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Für mehr Stabilität: S-Bahn Berlin will Züge streichen
Noch mehr Verspätungen und Ausfälle als im Vorjahr
»Ich bin Berufsoptimist, sonst hätte ich das nicht so lange ausgehalten«, sagt Karsten Preißel ziemlich zu Beginn seines Vortrags. »Aber ich glaube auch noch fest daran, dass wir aus dieser nicht einfachen Situation auch wieder hochkommen«, so der Geschäftsführer Produktion der Deutsche-Bahn-Tochter S-Bahn Berlin GmbH.
Über eine halbe Stunde wird er beim Fahrgastsprechtag hauptsächlich über die mannigfaltigen Probleme bei der Zuverlässigkeit des Berliner S-Bahn-Systems sprechen und über die Lösungsansätze, um sie zumindest zu lindern.
Weniger Züge als Lösung
Zu den Lösungen, die Preißel nennt, gehört auch eine »Anpassung des Betriebsprogramms«. Sprich: Auf bestimmten Streckenabschnitten fahrplanmäßig weniger Züge fahren zu lassen. »Zwischen Biesdorfer Kreuz und Warschauer Straße passt in der Hauptverkehrszeit nichts mehr rein«, sagt er. 24 Züge pro Stunde und Richtung sind mit S5, S7 und S75 auf zwei Gleisen unterwegs. »Und wenn irgendwas klemmt oder ich eine Überführung machen muss, ist das ein Thema.«
Genauso problematisch sei die Situation im Nord-Süd-Tunnel, nur leicht besser auf der Stadtbahn mit 21 Zügen pro Stunde und Richtung. »Die Anspannung ist groß«, sagt Preißel angesichts der ständigen Probleme mit der Leit- und Sicherungstechnik, also Gleisen, Weichen, Signalen, Stellwerken, Personen in und am Gleis, medizinischen Notfällen bei Fahrgästen und Fahrzeugstörungen.
»Wenn die vielen Störeinflüsse mit der Anspannung einhergehen, dann kollabiert das System irgendwann«, sagt Preißel. »Deswegen müssen wir mit Gefühl und Wellenschlag auch noch mal darüber nachdenken: Wo kann man sinnvollerweise etwas rausnehmen, um es einfach planbarer zu machen?« Das gelte auch für Betriebskonzepte bei baubedingten Sperrungen. Welche Linien bereits vor den Flaschenhälsen enden könnten, sagt er nicht. Aber natürlich liegen die Kandidaten auf der Hand: Die S75 oder auch die S26 sind nur schwach ausgelastet.
Pünktlichkeitsversprechen zuletzt 2019 erreicht
»Unsere Betriebsqualität, gemessen in Pünktlichkeit, ist schon seit vielen Jahren bei der Eisenbahn in allen Bereichen absolut unbefriedigend, trotz vieler Anstrengungen«, sagt Preißel. Im vergangenen September habe man mal den Vorjahreswert übertroffen. 92,7 Prozent aller Züge waren weniger als vier Minuten zu spät – so wird Pünktlichkeit im Verkehrsvertrag mit der S-Bahn definiert.
- 130 Störungen verzeichnet die S-Bahn Berlin inzwischen täglich, 2019 waren es noch 80 bis 90 pro Tag.
- Im Vergleich zum Vorjahr ist im laufenden Jahr die Zahl der ausgefallenen Fahrzeugkilometer stark angestiegen: plus 65 Prozent wegen Störungen an Gleisen, Weichen, Signalen und Stellwerken, plus 492 Prozent wegen Bauzeitverlängerungen oder kurzfristig angesetzter Baumaßnahmen, plus 25 Prozent wegen Personen im oder am Gleis.
- Bessere Fahrzeugverfügbarkeit und -zuverlässigkeit sorgten für um 32 Prozent reduzierte Ausfälle.
- Die Leitstelle wird umorganisiert und personell aufgestockt, um besser und koordinierter auf Störungen reagieren zu können.
Zwischen 94,3 und 91,7 Prozent lagen die Werte in den vorherigen Monaten des Jahres 2025. Jeden Monat noch niedriger als zwischen Januar und August 2024, als in der Spitze immerhin 95,2 Prozent Pünktlichkeit geschafft wurden. Die meisten Werte »weit weg von den 96 Prozent, die wir im Verkehrsvertrag versprochen haben«, räumt Preißel ein. Letztmalig sei die vereinbarte Pünktlichkeitsquote 2019 erreicht worden.
»Das setzt sich fort bei der Zuverlässigkeit des S-Bahn-Systems, die eigentlich noch wichtiger ist«, berichtet Preißel. In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres sind 5,28 Prozent aller Zugkilometer ausgefallen. Mehr als jede 20. Fahrt also – ein Wert, der vergleichbar ist mit der weiterhin schlechten Leistung der Berliner U-Bahn. »Da sind dann schon baubedingte Themen ausgeklammert, das sind wirklich Ausfälle«, verdeutlicht der Eisenbahner.
Belastung bei Beschäftigten und im Geldbeutel
»Jetzt könnte ich sagen: Wir sind immer noch das zweitbeste S-Bahn-System in Deutschland nach Hamburg«, zieht Preißel den deutschlandweiten Vergleich. Fahrgäste in Stuttgart, München oder Frankfurt am Main würden solche Ausfallquoten wie in Berlin noch mit Kusshand nehmen. »Aber das ist nicht unser Anspruch.«
Die Fahrgäste litten, aber auch die Beschäftigten der S-Bahn. »Bei uns in der Produktion arbeiten über 2000 Kolleginnen und Kollegen. Die machen das mit Herzblut. Und die leiden so wie sie«, sagt er zu den über 100 Anwesenden, die am Mittwochabend in die Kantine der S-Bahn-Zentrale am Berliner Nordbahnhof gekommen sind. Eingeladen hatte der Berliner Fahrgastverband Igeb.
»Ich bin Berufsoptimist, sonst hätte ich das nicht so lange ausgehalten.«
Karsten Preißel S-Bahn Berlin
Nicht zuletzt kosten die Ausfälle das Unternehmen Jahr für Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag. »Wenn es einen Hebel geben würde, oder zwei oder drei, würde ich die gerne nehmen, weil das ein gutes Geschäft wäre«, sagt Preißel. »Es gibt aber eben nicht die zwei, drei Hebel, das ist die manchmal ernüchternde Botschaft – gerade in der Fahrzeugtechnik.«
Supergau im Sommer
Ein Ereignis ragte dieses Jahr aus dem alltäglichen Elend der Störungen heraus. Preißel spricht über die »schwarze Serie« im Sommer auf der Stadtbahn. Gemeint ist die lange anhaltende Serie von Störungen der Gleisfreimeldetechnik vor allem im Bereich zwischen den Bahnhöfen Hackescher Markt und Friedrichstraße. Nur noch ein Rumpfverkehr konnte dann über die zentrale Ost-West-Strecke der S-Bahn geleitet werden. Er könne sich nicht erinnern, dass es vorher solche Störungen auf der Stadtbahn Tag für Tag gab, sagt Preißel.
Eine Taskforce wurde eingerichtet, Bauteile wurden ausgetauscht, zudem werden kritische Stellen inzwischen häufiger gereinigt. Offenbar mit Erfolg: Die beispiellose Häufung von Ausfällen hat ein Ende gefunden. »Heftpflaster« nennt Preißel solche Maßnahmen. Sie lösten die grundlegenden Probleme nicht, schafften aber Linderung.
Die Lösung wäre ein Technikwechsel auf zuverlässigere Systeme. »Wir arbeiten im Konzernverbund mit den Kolleginnen und Kollegen der DB Infrago daran, das vorzuziehen«, sagt Preißel.
Zukunft voller Herausforderungen
Ein Dauerproblem bleibt auch die Fahrzeugverfügbarkeit. Bei der Baureihe 481, mit 1000 Wagen die größte Serie im S-Bahn-Netz, zeigen sich zunehmend Probleme bei der Verkabelung. Stecker lösen sich auf, Kabel werden so porös, dass es zu Kurzschlüssen kommt. Bemerkenswert, da gerade ein 250 Millionen Euro schweres Sanierungsprogramm für den Typ vor dem Abschluss steht.
»Es gibt viele schlaue Leute, die sagen: Warum habt ihr das nicht vorher gesehen?«, sagt Preißel. Er entgegnet, dass das Sanierungsprogramm vor zehn Jahren konzipiert worden sei. Einerseits hatten sich die Probleme damals nicht gezeigt: »Das sind Kabelbäume, die normalerweise ein Wagenleben andauern müssen, die nicht repariert werden, da gibt es doch keine Instandhaltungsanweisung.«
Andererseits gibt es die immer weiteren Verzögerungen bei der Vergabe der Verträge für Fahrzeuglieferung und Betrieb für zwei Drittel des S-Bahn-Netzes. Zwar hat im September ein Konsortium aus den Fahrzeugherstellern Stadler Rail und Siemens sowie der S-Bahn Berlin GmbH den Zuschlag erhalten. Der unterlegene Bieter Alstom hat jedoch Beschwerde bei der Vergabekammer eingelegt. Im Anschluss ist zudem zu erwarten, dass noch ein Verfahren vor dem Kammergericht folgt. »Frühestens, wenn alles gut geht, sind 2031 die ersten neuen Fahrzeuge da und 2037 oder 2038 ist die Auslieferung abgeschlossen«, sagt Preißel.
Das nächste Stabilitätsproblem vor allem für die Ringbahn steht schon vor der Tür. Nämlich mit der derzeit für April 2026 angekündigten Inbetriebnahme der S15, die zwischen dem seit Jahren fertiggestellten Tiefbahnhof am Hauptbahnhof und Gesundbrunnen im Zehn-Minuten-Takt pendeln soll.
»Meine Kollegen haben in Gesundbrunnen mit allen Beteiligten jede Sekunde gestoppt, weil ich Sorgen habe«, sagt Preißel. Denn die Züge müssen dort gegen die Fahrtrichtung ins Kehrgleis ziehen. »Das ist immer ein Störfaktor«, so der Eisenbahner. Ihm wäre lieber, wenn die Linie weitergeführt würde. Im Gespräch war beispielsweise ein Endpunkt in Blankenburg, wo es Wendegleise gibt. Doch offenbar wollen es die Verantwortlichen beim Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg und in der Senatsverkehrsverwaltung darauf ankommen lassen.
Ein weiteres »Heftpflaster« für mehr Betriebsstabilität will die S-Bahn ab November testen. Am Alexanderplatz und am Hauptbahnhof sollen Rettungssanitäter stationiert werden. Ihre Aufgabe: Personen mit medizinischen Problemen, die in Zügen sitzen, in Empfang zu nehmen und am Bahnhof zu versorgen. »Damit unser Lokführer nach einer halben Minute wieder weiterfahren kann«, erläutert Preißel. »Wenn ich da 15 Minuten an einer blöden Stelle stehe, am Hackeschen Markt, auf der Stadtbahn, dann ist der Tag im Eimer«, sagt er über die derzeitige Situation.
Immerhin etwas Erfreuliches kann Preißel berichten: »Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber.« Die Stellen sind besetzt, auch ein zwischenzeitlicher Engpass bei Elektrikern konnte inzwischen behoben werden.
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