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Die Angst vor dem Sparhammer in Berlin
Träger in Bildung und Jugendhilfe blicken besorgt auf Haushaltsentwurf
Rainer Kurzeder ist aktuell ein gefragter Mann. »Ständig kommen Kolleginnen und Kollegen zu mir und fragen mich, wie es mit ihren Projekten weitergeht«, erzählt er. Als Verantwortlicher für Öffentlichkeitsarbeit beim Berliner Ableger der SOS Kinderdörfer sitzt er an der Schnittstelle zwischen dem Jugendhilfeträger und der Politik. In den aktuellen Wirren um den Berliner Landeshaushalt erhoffen sich viele, dass er den Durchblick darüber hat, wo gekürzt wird und wo weitergearbeitet werden kann.
Dabei kann auch Kurzeder oft nicht helfen. »Dass eine Schulstation, die wir betreiben, gekürzt werden soll, habe ich durch Zufall vom Bezirk erfahren«, sagt er. Im Landeshaushalt sind die für die Jugendarbeit bereitgestellten Mittel unter einen gemeinsamen Titel gestellt – man kann aus dem Dokument also nicht lesen, welche Träger konkret von Kürzungen betroffen sein werden. »Intransparent« findet Kurzeder das. Und auch in anderen Bereichen tappt er im Dunkeln. Bei einer Familienstation, die SOS Kinderdorf betreibt, sei es aktuell noch ganz unsicher, ob das Projekt im kommenden Jahr noch betrieben werden könne. »Für die Kolleginnen und Kollegen heißt das, dass sie noch nicht wissen, ob sie in drei Monaten noch einen Job haben werden«, sagt Kurzeder.
Kurzeder ist heute mit zahlreichen anderen Vertretern von Jugendhilfe und freien Trägern im Bildungsbereich zu Gast bei der Fraktion der Grünen im Abgeordnetenhaus. Die hat zu einem »Krisengipfel zum schwarz-roten Haushaltschaos« in den Räumen des Abgeordnetenhauses eingeladen. »Keiner weiß gerade irgendetwas«, kritisiert Louis Krüger, bildungspolitischer Sprecher der Fraktion, das Vorgehen der Senatsfraktionen CDU und SPD.
»Für die Kolleginnen heißt das, dass sie noch nicht wissen, ob sie in drei Monaten noch einen Job haben werden.«
Rainer Kurzeder SOS Kinderdorf
Trotz Rekordausgaben sehe der Haushaltsentwurf zahlreiche Kürzungen vor. »Keine dieser Kürzungen müsste so erfolgen«, sagt Krüger. Statt Sachzwängen stünde eine ideologische Motivation hinter den Kürzungen, vermutet er. »Es wird gekürzt, weil Projekte als zu links oder zu migrantisch gesehen werden«, so Krüger. Vor allem im Jugendbereich kürze der Senat rücksichtslos. »Es wird bei allem gespart, was jungen Menschen Spaß macht«, beklagt er.
Gestrichen werden sollen nach Krügers Auflistung allein 1,8 Millionen Euro bei kultureller Bildung, eine Million Euro bei digitaler Bildung und 3 Millionen Euro bei psychosozialen Angeboten an Schulen. »Das ist ein fatales Zeichen«, sagt Krüger. »Diese Angebote waren die Lehre aus der Pandemie, dass wir die Jugendlichen nicht allein lassen dürfen.«
Auch Rainer Kurzeder von SOS Kinderdorf befürchtet, dass die Kürzungen schwere Folgen für die Jugendlichen haben könnten. »Unsere Schulstationen helfen denjenigen, die Unterstützung brauchen«, sagt er. In den Schulstationen erhalten Kinder sozialpädagogische Unterstützung und spezielle Förderangebote. »Wenn das wegfällt, besteht die Gefahr, dass sich die Jugendlichen in andere Richtungen entwickeln«, sagt Kurzeder. »Kriminalität zum Beispiel.«
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Mit den Kürzungen werde jahrelange Arbeit zunichte gemacht. »Unsere Schulstationen gibt es seit 20 Jahren«, sagt Kurzeder. »Wir sind Vertrauenspersonen für viele Schüler.« Diese mühselig aufgebauten Beziehungen drohten nun wegzufallen.
Die Grünen wollen die Zeit bis zur finalen Abstimmung über den Haushalt im Abgeordnetenhaus am 18. Dezember nutzen, um zumindest noch Licht in das Dunkel zu bringen. 60 Seiten Fragen habe man bei den Senatsverwaltungen zum Haushaltsentwurf eingereicht. »Wir machen das, weil wir für euch Transparenz herstellen wollen«, sagt er zu den versammelten Jugendhilfevertretern.
Sonst hofft er auf die Initiative der Verbandsvertreter. Sie sollen Koalitionsabgeordneten schreiben und sich an Demonstrationen gegen die Kürzungen beteiligten. »So ehrlich muss man sein«, sagt Krüger. »Wir Grüne können aktuell wenig unternehmen. Der Ball liegt jetzt bei den Regierungsfraktionen.«
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