Gegen das System Ungleichheit

Kommunale Frauenbeauftragte fordern Paradigmenwechsel in der Gleichstellungspolitik

Die Gleichstellungsbeauftragten der Republik fordern die Bundesregierung auf, sich für die Chancengleichheit von Männern und Frauen einzusetzen. Auch der Bundestag beschäftigt sich knapp zwei Wochen vor dem Internationalen Frauentag mit dem Thema.

»Wir rollen das ganze frauenpolitische Feld auf«, verkündet Dorothee Bär (CSU), die familienpolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Bundestag. Denn große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus: Am 8. März wird der Internationale Frauentag zum 100. Mal begangen, und vielleicht erscheint noch in der ersten Jahreshälfte der Erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Eva Maria Welskop-Deffaa, die Leiterin der Abteilung Gleichstellung/Chancengleichheit im Bundesfamilienministerium (BMFSFJ), spricht auf der Pressekonferenz der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros (BAG) in Berlin von einer »historischen Chance«, befinde sich doch die Gleichstellungspolitik derzeit »oben auf der Agenda«.

Mehr als 100 Gleichstellungsbeauftragte sind nach Berlin gekommen, um bei einer nicht-öffentlichen Konferenz der BAG mit Vertreterinnen des BMFSFJ darüber zu diskutieren, was der Gleichstellungsbericht für die Kommunen bedeuten könnte. Mit dabei sind Mitglieder der Sachverständigenkommission, die bereits ein Gutachten für den Gleichstellungsbericht der Bundesregierung erstellt hat. Zur Vervollständigung des Berichts fehlt lediglich noch die Stellungnahme der Bundesregierung.

Ute Klammer, Leiterin der Kommission und Prorektorin für Diversity Management an der Universität Duisburg/Essen, will die Chancenungerechtigkeit »als ganz-heitliches Phänomen angehen«. Sie spricht von einem »System, an dem viele Akteure mitwirken«. Obwohl Umfragen ergeben hätten, dass Frauen und Männer die Arbeit, die etwa für die Versorgung der Familie notwendig ist, gern gleichmäßig untereinander aufteilen würden, finde eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen statt. Im Laufe der Ehejahre erhöhe sich der Anteil der Paare mit klassischer Rollenaufteilung wegen diverser Fehlanreize auf 60 Prozent. Verschiedenste Akteure hätten daran ihren Anteil. So sei es etwa Aufgabe der Betriebe, von der herrschenden »Verfügbarkeitskultur« abzukommen.

Die Vertreterinnen der BAG erklären das von Klammer und weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verfasste Gutachten auf der Pressekonferenz in Berlin übereinstimmend zu einer »hervorragenden Grundlage« für die Gleichstellungsarbeit. Ihre Forderungen sind zahlreich, ist doch eine tatsächliche Chancengleichheit noch in weiter Ferne: Sie wollen gleiche Bezahlung für Frauen und Männer, die Arbeitszeiten von Frauen und Männern einander annähern, die beharrlichen Rollenstereotype aufbrechen, flächendeckend sehr gute Kinderbetreuung, eine Frauenquote für Aufsichtsräte, ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft und vieles mehr. Ida Hiller, BAG-Bundessprecherin und Frauenbeauftragte der Stadt Nürnberg, gibt sich zuversichtlich, dass mit dem Sachverständigengutachten der Druck auf die Politik verstärkt werden könne, einen Paradigmenwechsel in der Gleichstellungspolitik einzuleiten. »Wir sind auf einem guten Weg«, sagt sie.

Da darf man gespannt sein, tut sich doch Familienministerin Kristina Schröder (CDU) bisher eher durch Männer- und Jungenförderung, Vorschläge für neue freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft und wenig innovative Beiträge zur Differenztheorie hervor. Im Antrag der Regierungsfraktionen, über den gestern im Bundestag in erster Lesung beraten wurde, sind zwar »weitere Herausforderungen« erwähnt, die sich aus dem zu erwartenden Gleichstellungsbericht der Bundesregierung ergeben würden. Doch bleiben die Antragsteller bei ihren Forderungen, die »im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel« zu verwirklichen seien, vorerst recht unkonkret. So sei die Gleichberechtigung zu »verfolgen« und allerhand zu prüfen, zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Explizit verlangt wird der von Schröder bereits angekündigte »Stufenplan«, der vorgibt, den Anteil von Frauen in Führungspositionen erhöhen zu wollen, aber zunächst nicht darüber hinaus geht, dass die Selbstverpflichtungen offen gelegt werden müssen.

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