Gespaltene DDR-Erinnerung

Pflichtbesuche in Gedenk­stätten während der Schul­zeit gefordert

  • Maria Neuhauss
  • Lesedauer: 4 Min.
Die ehemalige Untersuchungshaftanstalt des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen ist eine Gedenkstätte.
Die ehemalige Untersuchungshaftanstalt des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen ist eine Gedenkstätte.

Beschäftigen sich die Berlinerinnen und Berliner mit der DDR, findet dies vor allem im privaten Kontext statt. Dies geht aus einer aktuellen Studie zu DDR-Bild- und -Erinnerungskultur in der Hauptstadt hervor. Demnach wird die DDR-Vergangenheit eher in Gesprächen mit Familie und Freund*innen verhandelt als in Schule, Studium, Gedenkstätten und Museen.

In Auftrag gegeben wurde die Studie vom Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur: Frank Ebert sieht die Erzählungen über die DDR in den Familien in Teilen kritisch. Denn – auch das stellt die Studie fest – gerade Ältere mit Ost-Hintergrund charakterisieren die DDR zwar durchaus als repressiv, verbinden diesen Staat andererseits aber auch mit fürsorglichen und sozialen Aspekten.

Das missfällt Ebert. »Hier muss die Vermittlung in der Schule, an Universitäten, aber auch bei außerschulischen Bildungsangeboten ansetzen und den diktatorischen Charakter der DDR verdeutlichen«, sagt er. 84 Prozent der Befragten hatten zugestimmt, dass der Besuch von Gedenkstätten in den Lehrplänen verankert werden sollte. Ebert zeigte sich bei der Präsentation der Studie in der vergangenen Woche sichtlich erleichtert, dass 47 Prozent der Befragten die DDR als autoritär bezeichneten. »Dass die DDR weit überwiegend als Diktatur verstanden wird, liegt auch an der guten Arbeit der Gedenkstätten«, meint der Beauftragte.

»Dass die DDR weit überwiegend als Diktatur verstanden wird, liegt auch an der guten Arbeit der Gedenkstätten.«

Frank Ebert Aufarbeitungsbeauftragter

Ohnehin standen die Gedenkstätten bei der Präsentation der Studie im Fokus. Die Untersuchung hatte ergeben, dass sich gerade touristisch geprägte Erinnerungsorte mit Bezug zur Mauer großer Bekanntheit erfreuen. Während die allermeisten Berliner*innen den Checkpoint Charlie und die East Side Gallery bereits besucht haben, kennen deutlich weniger andere Orte wie den Campus für Demokratie oder die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde.

Helge Heidemeyer verwies bei der Präsentation der Studie galant darauf, dass die Personalsituation der von ihm geleiteten Gedenkstätte Hohenschönhausen schon jetzt angespannt sei. Regelmäßig müssten Besuchergruppen abgewiesen werden. Auch die politischen Seminare seien bei der aktuellen Personalausstattung an ihr Limit gelangt. Die Gedenkstätte Hohenschönhausen ist in einer ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit eingerichtet.

Der Beauftragte erklärte mit Blick auf die Haushaltsverhandlungen: »Die Gedenkstätten, Museen und Erinnerungsorte in Berlin leisten hervorragende Arbeit. Trotz finanziell angespannter Zeiten ist es wichtig, jetzt nicht am falschen Ende zu sparen.« Sollen die Berliner Schüler*innen künftig verpflichtende Gedenkstättenbesuche absolvieren, müsste dies natürlich von einem Aufwuchs der Fördermittel begleitet sein.

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Die Frage nach der geeigneten Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte steht auch deshalb auf der Tagesordnung, weil Zeitzeug*innen immer älter werden. Schon jetzt gibt es einen klaren Unterschied der Generationen. Jüngere kennen die DDR nicht mehr aus eigenem Erleben und denken eher an ihr Ende als an früheres Geschehen. Danach gefragt, welches mit der DDR verbundene Ereignis ihnen als Erstes in den Sinn kommt, erwähnen 16- bis 25-Jährige vor allem den Mauerfall, während die über 70-Jährigen eher an den Mauerbau 1961 oder die Unruhen am 17. Juni 1953 denken.

Gefragt nach den Vermittlungsformaten, die sie am ehesten motivieren würden, sich mit der DDR zu befassen, nennen die meisten in erster Linie Spielfilme oder Serien. 38 Prozent der Befragten stimmen zudem der Aussage zu, dass das gesellschaftliche Erinnern an »DDR-Unrecht« oftmals aus nicht mehr zeitgemäßen Ritualen bestehe. An ehesten würden sie gern mehr über das Alltagsleben in der DDR erfahren.

Grundlage für die Auswahl der Befragten war eine Zufallsstichprobe aus dem Einwohnermelderegister. 1643 Fragebögen von Einwohnern ab 16 Jahren gingen in die Auswertung ein. Die Befragung wurde vom Meinungsforschungsinstitut Forsa vorgenommen und ist Teil einer umfassenderen Aufarbeitung, die 2017 vom Abgeordnetenhaus beschlossen wurde.

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