»Grau ist keine Farbe. Grau ist Adenauer«

Am 8. Oktober 1960 wurde in Leipzig die neue Oper eröffnet. Walter Ulbricht persönlich hatte die Bauphase überwacht

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Die Leipziger Oper wird 50 Jahre alt. Doch das Jubläum wird von Sorgen um die Zukunft des Hauses überschattet.

Leipzig (Agenturen/ND). Als Walter Ulbricht am 8. Oktober 1960 die Leipziger Oper eröffnete, spielte der Architekt in seiner Rede keine Rolle. Der DDR-Staatsratsvorsitzende lobte »die tüchtigen Erbauer«, das »Werk des Friedens« und ging von der Hochkultur schnell zur Realpolitik über. Mit Appellen zum »Sieg des Sozialismus« und gegen »westdeutsche Militarisierung« wurde das Haus in Betrieb genommen.

Bei den Festwochen zum 50. Geburtstag des Hauses soll der Architekt nicht im Kollektiv der Bauarbeiter untergehen. In Ausstellungen wird an Kunz Nierade (1901-1976) erinnert. Dieser Tage wurde der Nachlass des Architekten, darunter Skizzen des Opernbaues, an das Leipziger Stadtarchiv übergeben.

Nierades Lebenswerk

Das alte Opernhaus der Messestadt, das »Neue Theater«, war 1943 in einer Bombennacht zerstört worden. Der Neubau war dem gebürtigen Leipziger Ulbricht eine Herzensangelegenheit. Den Architekten wählte er persönlich aus. Nierade versprach ihm einen repräsentativen Bau, der dem 1886 von Carl Gotthard Langhans erschaffenen Vorgängergebäude im klassizistischen Stil im Wesentlichen ähneln sollte.

Ergänzt wurde er um sozialistische Embleme an der Fassade. Hammer, Zirkel und Friedenstaube sollten das Ende der bürgerlichen Operntradition zugunsten einer Kultur für Arbeiter und Bauern symbolisieren. Selbst über Details wollte der oberste Bauherr Ulbricht bei zahlreichen Besuchen mitbestimmen, zum Beispiel über den Holzton für die Wände des Zuschauerraums. Walter Ulbricht, so erzählt heute Architekten-Sohn Stephan Nierade, missfiel der geplante blasse Ton für die Vertäfelung des Saals. Es handele sich um »vornehmes Grau« – so warb Kunz Nierade für die Holzprobe. »Grau ist keine Farbe. Grau ist Adenauer, grau ist Krieg«, habe Ulbricht verärgert geantwortet. Nierade blieb aber dabei. Das blasse Holz prägt bis heute den Innenraum.

Der 44 600 000 DDR-Mark teure Opernneubau war für Nierade das Lebenswerk. Der Architekt hatte Siedlungen in den von den Nationalsozialisten besetzten Gebieten in Polen geplant, später auch in Leipzig. Nach dem Krieg beteiligte er sich an Wettbewerben für Denkmäler. »Er war pragmatisch veranlagt, machte jeweils das, was gebraucht wurde«, erklärt sein Sohn. Für die Thomaskirche schuf der Protestant die neue Begräbnisstätte von Johann Sebastian Bach. In Leipzig plante er außerdem die Deutsche Hochschule für Körperkultur, in der heute noch die Sportfakultät der Universität untergebracht ist. Außerdem stammt die Fassade der Komischen Oper in Berlin von Nierade.

Als Nierade 1956 mit den Plänen für die Leipziger Oper begann, wurde er zum Privilegierten in einem System, dem er eigentlich kritisch gegenüberstand. In seinem Arbeitsvertrag war festgehalten, dass das Ministerium für Kultur dafür zu sorgen habe, »dass die Kinder des Herrn Nierade die von ihm gewünschte Ausbildungsmöglichkeit in der DDR erhalten«.

Gewisse Narrenfreiheit

Nierades monatliches Gehalt während des Opernbaus lag mit 3000 DDR-Mark weit über dem Durchschnitt der Verdienste. Dabei hatte einst die Staatssicherheit Nierade im Visier. 1955 startete der Geheimdienst eine zweiwöchige Beobachtung wegen der Vermutung, er habe sich maßgeblich an einem der Aufstände des 17. Juni 1953 beteiligt. Die Bespitzelung, so verrät es heute seine Stasi-Akte, blieb erfolglos.

»Er hat sich immer so ausgedrückt, dass ihm niemand was ans Zeug flicken konnte«, sagt sein in Leipzig lebender Schwiegersohn Ulrich Kühn. Weil die Qualität seiner Arbeit bestach, habe er eine »gewisse Narrenfreiheit« genossen, ergänzt Stephan Nierade.

Zum großen Jubiläum ist die Stimmung getrübt. Der Oper drohen drastische Etatkürzungen und vielleicht sogar weitere Stellenstreichungen, eine Fusion der Verwaltung mit anderen Leipziger Kulturbetrieben wird diskutiert – und die Geschmäcker von Publikum und künstlerischer Leitung gehen mitunter getrennte Wege. Auch die überregionalen Feuilletons nehmen das »Opernhaus des Jahres von 1993« kaum noch wahr. Weil der Stadt Finanzmittel fehlen, droht der Oper nach den Worten von Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) möglicherweise sogar eine Zwangspause von sechs Monaten im Jahr.

Saniert für 9,5 Millionen

Die Feier zum 50-jährigen Bestehen des einzigen zu DDR-Zeiten gebauten Musiktheaters – im Jahr 2007 erst für rund 9,5 Millionen Euro saniert – sollen von den Finanzproblemen aber unberührt bleiben. Mit den Feierlichkeiten, so heißt es, wolle die Oper auch eine Visitenkarte ihres Schaffens abgeben und zeigen, »dass wir Theater auf hohem Niveau« machen.

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