Nachruf: Mensch, Rainer!

Unser langjähriger Verlagsmann für alle Fälle, Rainer Genge, ist gestorben

Immer im Einsatz fürs »nd«: Rainer Genge beim Verteilen von Zeitungen auf der Berliner unteilbar-Demo am 13. Oktober 2018
Immer im Einsatz fürs »nd«: Rainer Genge beim Verteilen von Zeitungen auf der Berliner unteilbar-Demo am 13. Oktober 2018

Es ist eine Nachricht, die man nur schwer verdauen kann: Rainer ist tot. Rainer Genge, seit 1980 mehr als 40 Jahre lang beim »ND«, dann beim »nd« beschäftigt, ist am Sonntag gestorben, kurz vor Weihnachten. Einfach unglaublich. Im Februar wäre er 67 geworden; das ist kein Alter für den letzten Abschied, schon gar nicht für einen wie ihn. Immer in Bewegung – erst als Kraftfahrer bei dieser Zeitung, dann zuständig für alle möglichen Verwaltungs- und technischen Fragen, eine zeitlang auch fürs Marketing.

Wer so lange dabei ist, gehört zum Inventar. Rainer hatte mit den ganz praktischen Dingen zu tun, als das »ND« (damals noch in großen Buchstaben) ab 1990 seinen Platz in der Marktwirtschaft finden musste. Er blieb auch in schwierigen Zeiten, war einer von denen, die meist hinter den Kulissen eines Zeitungshauses arbeiten, ohne die aber nicht viel gehen würde.

Maßgeblich hat er zwei große Umzüge von Verlag und Redaktion gedeichselt: 1995 raus aus dem angestammten Verlagsgebäude am Franz-Mehring-Platz, das uns der Bahnkonzern und die Bundesregierung streitig machten; zehn Jahre später wieder zurück aus dem Exil im Berliner Ortsteil Alt Stralau. Bei solchen Gelegenheiten ist er aufgeblüht: abreißen, zusammenpacken, planen, auspacken, aufbauen, neu einrichten. Dass dann wieder der große nd-Schriftzug auf dem Dach des Redakionsgebäudes leuchtete, war auch seinem Ehrgeiz zu danken. Alle sollten sehen: Da sind wir wieder.

Rainers kleines Büro glich ein bisschen einem nd-Museum, denn er konnte die vielen Kleinigkeiten, die von alten Zeiten erzählen, nicht wegwerfen – Urkunden, Stempel, Bilder, Wimpel, Abzeichen … Aber allzu oft war er in diesem Büro nicht anzutreffen, weil er meistens unterwegs war: im Verlagsgebäude, in der Stadt, im Land. Nicht selten zusammen mit Walter Grenzebach, einem nd-Öffentlichkeitsarbeiter der alten Schule weit über den Renteneintritt hinaus, bei nd-Lesern als der Mann mit dem Rauschebart und der roten Latzhose bekannt. Auch so ein Unverwüstlicher, ein väterlicher Freund für Rainer.

Man traf sie bei nd-Wanderungen, Pressefesten, an Werbeständen. Einmal, beim Pressefest der französischen Partnerzeitung »L’Humanité«, einem riesigen Happening in einem Pariser Vorort, waren die bei den Franzosen äußerst beliebten Bockwürste und Wiener Würstchen am nd-Stand schon nach einem Tag ausverkauft. Rainer fuhr über Nacht Hunderte Kilometer bis zur deutschen Grenze und zurück, um Nachschub zu besorgen.

Viele Leser kannten Rainer und Walter besser als manchen Redakteur. Als Grenzebachs Kräfte nachließen, kümmerte sich Rainer um ihn, bis zu den letzten Tagen im Pflegeheim. Er hatte nicht nur eine große Klappe, sondern auch ein großes Herz.

Zwar wollte er bei offiziellen Anlässen nie eine Rede halten, nicht mal bei der Weihnachtsfeier, aber geredet hat er dennoch viel; organisiert, koordiniert, auch mal Geschichten von früher erzählt. Ein großer, lauter, fröhlicher, zupackender Kerl, schwer zu bremsen. Nachdem er vor viereinhalb Jahren in Rente gegangen war, wollte er sich nicht zu Hause langweilen, sondern begleitete weiter nd-Leserreisen, wie schon seit vielen Jahren. Als Helfer, Stimmungsmacher, heimlicher Reiseleiter.

Und dann gab es da diesen wunderbaren Plan, von dem er bei seinem Abschied erzählte: mit seiner Frau zusammen diese Reisen zu wiederholen, um ihr zu zeigen, was er schon gesehen hatte. Gemeinsam im Wohnmobil durch die halbe Welt. Wir können nur hoffen, dass die beiden einen großen Teil davon schon geschafft haben. Fertig waren sie damit bestimmt noch nicht. Mensch, Rainer, wo immer du jetzt bist: So war es nicht ausgemacht.

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