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»Rückkehr unerwünscht«: Wen die Nazis »asozial« nannten
Die Ausstellung »Die Verleugneten« erinnert in Köln an vergessene Opfer der Nazis, die auch nach 1945 als »asozial« diskriminiert wurden
Die menschenverachtende Politik der Nationalsozialisten hat Auswirkungen bis heute. Wer damals als »asozial« oder »Berufsverbrecher« verfolgt wurde, trug diesen Stempel noch nach Jahrzehnten auch in der Bundesrepublik. Erst im Februar 2020 beschloss der Bundestag, das Leid dieser Verfolgten anzuerkennen und ihr Schicksal stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Bis auf die AfD, die sich enthielt, stimmten alle Fraktionen dem Antrag zu.
Die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und die Stiftung »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« erhielten den Auftrag, eine Wanderausstellung zu erarbeiten. Sie heißt »Die Verleugneten« und ist derzeit im Kölner NS-Dokumentationszentrum zu sehen. Auf beeindruckende Weise stellt sie exemplarisch das Schicksal von 16 Männern und Frauen vor, die damals verfolgt wurden. Alle wurden auch nach 1945 weiterhin ausgegrenzt. Die NS-Stempel »asozial« und »Berufsverbrecher« wurden nicht hinterfragt – im Gegenteil, sie wurden in der bundesdeutschen Gesellschaft bereitwillig übernommen und dienten der fortgesetzten Diskriminierung. So schafften es die Betroffenen nicht, als politisch Verfolgte anerkannt zu werden und Entschädigungen für ihre Haftzeiten zu erlangen.
16 Mal wird ein Leben buchstäblich nachgezeichnet. Denn Alltagsfotos der Betroffenen gab es kaum noch, und Polizeifotos von damals wollte man nicht zeigen. Stattdessen setzte man auf freundlich-bunte Zeichnungen von Nino Bulling und Jul Gordon. Dazu ein kurzer schriftlicher Abriss über die Gründe, die zur Verfolgung führten, weitere Fakten für die Zeit nach Kriegsende und an Hörstationen Interviews mit Familienangehörigen und schließlich amtliche Dokumente, beispielsweise eine »ärztliche Bescheinigung«, mit der Travestie diagnostiziert wurde, wofür man ins KZ kam.
Viele Gründe führten zu einer Verfolgung. Hier nur drei Beispiele, die in der Ausstellung mit vollem Namen genannt werden: Werner Thümer war wegen »Bettelns« vorbestraft, wurde wegen »Bummelei« festgenommen, für seine geistige Einschränkung machte man »erbliche Vorbelastung« verantwortlich -– er wurde zwangssterilisiert und in ein Jugend-KZ eingeliefert. Offiziell starb er mit 22 Jahren 1943 in der Landespsychiatrie Brandenburg an Tuberkulose.
Ilse Heinrich wäre gerne Kinderkrankenschwester geworden, musste aber auf Bauernhöfen arbeiten. Sie hielt es nicht lange aus, erhielt den Stempel »arbeitsscheu« und kam als »asozialer« Häftling ins Frauen-KZ Ravensbrück, wo sie den schwarzen Winkel tragen musste. Sie überlebt und wohnt als alleinerziehende Mutter im Güstrower Arbeitshaus. 1999 berichtet sie von ihren Erfahrungen in der Schneiderei des KZ – als Audiodokument in der Ausstellung zu hören.
Rudi Zerbst verdiente Geld damit, in Leipziger Kneipen die Gäste zu zeichnen. Dafür hatte er keine Erlaubnis und galt als »arbeitsscheu«. Nach lautstarken Konflikten mit Beamten wurde er ins KZ Sachsenhausen transportiert, danach nach Dachau und Buchenwald verlegt. Hier kam er 1941 in einer Arrestzelle – dem sogenannten Bunker – ums Leben.
In fünf Kapiteln wird die Geschichte der »Verleugneten« aufbereitet. Sie litten oft unter Wohnungslosigkeit und begingen aus sozialer Not strafbare Handlungen, für die sie in Arbeitslager und KZ gesperrt wurden. Allein 80 000 kamen ins KZ, schätzen Experten. Unklar ist, wie viele in Arbeitslagern gefoltert, zwangssterilisiert oder Opfer der »Euthanasie« wurden.
Bei ihren Nachforschungen konnten die Historiker vor allem auf Unterlagen der Kölner Kriminalpolizei zurückgreifen. Im Duisburger Landesarchiv fand sich auch der Fall von Gertrud Nohr, der speziell der Kölner Ausstellung hinzugefügt wurde. Sie wuchs wegen sexualisierter Gewalt in ihrer Familie in einem Erziehungsheim auf, lebte dann als Alleinerziehende eines Sohnes in der Kölner Altstadt, bekommt eine Geschlechtskrankheit, wird der Prostitution verdächtigt und kommt ins Frauen-KZ Ravensbrück, wird dann nach Bergen-Belsen verlegt, wo sie 1945 von britischen Soldaten befreit wird. Eine Entschädigung nach dem Kriegsfolgegesetz von 1988 erhält sie erst in den 90er Jahren. 2011 stirbt sie in Köln.
Dagegen konnte der Polizeibeamte Willy Gay, der Menschen ins KZ einweisen ließ und dazu verschiedentlich in den Akten »R. U.« notierte, was »Rückkehr unerwünscht« hieß und eine Aufforderung zu deren Tötung war, nach 1945 seine Berufslaufbahn unhinterfragt fortsetzen. Erst war er Kripo-Chef in Köln und arbeitete dann im NRW-Innenministerium.
»Die Verleugneten«, bis 4. Januar im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, Appellhofplatz 23–25.
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