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Berlin: Haushalt der Widersprüche
Doppelhaushalt sieht Rekordausgaben vor – und Kürzungen in vielen Bereichen
Man kann leicht den Überblick verlieren: 4000 Seiten umfasst der Berliner Doppelhaushalt für die Jahre 2026 und 2027. Den Überblick zu behalten, war schon in den vergangenen Monaten schwer: Zu Beginn kündigte der Senat noch an, mit dem Haushalt enorme Sparanstrengungen zu unternehmen. 39 Milliarden Euro pro Jahr wurde damals als Zielwert herausgegeben. Im Sommer vollzog die schwarz-rote Koalition dann eine Kehrtwende. Nun zeigte man sich offen für eine neuerliche Kreditaufnahme. Zuletzt im Dezember legte man sogar noch mal eine weitere Milliarde an zusätzlichen Mitteln drauf. 45,5 Milliarden Euro umfasst der Haushalt nun am Ende für das Jahr 2026, 46,5 Milliarden Euro sind es für 2027 – ein Rekordniveau, das es so in Berlin noch nie gab.
»Wir hatten zu Beginn des Jahres noch nicht den Ausblick auf die Reform der Schuldenbremse«, begründete Finanzsenator Stefan Evers (CDU) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus das Hin und Her. »Die neue Bundesregierung hat neue Möglichkeiten geschaffen.« Die schwarz-rote Regierung im Bund hatte im Sommer die Schuldenregeln gelockert und ein Sondervermögen aufgesetzt. Beides habe die Landesfinanzen entlastet, so Evers.
Umsonst bekommt das Land diese Spielräume allerdings nicht: Die Kreditaufnahme ist mit neuen Schulden verbunden. 3,2 Milliarden Euro beträgt das Defizit schon im laufenden Jahr. 2026 soll die Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen dann noch weiter steigen, auf 5,4 Milliarden Euro, also zwölf Prozent des Haushaltsvolumens. Dabei hat Berlin mit 63 Milliarden Euro Schulden bereits jetzt den dritthöchsten Schuldenstand pro Kopf aller Bundesländer.
Trotz der Rekordgröße verzichten die Regierungsfraktionen nicht auf Kürzungen. Drastische Einsparungen gibt es vor allem bei den Hochschulen, deren Finanzierung im Verlauf des Jahres komplett umgestellt wurde und nun deutlich flacher wächst als ursprünglich vorgesehen. Bedingt durch Inflation und Tarifaufwüchse bedeutet das faktisch tiefe Einschnitte, an deren Ende ein großflächiger Abbau von Studiengängen und -plätzen stehen wird. Größere Einsparungen sind auch im Kulturressort, bei der Schulsozialarbeit und in den Bereichen Verkehr und Umweltschutz vorgesehen. So soll ein beträchtlicher Teil der durch freie Träger an Projekttragen ausgestalteten extracurricularen Bildungsangebote wegfallen. Beim Verkehrsetat ist vorgesehen, die Preise für das Sozialticket von 19 auf 26 Euro anzuheben.
45,5 Milliarden Euro sind für das Haushaltsjahr 2026 vorgesehen.
Noch kontroversere Kürzungen verhinderte Ende November die neue, überraschend positiv ausgefallene Steuerschätzung. Ursprünglich war auch vorgesehen, dass auch beim Gewaltschutz für Frauen – also konkret Frauenhäusern – gespart werden solle. Doch die zusätzlichen Einnahmen erlaubten, insgesamt 160 Millionen Euro Kürzungen über alle Ressorts hinweg zurücknehmen zu können. Der unerhoffte Geldsegen verhinderte auch, dass das Land Berlin eine Haushaltsnotlage ausrufen musste.
»Wir wollen das Berlin von morgen gestalten«, verteidigte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im Abgeordnetenhaus den Haushaltsentwurf. Man wolle in die Infrastruktur investieren, vor allem im Verkehrsbereich. Zuletzt hatte Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) von 300 baufälligen Brücken im Berliner Stadtgebiet gesprochen. Bei der Sanierung wolle man nun ein »ganz neues Tempo« vorlegen, so Wegner.
Grünen und Linken waf Wegner vor, während ihrer siebenjährigen Regierungszeit notwendige Investitionen vernachlässigt zu haben. »Wir räumen Versäumnisse auf, die Rot-Grün-Rot nicht angepackt hat«, so der Regierende Bürgermeister. Man werde den Neubau bei den Landeseigenen stärken und stadtweit Bäume pflanzen. »Wir werden für mehr Grün in dieser Stadt sorgen«, sagte Wegner.
Wegner warnte vor einer steigenden Ausgabenlast. »Wir sehen explodierende Sozialausgaben«, sagte Wegner. Die Mittel für Soziales machten inzwischen knapp ein Viertel des Landeshaushalts aus. Sogar noch höher schlagen mit 13 Milliarden Euro die Personalmittel aus. Ein Wert, der sich noch weiter erhöhen dürfte, nachdem am Mittwoch ein Gericht entschied, dass auch Beschäftigte an Berliner Unis einen Anspruch auf die Hauptstadtzulage haben. Auch Beschäftigte bei anderen mittelbaren Landeskörperschaften könnten davon profitieren. Es könnte daher durchaus sein, dass das Abgeordnetenhaus schon in wenigen Monaten, wenn der Fall den Gang durch die Instanzen genommen hat, einen Nachtragshaushalt beschließen muss.
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Auf der Einnahmenseite stellte Wegner in Aussicht, die Anwohnerparkgebühren erhöhen zu wollen. Bislang müssen Autofahrer gerade mal 20,20 Euro für zwei Jahre zahlen, um ihr Auto wohnortnah parken zu können. Damit können nicht mal die Verwaltungskosten gedeckt werden. »Wir werden da etwas hinkriegen«, versprach Wegner. Finanzsenator Stefan Evers sprach sich gegen Steuererhöhungen aus und setzte stattdessen darauf, durch Wirtschaftswachstum mehr Einnahmen zu generieren. Er stellte weitere Kürzungen in Aussicht. »Der Haushalt schafft Zeit«, sagte Evers. »Aber es ist klar, dass es so nicht weitergehen kann.«
Genau das befürchtet auch die Opposition. »Sie überlassen der nächsten Regierung die Probleme«, sagte Linke-Haushaltspolitiker Steffen Zillich. Der Senat habe die Rücklagen verbraucht und ein strukturelles Defizit geschaffen. »Sie verschieben die Abbruchkante nur, aber leisten keinen Beitrag, sie abzuflachen«, sagte er. Zillich plädierte dafür, Steuern zu erhöhen und Wege zu eruieren, die Vermögenssteuer wieder einzuführen. »Wir können konsolidieren, ohne die Ausgaben zu kürzen«, so Zillich.
Die Abstimmung über den Haushaltsentwurf erfolgte am Donnerstagabend nach Redaktionsschluss. Es wurde allgemein mit einer Zustimmung des Landesparlaments gerechnet.
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