Diese Rolle ist auserzählt: Thomas Gottschalk

Thomas Gottschalk beendet seine Samstag­­abend­show-Karriere

Das war einmal die neue Lockerheit im Fernsehen: Thomas Gottschalk imitiert 1996 den Affen aus der ZDF-Serie »Unser Charly«
Das war einmal die neue Lockerheit im Fernsehen: Thomas Gottschalk imitiert 1996 den Affen aus der ZDF-Serie »Unser Charly«

Thomas Gottschalk hört mit dem Fernsehen auf. »Ich kann nicht mehr auftreten. Ich muss gesund werden«, sagte er kürzlich, als er über »Bild« seine schwere Krebserkrankung öffentlich machte. Diesen Samstag moderiert er zum letzten Mal bei RTL die Spielshow »Denn sie wissen nicht, was passiert«. Gottschalks letzte TV-Auftritte waren nicht gut angekommen, er habe unkonzentriert und neben der Spur gewirkt, hieß es. Nun gab seine Ehefrau Karina Mroß bekannt, seine starken Medikamente seien dafür die Ursache gewesen.

Und doch fragt man sich: Warum macht er das? Ist es nötig, als gelernte lebende Legende immer weiter zu moderieren, auch mit 75? Befolgt er die goldene Schäuble-Regel der Politiker, niemals abzutreten, weil der Beruf nur als Rausch empfunden werden kann? Oder weil in der »Welt« zu lesen war: »So wie Beckenbauer Fußball ist, ist Gottschalk zum Inbegriff der Fernsehunterhaltung am Samstagabend geworden.« Das war vor 15 Jahren. Beckenbauer lebt nicht mehr, doch Gottschalk hat seitdem gleich zwei autobiografische Bücher verfasst: 2015 »Herbstblond«, da war er 65. Und 2019 »Herbstbunt«, da war er 69. Goldener Vogel Seniorentum!

In einem Interview erzählte er mal, wenn ihm eine Gruppe ab drei oder vier Menschen begegne, müsse er gleich einen Scherz machen, er könne nicht anders, eine Art Zwangsverhalten. Über die Jahrzehnte hat das sehr gut funktioniert, erst im Radio des Bayerischen Rundfunks, dann im Fernsehen. Er war stets sehr locker und auch lustig. Je situativer, desto besser. Dabei hatte er als Nachrichtensprecher angefangen. Und davor ein Studium als Grundschullehrer abgeschlossen.

Gottschalk sei ein »Jahrhunderttalent«, eben »ein Meister des Spontanen, gebildet und unheimlich witzig«, meinte Viktor Worms, der ebenfalls vom Radio ins Fernsehen wechselte. Worms moderierte dort eine der schlimmsten Sendungen, die »ZDF-Hitparade«. Gegen deren schlagerhafte Verspanntheit und Spießigkeit hatte Gottschalk seinen lässigen Stil entwickelt.

Für das ZDF moderierte er »Wetten dass…?« – insgesamt 22 Jahre, denn er machte das so gut wie niemand sonst. Mal mit Bart, mal ohne, aber grundsätzlich auffallend bunt angezogen und dabei easy-peasy in seinem Auftreten. Nach einem schlimmen Unfall in der Liveshow machte er 2011 Schluss mit der Sendung, was diese nicht lange überlebte, sie wurde 2014 eingestellt.

Aber auch alles andere, was Gottschalk daneben und danach im Fernsehen und im Radio machte, lief weniger erfolgreich bis nicht besonders gut. Als sei er auf seine Rolle als Moderator von »Wetten dass…?« auf immer festgenagelt, so ähnlich wie der Kapitän mit einem Nagel durch die Stirn am Mast im Märchen »Das Gespensterschiff« von Wilhelm Hauff. Jede Nacht erwacht er erneut zum Leben, um dann beständig wieder zu Staub zu zerfallen. Denn er ist verflucht.

Gleichwohl galt Gottschalk als Einziger im Lande als Fernsehmoderator von internationaler Klasse. Schon vor »Wetten dass…?« lebte er wie ein Popstar, drehte bescheidene, aber sehr erfolgreiche Kinofilme mit solchen Titeln wie »Die Supernasen« oder »Zärtliche Chaoten«, brach dann als Reklamefigur für Gummibärchen alle zeitlichen Rekorde und hatte wie im Märchen einen Doppelwohnsitz: auf einem Schloss in Remagen und in einer umgebauten Mühle in Malibu, die 2018 von einem Waldbrand komplett zerstört wurde.

Und auch durch Gottschalks Karriere fraß sich langfristig das Feuer der modernen Zeit. Galt er noch vor rund zehn Jahren als Geheimtipp auf Twitter, der überraschend unkonventionelle Kommentare raushaue, so verbreitete er in den letzten Jahren die Erzählung, die Jugend könne mit seiner scheinbaren Alterslosigkeit nichts mehr anfangen, was ihn durchaus verunsichere.

Tatsächlich gründete sein früher oft gerühmter jungenhafter Charme auf seiner assoziationsreichen Flapsigkeit, mit der er im Fernsehen die Stereotypen bediente, was vor allem Frauen zu spüren bekamen und was ab den 2010er Jahren konstant weniger ankam. »Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst«, rechtfertigte sich Gottschalk 2024 im »Spiegel«, »wie ein Schauspieler, der im Film küsst, weil es im Drehbuch steht.«

Aber was für ein Drehbuch war das? Ein mittlerweile doch ziemlich verstaubtes und vorhersehbares aus dem Schatzkästlein »des ewigen Stenz«. Eine Rolle, mit der Helmut Fischer, Gottschalks Schauspielerkollege bei den »Zärtlichen Chaoten« (Teil 1 und Teil 2), in den 80ern in der München-Serie »Monaco Franze« berühmt wurde. Diese Rolle ist auserzählt, wie man im Fernsehen sagt. Fun Fact: Gottschalk spielte in dieser Serie auch mal mit, er mimte einen Türsteher.

»Denn sie wissen nicht, was passiert« – aus dieser Show treten zusammen mit Gottschalk auch Günther Jauch und Barbara Schöneberger als etwas bis wesentlich jüngere Moderatoren ab. Ob aus Solidarität oder Einsicht, ist unklar.

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