Chinas Umlenkungsmanöver

EU-Handelskammer warnt, dass Europas Konzerne beim Handel mit China den Kürzeren ziehen könnten

China drängt derzeit auch so viel auf Exportmärkte, weil die Nachfrage der Verbraucher im Land schwächelt.
China drängt derzeit auch so viel auf Exportmärkte, weil die Nachfrage der Verbraucher im Land schwächelt.

Chinas Handelsüberschuss hat Ende November erstmals die Schallmauer von einer Billion Dollar durchbrochen und damit das Tempo aus dem Vorjahr noch übertroffen. Daraufhin erhöhte der Internationale Währungsfonds (IWF) vergangene Woche auf seiner turnusmäßigen Sitzung in Peking den Druck auf China, seinen Exportboom einzuschränken. »Wenn Chinas Wirtschaftswachstum weiter so abhängig von Exporten bleibt, steigt das Risiko, dass sich die globalen Handelskonflikte weiter verschärfen«, begründete Präsidentin Kristalina Georgieva den Vorstoß des IWF. Auch Europa könnte beim Handel mit China den Kürzeren ziehen, warnte am Freitag die EU-Handelskammer.

Die Volksrepublik exportiere immer weiter, während die Importe weniger werden, klagt die EU-Handelskammer in Peking, die mehr als 1500 europäische Unternehmen vertritt. Für Europas Konzerne sei die Entwicklung problematisch. China war zwar 2024 nach den Vereinigten Staaten der zweitwichtigste Handelspartner der EU. Betrachtet man Importe und Exporte der Europäischen Union aber getrennt, zeigen sich erhebliche Ungleichgewichte: Bei den Importen war China mit einem Anteil von 21 Prozent das wichtigste Herkunftsland, bei den EU-Exporten landete die Volksrepublik allerdings nur auf Platz drei, mit einem Anteil von acht Prozent. Die EU hatte dabei ein Handelsdefizit von mehr als 300 Milliarden Euro, da die Importe aus China (517,8 Milliarden Euro) deutlich umfassender waren als die Exporte dorthin (213,3 Milliarden Euro).

Das Dilemma der deutschen Unternehmen

In dem am Freitag von der EU-Handelskammer veröffentlichten Report wird das Dilemma beschrieben, in dem sich viele, auch deutsche Unternehmen befinden. Einerseits ist der riesige chinesische Absatzmarkt hochattraktiv. Anderseits kommt der Bericht zu dem Schluss, dass Chinas »übermäßiger Einfluss auf die Lieferketten nun negative Folgen für einige ausländische Unternehmen und Märkte in Drittländern hat«. Chinas hocheffiziente Industriecluster hätten das Land zur weltweit einzigen Produktionssupermacht und zu einem Eckpfeiler der globalen Lieferketten gemacht, der für die Herstellung zahlreicher Produkte unverzichtbar sei

Während in der EU über Anti-China-Zollschranken gestritten wird und sich die schwarz-rote Merz-Regierung im Koalitionsvertrag dem »De-Risking«, also der Diversifizierung der Lieferketten, verschrieben hat, wollen deutsche Unternehmen chinesischer werden. »Lokalisierung ist die wichtigste strategische Antwort«, lässt sich ein Vorstand der Deutschen Handelskammer in Schanghai zitieren. Selbst der teilstaatliche VW-Konzern baut neben Wolfsburg nun ein zweites Entwicklungszentrum in der ostchinesischen Stadt Hefei auf, von dem aus zukünftig der globale Süden bedient werden soll.

Chinas Exportboom ist freilich auch die Folge einer hausgemachten Krise. Während Solarmodule, medizinische Tabletten und Seltene Erden die Exporte ankurbeln, zieht die Krise der Immobilienbranche immer weitere Kreise. Der Bau von Wohnhäusern und Büros trug einst ein Viertel zur chinesischen Wirtschaftsleistung bei. Seither schwächelt die Nachfrage der Verbraucher im Land. Die Industrie, deren Kapazitäten für den chinesischen Eigenbedarf ohnehin zu groß sind, sucht daher verstärkt nach Absatzmärkten im Ausland.

Chinas Exporte nach Afrika und Südostasien legen stark zu

Die Ausfuhren in die USA sanken zwar aufgrund der amerikanischen Zollschranken, gleichzeitig gingen aber mehr Waren nach Europa und auch nach Deutschland. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft erkennt ein »Umlenkungsmanöver«: Chinesische Anbieter drängen oft zu extremen Niedrigpreisen in den hiesigen Markt

Besonders stark legten Chinas Exporte nach Afrika und Südostasien zu. So stieg der Export nach Vietnam um ein Viertel, der nach Afrika sogar noch mehr. Medienberichten zufolge wird ein Teil der Lieferungen in den Ländern geringfügig weiterverarbeitet oder nur neu verladen, um dann weiter in die USA transportiert zu werden und somit Zollbeschränkungen zu umgehen.

»Die derzeitigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und China sind wie eine Fliege, die auf eine Windschutzscheibe wartet«, sagte Jens Eskelund, Manager der dänischen Reederei Maersk und Präsident der EU-Handelskammer, anlässlich der Vorstellung des Lieferketten-Reports. »Das sich ausweitende Handelsungleichgewicht – das durch Chinas unterbewertete Währung Renminbi noch verstärkt wird – sowie die zahlreichen kritischen Abhängigkeiten der EU von China drängen Brüssel zu entschlossenerem Handeln.« Und die asiatische Weltmacht müsse die wachsenden wirtschaftlichen Sicherheitsbedenken der EU als Kernfrage der Beziehungen endlich anerkennen. Dies wäre für beide Seiten vorteilhaft.

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