sonntag 1:1 gegen den 1. FC Nürnberg. Ein verlorener Punkt für die spielbestimmenden Köpenickerinnen, aber der erste in der Bundesliga. Und das wurde gebührend gefeiert – mit mehr als 11 000 Fans in der Alten Försterei. Damit haben sich die Berlinerinnen hinter dem FC Bayern München und dem Hamburger SV auf Platz drei der Zuschauertabelle eingereiht. In der vergangenen Saison lag der Zuschauerschnitt in der Bundesliga bei knapp 2700, Schlusslicht war Leverkusen. Wahrscheinlich noch weniger als die knapp 1000 Fans, die sich sonst die Spiele der Bayer-Frauen ansehen, werden am Montagabend ins Ulrich-Haberland-Stadion kommen. Für Unions Fußballerinnen kann es also eine sehr triste Dienstreise werden, denn sportlich sehen viele die Leverkusenerinnen als Geheimfavorit.
Zürnender Präsident
Solch ein Szenario lässt Zingler erzürnen. Neben all den Bundesliga-Konkurrenten, die ihre Frauen auf Nebenplätzen spielen lassen, knöpfte sich Unions Präsident vor dem Saisonstart deshalb auch gleich den DFB vor. »Wir müssen in die Stadien, an attraktive Orte, und das Ganze dann auch professionell produzieren«, fordert Zingler. Den Verband kritisiert er dafür, dass der Spieltag in der Bundesliga komplett zerstückelt ist: Von Freitag bis Montag gibt es sieben verschiedene Anstoßzeiten, um jedes Spiel einzeln vermarkten zu können. Man müsse erst mal die Veranstaltung attraktiv machen, bevor man sie multipliziert und in die Wohnzimmer bringt. Der DFB argumentiert, dass dieses Modell so viel Geld in die Kassen spült wie noch nie. Und dass die Einnahmen aus dem Verkauf der Medienrechte von rund fünf Millionen Euro »nahezu eins zu eins« an die Vereine weitergegeben werden und diese dadurch mehr investieren könnten.
Kommt da wirklich ein Großkotz aus Köpenick daher, um allen anderen den Fußball der Frauen zu erklären? Dieser Eindruck entsteht schnell, wenn der Präsident von einem Verein, der seinen Fußballerinnen gerade mal seit zwei Jahren professionelle Bedingungen bietet, sagt: »In Deutschland wird der Frauenfußball kleingehalten.«
Kritik aus der Komfortzone
Trägheit, Ignoranz und Symbolpolitik ist man vom DFB und Klubs im Profifußball gewohnt. Mit seiner Kritik kommt Zingler aber aus einer Komfortzone. Denn im Fußball der Frauen sind Stadien vor allem dort voll, wo es eine starke Bindung der Fans zum Verein gibt. Und da haben Unions Präsident und seine Mitstreiter in nunmehr fast 20 Jahren viel richtig gemacht. In der vergangenen Saison kamen durchschnittlich nicht 7000 Zuschauer in die Alte Försterei, um zwingend den Zweitligafußball ihrer Unionerinnen gegen Weinberg oder Andernach zu bestaunen – sie kamen zum 1. FC Union Berlin. Damit hatte Köpenick den vierthöchsten Zuschauerschnitt in ganz Europa. »Més que un club«, heißt es beim FC Barcelona. Weil dieser für Katalanen »mehr als ein Klub« ist, hält er mit fast 92 000 Zuschauern nicht zufällig den Weltrekord für ein Fußballspiel der Frauen.
Die Belehrungen aus Berlin kamen bei Vereinen oder Verantwortlichen, die schon lange versuchen, den Fußball der Frauen weiterzubringen, bestimmt nicht gut an. Vielleicht sind all jene dabei an Grenzen gestoßen, die auch die Frauen von Union irgendwann stoppen? Verändern werden Zingler und sein Köpenicker Klub jedenfalls nichts, wenn er bei den Frauen nur das ausgibt, »was nötig ist, um sportlich erfolgreich zu sein« und die weitere Entwicklung verantwortlungslos dem Markt überlässt.
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