Bürgergeld in Berlin: Keine Erhöhung der Richtwerte der AV Wohnen

Jobcenter sollen höhere Mieten nur im Einzelfall übernehmen, Ausnahmen gibt es viele

Cansel Kiziltepe (SPD), Berliner Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung
Cansel Kiziltepe (SPD), Berliner Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung

Der aktuelle Mietspiegel hat es nicht hergegeben, die Richtwerte für die Kosten der Unterkunft in den Ausführungsvorschriften Wohnen (AV Wohnen) zu erhöhen. Das teilte Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) am Dienstag auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Senatssitzung mit. Die AV Wohnen gilt als Grundlage zur Berechnung der angemessenen Wohnkosten, welche etwa die Jobcenter und Sozialämter für Beziehende von Sozialleistungen übernehmen. »Wenn Sie sich den qualifizierten Mietspiegel anschauen, dann gibt es zwischen den Jahren 2023 und 2024 auch keine signifikante Erhöhung, die Erhöhung liegt bei 0,7 Prozent«, so Kiziltepe.

Allerdings seien die von den Ämtern zu zahlenden Heizkosten erhöht worden – als Reaktion auf die Energiekrise, wie es vom Senat heißt. Und es sei neben einer abstrakten Angemessenheitsprüfung der Wohnkosten auch eine konkrete und individuelle eingeführt worden, sagte Kiziltepe. Damit soll bestimmt werden, wann Mietkosten, die die Richtwerte übersteigen, übernommen werden müssen. Und das sind laut Sozialsenatorin gar nicht so wenige Fälle: Alleinerziehende, Menschen über 60 Jahren, von Wohnungslosigkeit bedrohte und pflegebedürftige Menschen gehören zum Beispiel dazu.

»Das ist einfach nur unverständlich, unglaublich und zutiefst unsozial, weil es dazu führen wird, dass Menschen am Kühlschrank sparen werden, um die Mieten zu bezahlen.«

Taylan Kurt (Grüne) Sozialpolitischer Sprecher

Eine Mutter mit Kind, die in ihrem Zuhause von häuslicher Gewalt bedroht ist und deshalb ausziehen muss, dürfe etwa eine Wohnung beziehen, die 20 Prozent über den Richtwerten der AV Wohnen liegt. Konkret darf die Miete für die beiden dann bei bis zu 651 Euro liegen und nicht bei den eigentlich vorgesehenen 543,40 Euro, rechnet Kiziltepe vor. »Wir wollen mit der AV Wohnen und den Härtefallmaßnahmen dafür sorgen, dass keiner im Stich gelassen wird, dass keiner auf der Straße landen muss.«

Taylan Kurt, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, ist durch solche Worte nicht zu besänftigen. »Das ist eine Katastrophe«, sagte er zur Nicht-Erhöhung der Miet-Richtwerte in der AV Wohnen zu »nd«. Weil aktuell auf Bundesebene geplant werde, die Situation für Bürgergeld-Beziehende im Hinblick auf die Mietkosten deutlich zu verschärfen, müsse der Berliner Senat versuchen, gegenzusteuern. Doch in den Augen Kurts passiert das durch die neue AV Wohnen nicht. »Das ist einfach nur unverständlich, unglaublich und zutiefst unsozial, weil es dazu führen wird, dass Menschen am Kühlschrank sparen werden, um die Mieten zu bezahlen.«

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Wenn der Mietspiegel nicht abbilden würde, dass die Mieten in Berlin steigen, dann müsse sich die SPD fragen, ob der Mietspiegel tatsächlich die Realität darstellt, sagte Kurt. So sieht es auch der Niklas Schenker, Sprecher für Mieten und Wohnen der Berliner Linksfraktion. »Man hätte eine andere Datengrundlage nehmen müssen.« Dass die Mieten in Berlin steigen, sei offensichtlich.

Laut einer kürzlich vorgestellten Studie sei in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, deren Miete gemäß AV Wohnen gezahlt werde, gesunken, die Ausgaben dafür allerdings gestiegen, sagte Schenker. »Eigentlich wäre es wichtig, dass alle Jobcenter die Mieten überprüfen, wenn sie Leistungen bezahlen.« So könnten staatliche Ausgaben gespart werden, sagt der Linke-Politiker.

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