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Bauern auf globalem Schachbrett

Landwirte werden weltweit zunehmend zum Spielball von Großkonzernen der Agrarindustrie

Ein Mähdrescher Lexion auf der Landtechnik-Messe Agritechnica: Große Unternehmen drängen kleine Bauern auch durch teure Gerätschaften vom Markt.
Ein Mähdrescher Lexion auf der Landtechnik-Messe Agritechnica: Große Unternehmen drängen kleine Bauern auch durch teure Gerätschaften vom Markt.

Einen »globalen Ungleichheitsnotstand« prangerte eine Gruppe von Ökonomen anlässlich des Gipfels der großen Industrie- und Schwellenländer (G20) an, der Ende November in Südafrika stattfand. Demnach haben 2,3 Milliarden Menschen nicht zuverlässig genug zu essen und müssen regelmäßig Mahlzeiten auslassen – weit mehr als noch 2019, hat das Expertengremium um Joseph Stiglitz ermittelt. »Es ist an der Zeit, dass wir erkennen, dass wir uns in einer Ungleichheitskrise befinden«, sagte Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz. Einen Beitrag zur Ungleichheitskrise leistet auch die globale Landwirtschaft.

Heute prägen weniger Regeln von Angebot und Nachfrage als geopolitische Konflikte das Geschehen. »Zwei Könige stehen sich auf gegenüberliegenden Seiten des globalen Schachbretts gegenüber und kämpfen um Einfluss«, schreiben die Analysten der genossenschaftlichen Rabobank, weltweit einer der größten Agrarkreditgeber. »Sie beäugen sich vielsagend, und die Bauern spüren die Spannung.« Die Welt sei heute ein Schlachtfeld zwischen zwei Einflusssphären: den USA und China, heißt es im »Agri Commodity Outlook 2026« der Rabobank.

Auch wenn dies für jeden, der heute Zeitung liest, offensichtlich sein mag, beobachtet Rabobank-Analyst Michael Every bereits seit fast einem Jahrzehnt eine »fragmentierte Welt«. Durch Zölle und Handelshemmnisse vergrößern sich die Preisunterschiede zwischen den Erzeugerregionen. Um gegenzusteuern, setzen viele Länder auf (noch) mehr Subventionen. Zwar seien staatliche Hilfen im Agrarsektor nichts Neues, doch die Programme sind zuletzt in wichtigen Regionen deutlich ausgeweitet worden – von den USA über Brasilien, Indonesien, Argentinien bis Russland.

Die Schere zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreisen geht immer weiter auseinander.

Profiteure sind weniger die Bauern als die Agrarindustrie. Der deutsche Polit-Infodienst »German Foreign Policy« kritisiert die »Tribute von Big Agro«. Die zunehmende Konzentration von Konzernmacht gefährde zudem die Versorgungssicherheit, da die Gewinnmaximierung im Vordergrund stehe.

»German Foreign Policy« verweist auf den Bericht des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, Michael Fakhri. Danach verfügen gerade einmal ein Prozent der industriellen Landwirtschaftsbetriebe inzwischen über 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Gleichzeitig kontrollieren vier Unternehmen mehr als die Hälfte des kommerziellen Saatgutmarktes und über 60 Prozent des Pestizidmarktes. Ähnlich dominant ist eine kleine Zahl von Anbietern bei Düngemitteln, Landmaschinen und Tierarzneien.

Die Gewinnmargen haben sich denn auch deutlich verschoben – weg von der Landwirtschaft, hin zu Industrie und Handel. Und die Schere zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreisen geht immer weiter auseinander. Kritisch sieht Fakhri auch die Agrarpolitik der Europäischen Union. Deren Subventionssystem begünstige größere Betriebe und fördere dadurch das Höfesterben.

UN-Sonderberichterstatter Fakhri sieht in dieser Zentralisierung von Marktmacht eine Hauptursache für Hunger und Mangelernährung. Der 22-seitige UN-Bericht »Right to Food« erwähnt namentlich auch die deutschen Konzerne Bayer und BASF, die gemeinsam mit Syngenta (China) und Corteva (USA) den Saatgut- und Pestizid-Sektor dominieren. Die große Marktmacht des deutschen Geflügel-Multis EW kritisiert Fakhri ebenso wie die der hiesigen Supermärkte.

Die nichtstaatliche Organisation Public Eye schreibt in Bezug auf die Konzentration im Saatgutmarkt: »Die Industrie hat alles in ihrer Macht Stehende getan, um die Landwirte zu ermutigen, keine neuen Sorten mehr zu züchten. Zuerst mit Hybridsaatgut, dann mit Patenten auf Saatgut.« Dabei seien es gerade die Bauern, die die landwirtschaftliche Biodiversität entwickelt hätten.

Das kürzlich veröffentlichte Sondergutachten der Monopolkommission prangert die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel und in Teilen der Nahrungsmittelindustrie in Deutschland an. In den letzten Jahren sei die Konzentration erheblich gestiegen. »Die Macht des Lebensmitteleinzelhandels und teilweise der Hersteller ist zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich gestiegen, während die Landwirtschaft oft den Weltmarktrisiken ausgesetzt ist«, erklärt Tomaso Duso, Vorsitzender der Monopolkommission. Als Grund nennt Duso zahlreiche Zusammenschlüsse in der Branche und die zunehmende Ausweitung der Aktivitäten des Handels auf die Herstellungsebene, auf sogenannte Eigenmarken.

Über die internationalen Lieferketten spüren mittelbar auch Landwirte in Südeuropa, Afrika und Lateinamerika die Macht der vier Supermarktgiganten in Deutschland. Edeka, die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland, Rewe und Aldi teilen sich über 85 Prozent des Marktes untereinander auf. Die Marktkonzentration setzt die Landwirtschaft unter Druck – und führt zu höheren Preisen im Laden. Das gefährdet den sozialen Zusammenhalt, zumal einkommensschwache Haushalte besonders stark von den hohen Lebensmittelpreisen betroffen sind.

Die Organisationen Forum Fairer Handel, Oxfam und Rebalance Now fordern Bundesregierung und Wettbewerbsbehörden auf, die Marktmacht von Big Agro und Supermarktgiganten einzuschränken.

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