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Triathlon im Selbstversuch: Alles ist möglich
Nach vier Monaten Training hat’s der nd-Kolumnist gewagt: Triathlon über die olympische Distanz auf Fehmarn. Schon nach 100 Metern wurde es kritisch
Ach, nö, ey! Das darf doch nicht wahr sein. Bitte nicht! Vier Monate habe ich für den heutigen Tag trainiert. Fünf, sechs, sieben Mal die Woche hat mich mein Trainer Rad fahren, laufen oder schwimmen geschickt – Vorbereitung für meinen Triathlonversuch, an dem ich die nd-Leser von Beginn an teilhaben ließ. Heute ist Premiere beim Fehmarn-Triathlon. Das Startsignal für die Olympische Distanz ist ertönt, und ich bin mit 250 Menschen vom Südstrand Burgtiefe ins aufgewühlte Wasser gerannt. Nun aber stehe ich in der 16 Grad kalten Ostsee. Und schwimme nicht. Stattdessen schnappe ich nach Luft.
Die Wellen schlagen mir gegen die Brust, während ich zusehe, wie die Konkurrenz in weißen Wirbeln davonkrault. Langsam wate ich weiter in die Brandung und versuche, meinen rasenden Atem zu beruhigen. Eine schreckliche Enge herrscht in meiner Brust, mein Herz schlägt schnell. An Kraulen ist nicht zu denken. Das ist doch wohl ein Scherz? Nach all den Mühen! Warum ich? Warum jetzt? Ich könnte heulen.
Ich checke meinen Herzschlag auf der Sportuhr: 140 Schläge pro Minute, das ist ganz normal unter Belastung. Ist der neue Neopren vielleicht zu eng? Hab ich den Brustgurt, der meinen Puls misst, zu stark festgezurrt? Oder bin ich einfach nur viel zu aufgeregt? Adrenalin rauscht ja gerade zur Genüge durch mein Blut. Lampenfieber wegen 1,5 km Schwimmen, 43 km Radfahren und 10 km Laufen? Come on!
nd-Redakteur Jirka Grahl probiert Neues, zum Auftakt Triathlon. Am 14.9. war Wettkampfpremiere beim Fehmarn-Triathlon: 1500 m Schwimmen, 43 km Rad, 10 km Lauf.
Beruhigen! Atmung einfangen! Cool bleiben! Ich versuche, mich zu konzentrieren. Noch einmal lasse ich mich ins Wasser gleiten und probiere, ob ich für einen Kraulzug den Kopf eintauchen kann. Japsend hebe ich ihn wieder. Keine Chance. Mein Herz rast. Und ein bisschen mulmig wird mir auch zumute: Ist das ein Infarkt light oder wie?
Mir fällt ein, was mir mein Trainer eingebläut hat: Alles ist möglich, man muss auf jede Unwägbarkeit eine Antwort haben, am besten hat man sich die Reaktion schon vorher überlegt! Tja, auf plötzliche Atemklemme bin ich zwar nicht vorbereitet, aber ich versuche, die Nerven zu bewahren. Ruhig Blut! Dann schwimme ich eben erst mal Brust, basta!
Den Kopf halte ich über Wasser wie ein Seepferdchen-Prüfling. Wegen der Luftknappheit fällt mir selbst das schwer. Ich drehe mich auf den Rücken und blicke mich nach den Rettungsschwimmern um. Sie fahren in einem Boot hinter uns her. Ertrinken werd’ ich wohl nicht. Zu meiner Überraschung stelle ich fest: Es gibt tatsächlich vier, fünf Menschen, die noch hinter mir unterwegs sind. »Feuerqualle!« ruft einer links von mir und macht hektisch einen Bogen.
Besser abbrechen, oder?
Wenn auch langsam: Ich schwimme, Brust. Von links schwappt mir das Salzwasser ins Gesicht, rechts sehe ich die Seebrücke voller Zuschauer. Irgendwo da stehen meine Frau und mein Sohn. Ihnen habe ich versprochen, dass ich mich hier keinesfalls übernehme. Wäre es nicht einfacher, ich breche ab? Schwimmen ist eigentlich meine beste Disziplin, kaum denkbar, dass ich vom Ende des Feldes aus noch die Konkurrenten einkassiere. Ja, ernsthaft, besser aussteigen, als hier als einer der Letzten im Ziel anzukommen! Oder?
Weiter, immer weiter! Irgendwann erreiche ich die dritte Boje, jetzt geht’s zurück zum Strand. Weil das Wasser flach ist, kann ich einen Großteil waten. An Land heißt es, etwa 50 Meter laufen und dann ab auf in die zweite Runde des 750-Meter-Kurses. Schließlich erreiche ich das Ufer. Es ist die perfekte Zeit auszusteigen. Ich muss es nur entscheiden: Höre ich auf? Wär das nicht das Beste? Ich will hier doch nicht in aller Peinlichkeit als einer der Letzten ins Ziel trudeln?
Joggend erreiche ich die Seebrücke, wo meine Frau zum Anfeuern bereitsteht und besorgt dreinschaut: »Was ist denn los?« Ich schildere ihr meine Atemnot, und sie sagt auch, aufhören sei doch zur Not absolut okay: Dann klappt’s eben beim nächsten Mal! Sie umarmt mich. Die Sekunden verrinnen, fast will ich aussteigen, da habe ich eine Idee. Raus aus dem nagelneuen Neoprenanzug! Vielleicht ist der ja doch zu eng! Ich streife das Kautschuk ab und renne stattdessen in meinem kurzärmeligen schwarzen Einteiler ins Wasser, den ich darunter trage. Ich mache mich frei.
Ausziehen ist die Rettung
Und siehe da: Es klappt. Es ist sogar die Rettung. Plötzlich kann ich kraulen, plötzlich füllt Sauerstoff meine Brust. Das Wasser ist auf einmal kein Gegner mehr. In aller Ruhe setze ich meine Züge. Den Arm schön lang machen! Den Ellenbogen stets als höchsten Punkt! Und am Ende noch mal schön abdrücken mit der Hand neben dem Körper. Ohne Eile kraule ich unter graublauem Himmel und erhole mich so langsam. Schwimmend regeneriert: Ich bin zurück!
Mit einem Lächeln auf den Lippen komme ich beim zweiten Mal aus dem Wasser und laufe in die Wechselzone. Hier sieht’s schon ziemlich leer aus, fast alle sind schon los mit ihren Rennrädern. Doch ich bin die Ruhe selbst. Was soll sein? Zwei, drei Minuten mehr oder weniger machen jetzt auch keinen Unterschied mehr aus. Das Schlimmste habe ich überstanden, hoffentlich.
Ich atme durch und radle los. Die Strecke sind wir gestern mit unserem Team schon einmal abgefahren, ich kenne die Wendepunkte und die Straßenverhältnisse. Als ich am Achtkilometer-Rundkurs zwischen Meeschendorf und Vitzdorf ankomme, herrscht schon wildes Hin und Her. Ich reihe mich ein und komme in meinen Rhythmus: Puls 150 steht auf meinem Tacho, 28 km/h im Durchschnitt. Es nieselt, aber ich fühle mich gut. Na bitte.
Tribalistas zuhauf
Auf dem Asphalt treffe ich nach und nach alle aus unserem kleinen Team, das wir Tribalistas getauft haben. Wir winken uns zu: Philipp, der als Schnellster die 1500 Meter geschwommen ist, wie ich später erfahre. Steffen rast im gelben Ukraine-Trikot vorbei: Dass er beim Schwimmen kurz vorm Start seine Brille verloren hat und die ganze Strecke mit geschlossenen Augen gekrault ist, wird er mir erst nach dem Rennen erzählen. Er läuft in einer Staffel mit seiner Tochter Enna (16), sie werden am Ende Zweite in der Staffelwertung.
Auch Hartmut rufe ich ein Hallo zu: Er ist 64 und nd-Genossenschafter, ein gestandener Triathlet der mit einer Trek-Zeitfahrmaschine aus Carbon über den Kurs fliegt, ein Sammlerstück von 1998, auf dem österreichische Nationalmannschaftsfahrer einst um Bestzeiten rangen. Er wird mir im Ziel zehn Minuten auf dem Rad abgejagt haben.
Oder Jens aus Neustadt in Holstein, unser Schnellster, ein Pfundskerl. Als er mich überholt, Tunnelblick, feuere ich ihn an: »Zieh, Junge!« Meine Teamkollegen Kai aus Schönkirchen und den immer gutgelaunten Steven aus Berlin sehe ich am häufigsten: Die beiden kannten sich bis heute nur aus der Whatsapp-Gruppe. Am Ende des Rennens werden sie gemeinsam ins Ziel laufen, fünfeinhalb Minuten vor mir. Wie herzig! Eine Super-Truppe!
Ganz ehrlich: Wenn ich mir vorher überhaupt ein Ziel gesetzt hatte, dann war es, nicht unbedingt Letzter unter den Tribalistas zu sein. Aber hier auf der Radstrecke ist mir das schon total egal. Ich genieße stattdessen die Etappe: Am Wendepunkt Vitzdorf sitzen zwei ältere Damen und rufen mir bei jeder Wiederkehr aufmunternde Worte zu, ich winke jedes Mal zurück und freue mich. Meine Panik beim Schwimmen erscheint mir hier schon fast ein wenig unwirklich.
Lauf ins Hochgefühl
Die Sonne kommt hinter den Wolken hervor, als ich schließlich zum zweiten Mal in der Wechselzone anlande. Ich schlüpfe in die Jogging-Schuhe und dann geht’s ab auf die Promenade. Viermal die Runde am Wasser entlang, viermal vorbei an den drei hässlichen Hochhäusern eines dänischen Stararchitekten, in den 70er Jahren waren sie der letzte Schrei. Viermal vorbei am Zielbereich, wo die Musik dröhnt und der Moderator am blauen Teppich unter Palmen bereits die ersten Finisher begrüßt. Es riecht nach Waffeln, Fischbrötchen und Meer.
Die Oberschenkel schmerzen zwar ein wenig, aber mein Schritt ist locker und das Strahlen heute nicht mehr aus meinem Gesicht zu bekommen. Die 10 Laufkilometer hatten mir zuvor die meiste Angst eingeflößt. Doch jetzt schlage ich federnden Schrittes mit den Teamkollegen ab. High five auf dem Uferweg: Wir alle wissen, gleich haben wir’s geschafft! Der Weg ist gesäumt von Leuten, die anfeuern. Auch meine Frau jubelt mir zu. Mein 15-jähriger Sohn läuft im Übermut einfach die vorletzte Runde mit. Er hält die ganze Zeit sein Handy auf mich gerichtet. Live-Video für die Familie daheim.
Auf der Schlussrunde bin ich allein. Mein Herzschlag dröhnt mir in den Ohren, der Schweiß rinnt mir ins Auge, aber ich laufe – direkt ins Hochgefühl! Vorhin wollte ich aufgeben, jetzt ist das Ding fast absolviert. Gibt’s was Besseres? Als ich auf die Zielgerade einbiege, stehen alle Tribalistas am blauen Teppich zum Abklatschen bereit. Ich bin am Ziel!
Der Sprecher nennt meine Platzierung und faselt etwas von 25.-Letzter, aber ich höre es gar nicht. Ich bin einfach nur glücklich: Über unsere Schnapsidee, den Triathlon in Angriff zu nehmen. Über unsere Unerfahrenheit, wegen der wir hier nun im Spätsommer in der kalten Ostsee debütieren mussten! Und auch über meine Chuzpe, dies alles hier in einer nd-Kolumne auszubreiten – als meine ganz persönliche Story. Meine Geschichte endet hier nun auf eben diese Art: Als ich nach 3:27:05 Stunden über die Ziellinie bin, falle ich meiner Frau in die Arme. Ich versenke meinen Kopf in ihre Schulter und lasse den Tränen freien Lauf: Vor drei Jahren hatte ich Krebs. Heute habe ich meinen ersten olympischen Triathlon geschafft. Alles ist möglich. Man muss es nur probieren.
Alle Probetraining-Kolumnen:
Teil 1: Wie geht Triathlon?
Teil 2: Im Regen stehen
Teil 3: Die lieben Kleinen
Teil 4: Nackt im Glück (54)
Teil 5: Der Mann mit dem Plan
Teil 6: Im Riegelrausch
Teil 7: Urlaub in Höchstform
Teil 8: Wellengang und Wunderbrille
Teil 9: Die Reihen lichten sich
Teil 10: Frühmorgens im Flow
Teil 11: Fehmarn, wir kommen!
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