- Berlin
- Berlin
Nova-Ausstellung: Bildungssenat könnte Neutralität verletzt haben
Senat wirbt für Nova-Ausstellung – Eltern reichen Dienstaufsichtsbeschwerde ein
Hat die Senatsverwaltung ihre staatliche Neutralitätspflicht verletzt, indem sie an Schulen Werbung für eine private Veranstaltung machte? Die Senatsverwaltung für Bildung schrieb Anfang November Schulleitungen an und warb für einen Besuch mit Schüler*innen in der Ausstellung über das Massaker beim israelischen Nova-Festival am 7. Oktober 2023. Die Ausstellung im ehemaligen Flughafen Tempelhof wurde am Sonntag nach sechs Wochen beendet.
Für die Eltern, die sich daraufhin bei »nd« meldeten, ein Affront: Das sei unzulässige politische Einflussnahme einer Behörde, um Schüler*innen in eine ihrer Meinung nach pädagogisch ungeeignete und möglicherweise traumatisierende Ausstellung zu bringen. Unter ihnen kursierte zunächst ein Bildschirmfoto der Mail. Darin heißt es, man wolle »auf diesem Wege« über die Nova-Ausstellung informieren. »Die Ausstellung beleuchtet den grausamen Überfall der Hamas auf das Nova Music Festival«, die »sehr persönliche Erfahrungen dieses Terroranschlags« zeige. »nd« konnte die Urheberin des Fotos ausfindig machen. Sie stellte »nd« den Quellcode der Email zur Verfügung, womit die Echtheit bestätigt werden konnte. Die Senatsverwaltung selbst äußerte sich nicht zu einer »nd«-Anfrage diesbezüglich.
Dass der Bildungssenat für Bildungsangebote wirbt, ist grundsätzlich nicht ungewöhnlich. Doch dass für eine private Veranstaltung geworben wird, ist sowohl aus verwaltungsrechtlicher, als auch bildungspolitischer Sicht bedenklich: Behörden dürfen nicht für private Unternehmen oder deren Produkte werben. Damit soll Parteilichkeit und wirtschaftliche Beeinflussung verhindert werden – es gilt das staatliche Neitralitästgebot. Es gibt allerdings Ausnahmen: Wenn eine Veranstaltung pädagogisch relevant ist, einen klaren Bildungsauftrag erfüllt, keine wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund stehen und die Empfehlung auf inhaltlicher Qualität beruht und nicht etwa auf Sponsoring oder Kooperation.
Dass diese Punkte eingehalten wurden, erscheint zweifelhaft: So heißt es in der Mail weiter, für »interessierte Gruppen von Schülerinnen und Schülern sowie erwachsene Begleitpersonen« stünden »Freitickets zur Verfügung«. Aus dem in der Mail angehängten Anschreiben des Veranstalters wird ersichtlich, dass diese von ihm gesponsort sind.
Auch das im Anhang mitgeschickte Lehrmaterial, das der Senatsmitarbeiter »zur Vorbereitung des Ausstellungsbesuches« empfiehlt, stammt von den Veranstaltern und wurde für sie von Mind gGmbH entwickelt. Die von dem Psychologen Ahmad Mansour gegründete Initiative steht seit zwei Wochen in der Kritik, da eines ihrer Projekte zur Antisemitismusbekämpfung mit neun Millionen Euro vom Bund gefördert wurde, obwohl vom Ministerium beauftragte Fachleute es für »nicht förderungswürdig« befanden. Die Expert*innen bemängelten unter anderem die fehlende »Darstellung von empirisch überprüfbaren Hypothesen und Forschungsfragen« sowie eine detaillierte Darstellung der Methoden. Außerdem sei der Antrag stellenweise unsystematisch und gehe in seinen Thesen von der Vorannahme aus, dass in einem »muslimischen Kulturkreis« antisemitische Einstellungen »per se gegeben« seien.
Am vergangenen Freitag kündigte ein Zusammenschluss von über 50 Personen an, eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Autoren der Mail zu übermitteln. In ihrem Schreiben, das »nd« vorliegt, begründen sie das mit mehreren Verstößen gegen das Berliner Schulgesetz, darunter den Schutz vor Diskriminierung und die Garantie auf eigenständige Meinungsbildung.
Sie kritisieren auch den Inhalt der Ausstellung. Auch Thea, die eine Tochter an einer Berliner Schule hat und deswegen nicht mit Nachnamen genannt werden möchte, stört sich an der Ausstellung im ehemaligen Flughafen Tempelhof. »Das hat mich erschüttert, dass die Senatsverwaltung dieses Angebot verschickt«, sagt sie. »Jetzt gehen sie schon an die Kinder ran, mit dieser total fragwürdigen Ausstellung, die mit Immersion und Überwältigung arbeitet.« Das nämlich sei pädagogisch völlig falsch.
Sie und andere Eltern kritisieren, dass die Senatsverwaltung damit den »Beutelsbacher Konsens« untergrabe. Der soll vor staatlicher oder privater Einflussnahme, politischer Indoktrination und einseitiger Darstellung schützen. So gilt etwa das Überwältigungsverbot, das verhindern soll, dass Schüler*innen im Sinne erwünschter Meinungen überrumpelt werden. Auch soll etwas, das politisch kontrovers erscheint, auch im Unterricht als kontrovers erscheinen. Die Schüler*innen sollen also sprichwörtlich in die Lage versetzt werden, »sich selbst eine Meinung zu bilden.«
Genau das sei aber nicht Ziel der Ausstellung, so die Kritik einiger Journalist*innen. Der Kulturjournalist Hanno Hauenstein etwa schreibt, dass die Ausstellung mit starker Licht-Dunkel-, Gut-Böse-Symbolik arbeite und so komplexe Realitäten auf einfache moralische Bilder reduziere. Außerdem werde der Anschlag wie in einem »Vakuum« dargestellt, losgelöst von den politischen, historischen und geografischen Zusammenhängen der Besatzung in den palästinensischen Gebieten. Und im »Diasporist« kritisiert der Literaturwissenschaftler und Publizist Ben Ratskoff, der sich kritisch mit jüdischer Erinnerungspolitik und kolonialer Gewalt auseinandersetzt, dass die Ausstellungsstücke geradezu einen »Grausamkeits-Voyeurismus« befeuerten.
Ende Oktober luden die Veranstalter*innen der Nova-Ausstellung »Stimmen des Muts« ein. Angekündigt wurde dort ein Gespräch mit »den Helden des 7. Oktober«. Darunter: Elkana Federman, damaliger Sicherheitsmitarbeiter auf dem Nova-Festival. Die NGO »Hind Rajab Foundation« hat in Deutschland Strafanzeige gegen ihn wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gestellt. Tatsächlich kursieren Videos im Netz, die ihn dabei zeigen, wie er einen Hund auf einen gefesselten Palästinenser hetzt. Ein anderes Video zeigt ihn bei der Blockade von Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Einige der bekannten Videos hatte er zunächst auf seinem eigenen Instagram-Kanal gepostet. Auf unsere Nachfrage, ob die Einladung Feldermans der Senatsverwaltung bekannt gewesen sei, erhielt »nd« ebenfalls keine Antwort.
Thea sagt, sie sei vor allem auch deswegen angefasst sei, weil »der ganze CDU-Filz« nun ihr eigenes Kind berühre. Schließlich sei ein Schulausflug oft verpflichtend und damit eine Zwangssituation. Für sie hängt diese Werbung mit der Fördermittelaffäre, die in der vergangenen Woche bekannt wurde, zusammen: Der Berliner CDU wird vorgeworfen, Einfluss auf die Vergabe von Fördermitteln genommen zu haben, die vom Senat für Projekte gegen Antisemitismus bestimmt sind. Dabei soll ein Topf von 3,4 Millionen Euro nicht nach fachlichen Kriterien vergeben worden sein. Stattdessen hätten einige Haushaltspolitiker eine Liste mit 18 zu fördernden Projekten erstellt und dann Druck auf Senatoren ausgeübt. Am Ende erhielt die Nova-Ausstellung 1,4 Mio. Euro aus genau diesem Topf. Bildungssenatorin ist übrigens Katharina Günther-Wünsch (CDU), die Lebensgefährtin von Kai Wegner (CDU). Der wiederum ist Schirmherr der Ausstellung.
Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.
Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen
Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.