Berlin: Kleine Gärten, große Wirkung

Eine Neuköllner Ausstellung und ein Kreuzberger Projekt erzählen von der ökologischen und sozialen Bedeutung der Kleingärten

Im Nachbarschaftsgarten Kreuzberg am Columbiadamm arbeiten viele Menschen mit und ohne Fluchterfahrung zusammen.
Im Nachbarschaftsgarten Kreuzberg am Columbiadamm arbeiten viele Menschen mit und ohne Fluchterfahrung zusammen.

Ob Datsche, Laube, Schreber- oder Kleingarten: Das kleine Fleckchen Grün zwischen dem Berliner Asphalt ist heiß begehrt. Laut Gert Schoppa vom Landesverband für Kleingärten warte man in der Hauptstadt je nach Lage drei bis fünf Jahre auf eine Parzelle, wie er »nd« sagt. Mit der Attraktivität von Kleingärten beschäftigt sich derzeit die Ausstellung »Stadt Natur Mensch« im Bezirk Neukölln. Sie will vermitteln, dass Stadt und Natur kein Gegensatz sein müssen und zeichnet ein modernes Bild von Kleingärten, die sowohl gesellschaftlich als auch für die individuelle Entwicklung von Städter*innen wichtig sind.

Blütenduft statt Mietskasernenmuff

Der Namensgeber der Schrebergärten, der Leipziger Orthopäde Moritz Schreber, hat sich zeitlebens viel mit der Bewegung von Kindern und Jugendlichen beschäftigt und festgestellt: Kinder toben zu wenig an der frischen Luft. Nach seinem Tod kreierte der Schuldirektor Ernst Hausschild 1864 im Gedenken an den Orthopäden den ersten Schreberverein – einen Spielplatz. Wenig später folgten die ersten Gärten im Namen Schrebers.

1921 gründete sich dann der erste Reichsverband Deutscher Kleingärtner (RVKD) im Bezirk Neukölln. Die Idee war es, Arbeiter*innen mit Kleingärten Regenerationsräume zu schaffen und somit die Gesundheit der Stadtbewohner*innen zu fördern – natürlich auch im Sinne der Reproduktion der Arbeitskraft für den Betrieb. Eine Sprecherin des Kleingärtnermuseums in Leipzig berichtet »nd«, dass es Kleingärtner*innen in der DDR ermöglicht wurde, das Obst und Gemüse, das sie auf ihren Parzellen anbauten, etwas teurer am Markt zu verkaufen. Das Wettbewerbswesen habe die DDR damit fördern wollen, sagt sie.

Seit 1983 gilt das sogenannte Bundeskleingartengesetz. Für rund 500 Euro jährlich kann man dementsprechend recht günstig eine Parzelle in Deutschland pachten. Dafür gilt dann allerdings auch eine Auflage: Im Kleingarten darf nicht dauerhaft gewohnt werden und ein gewisser Teil der Fläche muss für Obst- und Gemüseanbau genutzt werden.

Öffentliches Grün, privat gepflegt

Die Natur steckt voller Kreisläufe: Regentropfen prallen auf die Erde, versickern ins Grundwasser und sprudeln als Quelle wieder an die Erdoberfläche. So viel zur Theorie. In der Praxis hingegen sind Kreisläufe mehr und mehr unterbrochen. Der Trend geht zur Flächenversiegelung und erodierenden Böden, die Wasser schwer oder gar nicht mehr aufnehmen können. Laut Thomas Stölting ist naturnahes Gärtnern eine Möglichkeit, Kreisläufe in der Natur wieder zu schließen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Bundesverbands der Kleingartenvereine will den spießigen Ruf von Kleingärten verbessern, wie er im Gespräch mit »nd« erklärt. Darum hat er das Bundeszentrum des Verbands und dessen Kleingarten-Ausstellung in einen Holzneubau nach Neukölln geholt, direkt gegenüber dem Journalismus-Haus »Publix« in der Hermannstraße.

Stölting nennt Kleingärten »einen Teil der Lösung« zur Eindämmung der menschengemachten Klimakatastrophe. Diese laugt nicht nur die Böden aus, sondern führt zum Aussterben der Arten und die bringt die »Phänologische Uhr«, die Blütezeit der Pflanzen, aus dem Gleichgewicht. »Städte sind durchschnittlich sechs bis zehn Grad heißer als das Umland«, sagt Stölting. Kleingärten wirken abkühlend auf die Stadt.

»Es gibt viele Dinge, die Negatives haben. Aber beim naturnahen Gärtnern fallen mir keine ein.«

Thomas Stölting 
Bundesverband der Kleingartenvereine

Wie erdrückend und laut sich Stadt anfühlen kann, lässt die Ausstellung die Besucher*innen in einem Gang fühlen: Video- und Tonaufnahmen von mehrspurigen Autostraßen, dichtem Fußgängerverkehr und lärmenden Baustellen wirken stressig. An vielen weiteren Orten der Ausstellung können Besucher*innen multimedial Informationen aufsaugen: Filme über die Pflanzenvielfalt in Kleingärten schauen, einem Hörspiel über die Geräuschvielfalt des Bodens lauschen oder mithilfe einer Datenbank nach klimaresilienten Pflanzen suchen.

Auch haptisch lässt sich viel erkunden: Rindenmulch greifen (im Einsatz zum Schutz vor Bodenerosion), die Hitze eines Komposts fühlen (bis zu 70 Grad heiß) oder in einem Brettspiel mit Spielsteinen eine Kleingartenanlage der Zukunft entwerfen. Dabei lassen sich gemeinschaftliche Orte wie Wasserspeicher, Kompostanlagen, Vereinshäuser, Cafés, öffentliche Toiletten oder Spielplätze planen. Je nachdem, welche Spielsteine man legt, bewertet ein Computer, ob die Kleingartenanlage der Zukunft vor allem sozial, im Sinne der Insekten oder als Selbstversorgungsparadies geplant wurde.

Der Bundesverband der Kleingartenvereine will mit seiner Ausstellung Städte »vom Grün aus her neu denken«, wie Stölting erklärt. Das soll heißen, dass Städte unabhängig der Kleingärten grüner organisiert werden müssen. Für Städte sind die Gärten so etwas wie auf dem Land die Moore: wertvolle Kohlenstoffspeicher, die schädliches CO2 im Boden binden. Laut einer Grafik, die in der Ausstellung gezeigt wird, können sie dieses deutlich besser im Boden speichern als Parks oder ein Forst. Die über 60 000 Parzellen und 736 Kleingartenvereine, die es in Berlin gibt, wachsen dennoch nicht, auch im Bundesgebiet bleibe laut Stölting die Zahl der Kleingärten gleich oder sinke. »Wenn es schon die A100 geben muss, kann man wenigstens Ausgleich schaffen«, meint Stölting und verweist auf das Beispiel Hamburg. Dort hat die Stadt nach dem Bau der A7 einen 300 Meter langen Grünstreifen mit Kleingärten, den sogenannten Hamburger Deckel, gebaut.

Kollektive Selbstorganisation

»In einer durchaus sehr hierarchisch organisierten Stadt« hätten Kleingärten laut Stölting einen wichtigen sozialen Faktor. »Hier sind Menschen in erster Linie Gärtner und Gestalter ihrer Umwelt«, sagt er. Stölting wünscht sich nicht nur eine ökologische Aufwertung von Kleingärten – Stichwort Gemüsebeet statt Pool –, sondern auch mehr Durchlässigkeit innerhalb der Kleingärten. Zum Beispiel, indem mehr Wege die Gartenanlagen öffnen und damit die Nachbarschaft integriert werde. Kleingärten sind für Stölting auch für die soziale Entwicklung wichtig: Hier lernen Menschen, sich selbst zu verwalten.

Wie Selbstverwaltung kollektiv gestaltet werden kann, zeigt der Nachbarschaftsgarten Kreuzberg, der an das Nachbarschaftshaus Urbanstraße angegliedert ist. Tim Ünsal, der dort gärtnert und Mitglied des Vereins ist, sagt »nd«, dass es anfangs auch Bedenken der Kleingärtner*innen gegen den Garten in der »Kolonie am Flughafen« am Columbiadamm gab. »Bei uns sind sehr viele Geflüchtete aus den Hangars auf dem Tempelhofer Feld aktiv«, sagt Ünsal.

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Gerade für Menschen mit Fluchterfahrung stellt der Nachbarschaftsgarten einen wichtigen Ort zum Ankommen dar. »Menschen aus Syrien oder Afghanistan bringen häufig viel Wissen über das Gärtnern mit«, sagt Ünsal. Das verbinde sie mit der älteren Generation in der Kleingartenkolonie, die gern mit Werkzeugen und Know-how aushelfe.

Viele Vereine und selbst organisierte Gruppen nutzen den Nachbarschaftsgarten. Ob zum Gärtnern, Kochen, für Debatten oder einfach als soziale Anlaufstelle. Dazu gehört der Türkische Frauenverein, »Eltern beraten Eltern«, ein Verein aus Eltern von Kindern mit Behinderung, nachbarschaftliche Kitagruppen oder der kurdische Elternverein Yekmal. Außerdem ist der Nachbarschaftsgarten ein »LebensMittelPunkt«. So werden vom Berliner Ernährungsrat in allen Bezirken unterstützte Institutionen des innerstädtischen Ernährungssystems genannt. »Es gibt viele Dinge, die negative Aspekte haben«, sagt Thomas Stölting vom Bundesverband der Kleingartenvereine. Aber beim naturnahen Gärtnern fallen ihm keine ein.

Dienstags und donnerstags öffnet die Dauerausstellung »Stadt Natur Mensch« in der Hermannstraße in Neukölln ihre Türen.
Dienstags und donnerstags öffnet die Dauerausstellung »Stadt Natur Mensch« in der Hermannstraße in Neukölln ihre Türen.
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