Schmähpreise für Innenminister und Tech-Konzerne

Zum 25. Mal macht der Verein Digitalcourage auf Überwachung und Datenkontrolle aufmerksam

Der Big-Brother-Award wird seit 25 Jahren verliehen.
Der Big-Brother-Award wird seit 25 Jahren verliehen.

Im Herbst 2001 berichtete »nd« erstmals über den Big Brother Award. Die Auszeichnung ging damals, kurz nach den Anschlägen vom 11. September, an den deutschen Innenminister Otto Schily. Der Sozialdemokrat brachte eine Reihe von Sicherheitsgesetzen voran. Der Innenminister stehe »an erster Stelle jener Politiker in Deutschland, welche die Attentate zur Durchsetzung ›freiheitsbeschneidender Gesetze‹ instrumentalisierten«, hieß es damals. Schilys Politik schüre »Angst, Abwehr und Aggressionen gegen Fremde«, sei aber nicht gegen Terror geeignet.

24 Jahre später wurde an diesem Freitag der Big Brother Award an den aktuellen Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) verliehen. Auch heute geht es um ein Sicherheitspaket. Dobrindt will gern allerlei Software einsetzen, um die Bevölkerung besser ausspähen zu können. Er bekommt den Preis, weil er auf »Tech-Solutionismus – also die scheinbare Lösung gesellschaftlicher Probleme durch Technologie« setzt und sich nicht um ihre gesellschaftlichen Ursachen kümmert. Zwischen Otto Schily und Alexander Dobrindt haben allerlei Innenminister aus Bund und Ländern den Award verliehen bekommen.

Ein wiederkehrender Preisträger ist auch die Deutsche Post. Wofür sie ihre Preise bekommen hat, spiegelt auch, wie sich Datensammlung und Überwachung verändert haben. 2002 etwa bekam die Post den Preis für die Ausgestaltung des Formulars für Nachsendeaufträge. Die Jury des Big Brother Awards bemängelte, dass es keine Option zum Ankreuzen gab, mit der die kommerzielle Weitergabe der Adresse ausgeschlossen werden konnte. 2023 bekam die Post den Preis dafür, dass Nutzer*innen von Packstationen gezwungen sind, die App der DHL zu nutzen. Diese sammle »munter« Daten und gebe sie an externe Stellen, etwa Google, weiter, hieß es in der Begründung. Der Tech-Konzern Google bekam den Preis schon zweimal: 2013 und 2021. Beim ersten Mal für Datensammelwut, beim zweiten Mal für Manipulationen des Internetwerbemarktes. In diesem Jahr gibt es einen dritten Preis. Auf seiner Internetseite sammelt der Big Brother Award Meldungen über vergangene Preisträger. Die aktuellen Nachrichten betreffen Google, es geht um Millionenstrafen und Klagen gegen den Tech-Konzern.

Dass ein Negativpreis nicht unbedingt gerne angenommen wird, zeigt sich auch darin, wie oft der Preis entgegengenommen wurde. Nicht mal zehn Preisträger kamen, um sich den Big Brother Award abzuholen. Microsoft flog 2002 seinen Datenschutzbeauftragten ein, um den Preis anzunehmen. Der Tech-Konzern bekam einen Preis für sein Lebenswerk. Über die Telekom berichtet Digitalcourage, dass sie 2008 beim Verein nachgefragt habe, ob sie sich wohl preisverdächtig verhalten habe. Hatte sie: mit dem Ausschnüffeln der Verbindungsdaten von Aufsichtsräten und Journalisten. Das Unternehmen nahm den Preis entgegen.
Um dem Bayer-Konzern einen Big Brother Award zu verleihen, musste Digitalcourage kreativer vorgehen. Das Unternehmen war für Drogentests bei Auszubildenden ausgezeichnet worden. Um das zu würdigen, übergaben die Kritischen Aktionäre einige Bayer-Aktien an Digitalcourage. Der Verein hatte somit Rederecht bei der Hauptversammlung des Chemiekonzerns und übergab den Preis dort vor 5000 Menschen.

2019 zeichnete Digitalcourage »Zeit Online« für Tracking, die Sammlung von Daten für Werbezwecke, aus. Padeluun(Künstlername), einer der Protagonisten von Digitalcourage, sprach damals bei der Verleihung davon, dass es etwas Besonderes sei, mit »Zeit Online«-Chefredakteur Jochen Wegner einen langjährigen Freund auszuzeichnen. Wegner nahm den Preis entgegen und die »Zeit« wies Digitalcourage nach, bei der Begründung für den Preis technische Details nicht richtig dargestellt zu haben. Digitalcourage räumte Fehler ein, blieb im Wesentlichen aber bei den Vorwürfen.

Kritik gab es in der jüngeren Vergangenheit auch vereinsintern. Im Herbst 2023 gab es Streit bei einer Mitgliederversammlung. Die Fachportale Golem und Heise berichten, dass Padeluun damit gedroht habe, für die Auflösung des Vereins zu sorgen, wenn er nicht zum zweiten Vorsitzenden gewählt werde. Eine Wahl wurde mit positivem Ergebnis für Padeluun wiederholt. Ein halbes Jahr später gaben er und Rena Tangens, denen vorgeworfen wurde, den Verein zu dominieren, ihre angestammten Posten auf. Für Padeluun wurde die neue Position als künstlerischer Leiter geschaffen. Einige lange Jahre bei Digitalcourage Aktive waren da schon nicht mehr dabei. Sie gründeten den Verein Datenpunks, bei dem pfleglicher miteinander umgegangen werden soll. Für mehr Datenschutz und gegen Überwachung setzen sich alle weiter an. Digitalcourage ganz bestimmt auch mit einem 26. Big Brother Award.

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