Auch Italien streitet über Afghanistan

Der Tod von sechs Fallschirmjägern löst Abzugsdebatte aus

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.
Einen Tag lang wurde in Italien nicht über die Teilnahme am Afghanistankrieg diskutiert: Wegen des Staatsbegräbnisses von sechs gefallenen Fallschirmjägern war das Thema am Montag tabu. Doch das Schweigen konnte nicht verbergen, dass das Regierungslager über den Einsatz am Hindukusch zerstritten ist, die Linke lehnt ihn geschlossen ab.
Sechs getötete Soldaten an einem Tag: Italien ist sich in der vergangenen Woche bewusst geworden, dass es einen hohen Preis für die Teilnahme am Krieg in Afghanistan zahlt. Am Montag fand in Anwesenheit von Staatspräsident Giorgio Napolitano, Regierungschef Silvio Berlusconi, hoher Militärs und von Angehörigen der sechs gefallenen Fallschirmjäger deren Staatsbegräbnis statt. Als um elf Uhr in der mit 4000 Menschen voll besetzten römischen St.- Pauls-Basilika die Trauermesse begann, sollten auch die Polemiken um den Einsatz der italienischen Truppen am Hindukusch verstummen. Doch in einem unbeobachteten Moment stürzte ein älterer Mann an den Altar und rief ein verzweifeltes »Frieden sofort« in das Mikrofon.

In den vorangegangenen Tagen waren die Forderungen nach sofortigem Abzug der Italiener aus Afghanistan bereits lauter geworden. Sie kommen nicht nur von der Linken. Auch Lega-Nord-Chef Umberto Bossi forderte die Heimkehr der Soldaten, er konnte sogar Premier Berlusconi dazu bewegen, sich für eine »Strategie des Übergangs« einzusetzen. Man müsse den Afghanen mehr Verantwortung übertragen, meinte der Regierungschef. Verteidigungsminister Ignazio La Russa kommentierte die Sitution indes lakonisch: »Wir sind dort nicht im Einsatz, um Straßen oder Krankenhäuser zu bauen. Es ist ein militärischer Einsatz, der hart geführt werden muss.« Auch Außenminister Franco Frattini hielt Kritikern vor, man müsse sich an die internationalen Absprachen halten. Er sagte aber zu, dass die zu den afghanischen Präsidentschaftswahlen zusätzlich entsandten 500 Soldaten bis Weihnachten abgezogen würden.

Mit den sechs in der vergangenen Woche Gefallenen erhöhte sich die Zahl der in Afghanistan getöteten Italiener auf 21. Durch das jüngste Selbstmordattentat nahe Kabul waren auch zehn afghanische Zivilisten getötet worden.

Die linken Parteien, von »Italien der Werte« über »Partito Democratico« bis zu den Kommunisten verlangen indessen einen schnellen Abzug. Antonio Di Pietro, Vorsitzender von »Italien der Werte«, forderte eine Parlamentsdebatte zu dem Thema. »Es muss klar herausgestellt werden, wer diejenigen sind, die für einen Verbleib in Afghanistan plädieren«, erklärte der frühere Richter. »Und wir werden deutlich machen, dass sich unsere Soldaten dort nicht in einer Friedensmission befinden.« In Afghanistan herrsche Bürgerkrieg, eine politische Richtung kämpfe gegen eine andere, sagte Di Pietro, und die NATO-Truppen hätten sich deutlich auf eine Seite geschlagen.

Dass sich Italien an einer NATO-Mission beteiligt, stößt auch beim früheren Regierungschef Massimo D’Alema auf Ablehnung. »Sollten wir uns weiterhin an der Mission beteiligen, muss diese unter das Mandat des UN-Sicherheitsrates gestellt werden«, forderte er.

Nach Auffassung des Vorsitzenden der »Rifondazione Comunista« (PRC), Paolo Ferrero, hat der internationale Militäreinsatz die Taliban nur gestärkt und ihnen Rückhalt in der Bevölkerung verschafft. Zum Tode der sechs Fallschirmjäger erklärte Ferrero: »Angesichts der des Schmerzes ihrer Angehörigen muss unser Einsatz für den Truppenabzug noch engagierter weitergeführt werden.« Die Linke plane Demonstrationen und Sitzstreiks in allen größeren Städten Italiens, um das sofortige Ende der Afghanstan-Mission zu verlangen. Die Diskussion um diesen Einsatz ist nun jedenfalls auch in Italien angekommen.

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