Wohnungsnot in Berlin-Neukölln: Kampf um die »Saale«

Bewohner einer Neu­köllner Wohnungs­losen­unterkunft sind ver­zweifelt, weil die Schließung der Einrichtung droht

Die Bewohner*innen der »Saale« kämpfen gemeinsam um ihre Unterkunft.
Die Bewohner*innen der »Saale« kämpfen gemeinsam um ihre Unterkunft.

»Das ist eine Schweinerei, was sie hier mit uns machen!« Sabine ist wütend. Mit ihrem Rollstuhl fährt sie ins Büro des Einrichtungsleiters in der Wohnungslosenunterkunft »Sunshinehouse« in der Neuköllner Saalestraße. Sie hat, so wie viele andere Bewohner*innen der Unterkunft, vor Kurzem einen Brief von der Sozialen Wohnhilfe des Neuköllner Bezirksamts erhalten. »Eine Unterbringung in der derzeitigen Unterkunft ist nicht weiter möglich«, heißt es dort knapp. Sie solle schnellstmöglich zur Vorsprache während der Sprechstunden erscheinen. Anscheinend soll die Unterkunft, die bei Vollbelegung 55 Menschen beherbergt, geschlossen werden.

»Die Situation belastet mich extrem. Ich kann kaum noch schlafen, habe Magenschmerzen, bin immer kurz vorm Heulen«, sagt Sabine zu »nd«. Sie wohnt schon seit elf Jahren in der »Saale«, wie die Unterkunft von den Bewohner*innen genannt wird. Es sei hier nicht nur verhältnismäßig barrierearm für die Rollstuhlfahrerin, hier sind außerdem Haustiere erlaubt. In vielen anderen Unterkünften ist dies nicht der Fall. In der »Saale« leben laut Angaben der Einrichtung aktuell 16 Menschen mit Haustieren, sechs Menschen seien gehbehindert und davon drei auf einen Rollstuhl angewiesen, und neun Menschen lebten unter gesetzlicher Betreuung.

»Am Donnerstag wollten sie mich im Pflegeheim unterbringen«, berichtet Sabine von ihrem Besuch bei der Sozialen Wohnhilfe. Das habe sie abgelehnt, weil sie ihren Hund nicht hätte mitnehmen dürfen. »Meinen Hund gebe ich nicht ab, sonst spring ich von der Brücke.« Sabine vermutet, dass viele der Bewohner*innen der »Saale« suizidgefährdet sind, wenn sie ihre Haustiere abgeben müssten.

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Dass das Bezirksamt Neukölln die Bewohner*innen der »Saale« in anderen Unterkünften unterbringen will, ist auf einen Konflikt zwischen Bezirk und dem Betreiber der Unterkunft, dem privaten Unternehmen Sunshinehouse Beherbergungsbetriebs GmbH, zurückzuführen. Bislang hat der Bezirk wohnungslose Menschen gemäß dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz der Unterkunft zugewiesen. Das möchte der Bezirk nicht fortführen.

Wer in diesem Konflikt im Recht ist, das ist den Bewohner*innen ziemlich egal. »Ich fühle mich wie Kanonenfutter«, sagt Stefanie zu »nd«. Sie hat dasselbe Schreiben wie Sabine erhalten. Auch sie hat Haustiere und weiß nicht, wo sie unterkommen soll. Weinend erzählt sie, dass sie erst nach Ankunft in der »Saale« wieder das Sorgerecht für ihren in einer Pflegefamilie lebenden Sohn erhalten konnte, um das sie zuvor vier Jahre lang gekämpft hatte, während sie obdachlos war. »Das habe ich nur mit der Unterstützung von einem Sozialarbeiter und von den Bewohnern hier geschafft, die mich aufgefangen haben.«

Sozialarbeit fehle in der Unterkunft allerdings schon seit Anfang 2022, berichten die Bewohner*innen. Dafür sei das Leben in der »Saale« von einer starken Gemeinschaft der Bewohner*innen geprägt, die sich gegenseitig im Alltag unterstützen, zusammen kochen, füreinander einkaufen und sogar zum Zahnarzt begleiten.

»Es hilft immer jemand, darauf kann man sich verlassen«, sagt Sabine. Diese Gemeinschaft zu verlieren, die für viele das einzige soziale Netz sei, wäre ein großes Problem für viele der Bewohner*innen. Ganz abgesehen davon, dass einfach keine Wohnungen zu finden seien und auch Wohnheimplätze, gerade mit Haustier und Beeinträchtigungen, rar seien. »Wo sollen wir denn hin?«

»Und wenn das alles nichts hilft, dann müssen wir die Unterkunft besetzen.«

Sabine Bewohnerin »Sunshinehouse«

Stefanie lebt in der »Saale« mit ihrem Partner Ron, der chronische Erkrankungen hat und von Stefanie gepflegt wird. Bei der Sprechstunde der Sozialen Wohnhilfe sei ihr gesagt worden, dass sie zwar einen Platz für Ron, aber nicht für sie selbst gefunden hätten. Doch eine Trennung will Stefanie nicht.

Auch Ron ist wütend über die drohende Schließung seiner Unterkunft. »Hier sind mal wieder die Schwächsten betroffen«, sagt er zu »nd«. Er fühle sich instrumentalisiert in einem Streit zwischen zwei Parteien, die er beide nicht einmal kenne. »Unterm Strich sind wir alle zu Weihnachten von Obdachlosigkeit bedroht.«

Die Betreiberfirma der Unterkunft bereitet derweil eine Klage gegen den Bezirk Neukölln vor, sagt deren Prokura Zachi Wainstejn zu »nd«. Aufgrund der sich anbahnenden rechtlichen Auseinandersetzung will sich Neuköllns Sozialstadtrat Hannes Rehfeldt (CDU) auf Anfrage des »nd« nicht zum Konflikt mit dem Betreiber äußern. Er versichert allerdings, dass keine*r der Bewohner*innen obdachlos werden wird. »Die bisher der in Rede stehenden Einrichtung zugewiesenen Personen werden einer anderen ordnungsrechtlichen Unterbringung zugewiesen«, so Rehfeldt.

Die Bewohner*innen der Saalestraße wollen ihre Unterkunft allerdings nicht kampflos aufgeben. »Wir haben uns am Sonntag schon getroffen und ein Plakat gemacht«, sagt Sabine. Am Freitag wolle man zusammen zur Bürgersprechstunde des Neuköllner Bezirksbürgermeisters gehen, vielleicht werde man später auch eine Demonstration vor dem Rathaus veranstalten. »Und wenn das alles nichts hilft, dann müssen wir die Unterkunft besetzen«, sagt Sabine.

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