Filme als Gedächtnis der Linken

  • Gerhard Hanloser
  • Lesedauer: 2 Min.
Das »Gesicht der Revolte«, Daniel Cohn-Bendit, im Film »Mai 68«  nd-screenshot: laika-verlag.de
Das »Gesicht der Revolte«, Daniel Cohn-Bendit, im Film »Mai 68« nd-screenshot: laika-verlag.de

Alle in der politischen Bildung engagierten Linken können dem Laika-Verlag dankbar sein: Die Filme, die man schon immer gesucht hat und die radikale Aufbrüche, subversive Taten und außerparlamentarische Bewegungen bebildern, werden von dem Zwei-Mann-Betrieb zugänglich gemacht. Die sechzehnte Veröffentlichung in der »Bibliothek des Widerstands« widmet sich dem Pariser Mai 1968. Drei Filme enthält dieses DVD-Buch. Der minutiös die Mai-Ereignisse kommentierende Zweiteiler »Mai 68« aus dem Jahr 1974, den die englische Filmemacherin Gudie Lawaetz produziert hat, zeigt immer noch besser als die im Textteil des Bandes gelieferte Chronologie den Aufstand der Studenten, die Barrikadennächte und die Verbindung der Revolte mit einer radikalisierten und in Generalstreik tretenden Arbeiterschaft.

Der Film bringt auch heutzutage noch Interessantes ans Licht. Die Brutalität der Sondereinheiten der Polizei hatten bereits viel früher Nazi-Vergleiche provoziert als in Deutschland. Der Film zeigt auch die Sympathie von Anwohnern für die militanten Barrikadenkämpfe und abgefackelten Autos vom 10. auf den 11. Mai. Und er arbeitet die zentrale Rolle des heutigen Grünen-Politikers Daniel Cohn-Bendit heraus, das »Gesicht der Revolte«. Dessen zum Teil konfusen und inkohärenten Auftritte in dem Dokumentarfilm produzieren beim Betrachter allerdings auch ein dickes Fragezeichen.

Claudia von Alemanns Film »Das ist erst der Anfang« zeigt die Bedeutung des Films als Waffe der politischen Propaganda. Neben Plakaten, Zeitungen und Flugschriften wurden Dokumentar- und Agitationsfilme damals als neues Mittel der Mobilisierung, Selbstverständigung und als Gedächtnisträger entdeckt. Die dialogischen Verfahren konnten Erfahrungen von streikenden Arbeitern und protestierenden Studenten miteinander vermitteln. Ästhetisch und produktionstechnisch musste hierfür mit den vorgegebenen Traditionen des Films gebrochen werden.

Dass die »Autoritätskrise« in Frankreich sich auch in die 1970er Jahre hinein verlängern sollte, zeigt der dritte Film von dem Adorno-Schüler Malte Rauch. Die hier aufgeworfene Frage, was der Mai 1968 in einer nach wie vor herrschaftlichen und ausbeuterischen Gesellschaft bedeuten kann, wird im Begleitbuch von den beiden Aktivisten Daniel Bensaid und Alain Krivine in Beiträgen und Interviews für die heutige Zeit beantwortet. Damit präsentiert das Begleitbuch Vertreter lediglich einer wichtigen Strömung von 1968, nämlich den Trotzkisten, andere wie die Situationisten, Anarchisten und Maoisten bleiben leider außen vor. Doch immerhin vermögen Bensaid und Krivine absolut anregende und radikale Antworten auf die heutige globale kapitalistische Welt zu geben, deren Verhältnisse mit den Umbrüchen im arabischen Raum in ungewohnter Weise zum Tanzen gebracht wurden.

Paris Mai 68 - Die Phantasie an der Macht, Bibliothek des Widerstands Bd. 16, Laika Verlag, Hamburg 2011, 211 S., 29,90 €.
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