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»Freilaufende Volltruppenübung« mit echter Schießerei

Erding: Soldat von Polizist leicht verletzt. Stadt und Landkreis waren von Militärübung nicht informiert

Zunächst gab die Polizei keine Informationen darüber heraus, warum es im oberbayerischen Erding am Mittwochabend zu einem Großeinsatz mit Straßensperrungen und einem Hubschrauber kam.
Zunächst gab die Polizei keine Informationen darüber heraus, warum es im oberbayerischen Erding am Mittwochabend zu einem Großeinsatz mit Straßensperrungen und einem Hubschrauber kam.

Ein denkwürdiger Vorfall, der eine Flut von Behauptungen und Dementis hervorgerufen hat: Am Mittwochabend hatten sich bei der Polizei Bürger aus dem oberbayerischen Erding gemeldet, die von herumschleichenden bewaffneten Personen am Stadtrand berichteten. Darauf folgte ein Einsatz, bei dem laut Polizei »aufgrund einer Fehlinterpretation« Schüsse abgegeben wurden. Dabei wurde ein Soldat leicht verletzt. Er wurde in eine Klinik gebracht und nach ambulanter Versorgung wieder entlassen. Angesichts der Ausgangslage kann man da wohl nur von großem Glück sprechen, dass nicht mehr passiert ist.

Nach den Meldungen aus der 37 000-Einwohner-Stadt, die nur 30 Kilometer nordöstlich des Münchner Zentrums liegt, stieg umgehend ein Helikopter auf; ein Sondereinsatzkommando wurde angefordert, viele Beamte rückten aus. Am Rande des Stadtteils Altenerding stießen sie auf Bewaffnete, die zu schießen begannen. Die Polizisten feuerten zurück, ohne zu wissen, dass die »Gegner« Soldaten waren, die ihrerseits nur mit Platzpatronen feuerten.

Was sie erst nach dem Feuergefecht erfuhren: Die Bewaffneten waren Teilnehmer des Bundeswehrmanövers »Marshal Power«, dessen Einsatzbereiche und -zeiträume mit den lokalen Verantwortlichen offenbar völlig unzureichend abgestimmt waren. Auf der Webseite der Truppe heißt es zu dem Training, es handele sich um eine der »größten und komplexesten Feldjägerübungen der vergangenen Jahre«.

Das Manöver findet vom 22. bis 29. Oktober in insgesamt zwölf Landkreisen nordöstlich von München statt. Das Übungsszenario, für das mit einer »freilaufenden Volltruppenübung« trainiert werden sollte: Hinter einer fiktiven Frontlinie bedrohen Drohnen, Saboteure und »irreguläre Kräfte« die Sicherheit. Diese Gegner werden ebenfalls von Feldjägern dargestellt.

500 Soldaten sind daran laut Bundeswehr beteiligt. Sie sollten gemeinsam mit rund 300 zivilen Einsatzkräften von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten »das Zusammenwirken im rückwärtigen Raum – für Sicherheit, Resilienz und Abschreckung« trainieren. Die Abschreckung scheint schon mal gelungen, allerdings eher gegenüber Teilen der Bevölkerung und ahnungslosen Polizeikräften.

Neben dem Landkreis Erding waren unter anderem die Kreise Landshut, Regensburg, Deggendorf und Ingolstadt beteiligt. Das Manöver findet laut Bundeswehr realitätsnah »größtenteils im öffentlichen Raum statt – auf Landstraßen, Firmengeländen und in Ortschaften«. Ziel ist insbesondere die Vertiefung des Zusammenwirkens »mit zivilen Partnern der Blaulichtorganisationen«, ähnlich wie bei der Übung »Red Storm Bravo« Ende September in Hamburg.

Grundsätzlich, so teilte die bayerische Polizei am Donnerstagabend in Ingolstadt mit, sei man im Vorfeld über das Manöver informiert gewesen. Allerdings sei man davon ausgegangen, dass es erst am Donnerstag mit einer ersten sogenannten Lage losgehen sollte. Die Feldjäger, das bestätigt die Bundeswehr, bezogen aber eben schon am Mittwochabend in der »Anmarschphase« ihre »Einsatzräume« im Bereich Altenerding. Darüber sei die Polizei jedoch informiert gewesen.

Maximilian Gotz (CSU), Oberbürgermeister von Erding, sagt dagegen, er habe überhaupt nichts von der Übung gewusst. Und ist empört. Am Donnerstagabend richtete er via Instagram eine Ansprache an die Bürger und nannte die Vorgänge ein »Kommunikationsdesaster«. Die Stadt habe im Vorfeld »keinerlei Information« bekommen, betonte Gotz.

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Nach den Schüssen seien Kinder in einer Turnhalle vorübergehend in Sicherheit gebracht worden, ihre Eltern hätten wegen Polizeiabsperrungen längere Zeit nicht zu ihnen gelangen können, berichtete der Rathauschef. Es sei eine »nicht akzeptable Unsicherheit« in der Bevölkerung entstanden. Zuvor hatte sich der Landrat des Landkreises, Martin Bayerstorfer (CSU), ähnlich geäußert. Das bayerische Innenministerium hat sich bis Freitag nicht zu den Vorkommnissen geäußert. Auch aus dem Bundesverteidigungsministerium gibt es noch keine Stellungnahme.

Die Polizei erklärte, der »Zusammenhang zwischen den militärischen Aktivitäten, dem Notruf aus der Bevölkerung wegen eines Bewaffneten und dem Polizeieinsatz mit der Schussabgabe« werde nun von der Staatsanwaltschaft Landshut geprüft. Die Bundeswehr teilte mit, man werde die Übung trotz des Vorfalls planmäßig fortsetzen.

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