Ich tat es für die Leser

Unser Kolumnist futtert sich durchs VIP-Büfett bei den Rasenballern

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Licht im Dunkel des Leipziger Fußballkapitalismus: Magdeburgs Fans sangen und feierten.
Licht im Dunkel des Leipziger Fußballkapitalismus: Magdeburgs Fans sangen und feierten.

Aus Gründen der Feldforschung und um der Welt die Wahrheit über die Zustände im Stadion von RB Leipzig zu schildern, begab ich mich jüngst zu einem Pokalspiel der kleisterigen Brausetruppe ins Zentralstadion. Es galt, diesen Ort anhaltender Werbemaßnahmen des globalen Konzerns genauestens unter die Lupe zu nehmen, inklusive Nahrungsaufnahme im VIP-Bereich. Hier muss ich streng sein und darf keine Mühe scheuen, um die Leserschaft aufzuhellen, auch wenn es wehtut. Punk statt RB, frei nach Jesu Weihnachtsmotto: Gib dich dem Geschäft der Angst hin bis zum VIP-Oberrang!

Ich wollte nicht wegsehen und weghören vom Great-Schmalzlockenschwindel, vom üblen, Ärger erregenden Zurschaustellen ungesunder Getränke. Ich musste aufgehen in der Rolle eines dem Gemeinwohl verpflichteten, unbekümmerten Unterhaltungswissenschaftlers, eines einsamen Stalkers, der für seine Gemeinde die Hölle bekämpft. Und die beginnt bekanntermaßen bereits in Berlin. Ganze 65 Minuten benötigte unser Pkw, um ab Berlin-Mitte die Stadtautobahn zu erreichen. Müßig zu erwähnen, dass uns dort weitere Hindernisse erwarteten.

Ballhaus Ost
Fussball, Herren, 2. Bundesliga, Saison 2014/2015 (10. Spieltag)...

Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.

Das Gelände rund ums Leipziger Zentralstadion war in lila Licht gebadet, Händler boten vielfältigen Tand feil, ein protzig aufgestelltes Auto sollte das Gemüt sächsischer Red-Bull-Freunde zum Kauf motivieren, es hämmerte fiese Chart-Mucke unsere Gehörgänge wund, um auch den letzten klaren Gedanken zu verscheuchen. Mensch, der du eben noch verloren durch dein Leben stolpertest, gib dich dem Produkt hin, säuselten liebliche Stimmen.

Jaja, der Weg zum VIP-Eingang ähnelte dem Weg zum Schafott; innerlich zerrissen von der Frage nach dem Sinn des Lebens und jeglichen Tuns, wankte ich in die Höhle des Kapitalismus, denn EINER MUSS ES TUN! Eifrige Geister bugsierten uns voran, ein Fahrstuhl brachte mich nach oben, wo sich Schlaraffia auftat. Der Kampf ums Büfett musste nicht ausgefochten werden, weil Didi Mateschitz aus der Unterwelt alles tat, um uns via Entenbraten um den Verstand zu bringen. Fest im Glauben an das Gute im Fußball, erfüllt von der Gewissheit, ein anderer Fußball ist möglich, langte ich zu, dass sich die Balken bogen.

Um mich herum gockelten stolze Vertreter der sächsischen Geschäftswelt. Teure, sportlich betonte Kleidung, unbeugsam gegelte Haare, wohliger Überdruss: Wir haben es und lassen es raushängen! Fußball wurde gespielt, den ungleichen Kampf nahmen die Söhne Sachsen-Anhalts auf und schossen das erste Tor. Magdeburg in Führung.

Auf den Tribünen regte sich verhaltener Unmut. Indes die blauweiße, vieltausendköpfige Gästemeute sang und feierte, dösbattelte der RB-Anhang. Es gab keinen organisierten Support der Heimfans, die Stimmung erinnerte an Hans Holbeins Totentanz. Fast schien es, als schämten sich die Heimzuschauer für die hiesigen Umstände, als meinten sie, ihren Gästen mit der Personifikation des Leipziger Fußballtods durch den Red-Bull-Konzern zu zeigen: Völker der Welt, schaut auf diese gezähmte Stadt, schaut auf die Handschellen, die Red Bull uns und dem Fußball angelegt hat!

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