Eine Perspektive für Griechenland
Es gibt eine Alternative zu Kürzungsorgien und Staatsbankrott: EZB-Kredite, Marshall-Plan und Euro-Finanzausgleich
Für die Politik in Berlin wie in Brüssel ist klar: Entweder die Griechen setzen die vorgegebenen Sparprogramme um oder sie bekommen kein Geld mehr und fliegen aus dem Euro. Vor diese »Alternative« gestellt, erfüllt die Regierung in Athen trotz aller Widerstände im Land die Vorgaben.
Eine Rückkehr zur Drachme würde nämlich die Lage in Griechenland über Nacht weiter vorschärfen. Bürger und Firmen würden ihre Konten plündern, denn ihre Guthaben sind ja in der Hartwährung Euro notiert. Die heimischen Banken gingen auf einen Schlag pleite oder die Regierung müsste alle Konten sperren, was die private Nachfrage weiter einbrechen lassen würde. Ferner würde die Drachme dermaßen stark abwerten, dass die in Euro notierte Verschuldung selbst nach einem merklichen Schuldenschnitt, über den Athen mit den privaten Gläubigern derzeit verhandelt, höher wäre als zuvor.
Auch wirtschaftlich ginge es weiter abwärts. Die abgewertete Drachme würde die Einfuhren erheblich verteuern. In einem Land, das mit Ausnahme von Lebensmitteln fast alle wichtigen Güter importiert, würde dies zu einem gewaltigen Inflationsschub führen. Viele Griechen können sich aber als Folge von Sozialkürzungen und Rezession schon jetzt nicht mehr alle Güter des täglichen Bedarfs leisten. Umgekehrt würden die möglichen Vorteile einer abgewerteten Währung - die Exporte verbilligen sich, die Unternehmen werden auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger - nicht greifen. Mit Ausnahme einiger Petrochemie- und Pharmafirmen gibt es kaum Industrie, die qualitativ hochwertige Produkte herstellt. Die Bekleidungsbranche wird nie mit Billigproduzenten wie China und Bangladesch konkurrieren können. Und wenn billiges griechisches Olivenöl den EU-Markt überschwemmt, würde dies ausgerechnet andere Krisenländer wie Spanien, Portugal und Italien hart treffen.
Das gerne zitierte Vorbild Argentinien, das sich via Staatsbankrott und Währungsabwertung halbwegs sanieren konnte, kann daher keines sein. Das südamerikanische Land trat nicht aus einer Hartwährung aus und war schon zuvor exportorientiert. Außerdem hatte man Glück: Nach dem Schuldenschnitt 2002 boomte die Weltwirtschaft über Jahre, weshalb man viel exportieren konnte. Bei Griechenlands Haupthandelspartner, dem Euroraum, droht in diesem Jahr eine Rezession.
Es gibt auch einen grundsätzlichen Unterschied: Argentinien war in Fremdwährung verschuldet, das Euroland Griechenland ist es dagegen in der eigenen. Athen hätte deshalb anders als der lateinamerikanische Staat eine Perspektive jenseits von Spardiktat und Staatsbankrott, die vor allem von Deutschland blockiert wird: eine kurzfristige Monetarisierung der nach dem Schuldenschnitt verbleibenden Schulden durch die Europäische Zentralbank. Kurzfristig ist nur die EZB in der Lage, Athen - wie auch die anderen Krisenländer - flüssig zu halten. Sie müsste direkt oder, weil dies durch die EU-Verträge nicht gedeckt wäre, indirekt über den Umweg eines mit Banklizenz versehenen Rettungsfonds Kredit gewähren und zwar zu günstigen Konditionen. Griechenland müsste dann nicht alle paar Wochen ein neues Sparpaket auflegen, sondern könnte sich auf eine längerfristig angelegte, sozialverträgliche Haushaltskonsolidierung verlegen.
Der Eingriff durch die EZB kann nur ein vorübergehendes Mittel sein, bis die Panik in Geld ertränkt ist und Athen wieder zu normalen Konditionen Kredit erhält. Vertrauen würde eine mittelfristige Wachstumsperspektive schaffen, wofür es einen Ansatzpunkt gibt: In Athen gab es früher den Plan, das Land zur Energiedrehscheibe Südost-Europas zu machen, was in der Finanzkrise aber fallen gelassen wurde. Voraussetzung wären ein Ausbau der Netze und der bislang weitgehend ungenutzten Solar- und Windenergie, wofür es hervorragende Bedingungen in Griechenland gäbe. Dafür freilich sind hohe Investitionen nötig, die aus eigener Kraft nicht zu finanzieren wären. Es ist bereits auf EU-Ebene viel die Rede von einem »Marshallplan«, der etwa aus einer europaweiten Finanztransaktionssteuer oder einer Vermögensabgabe gespeist werden könnte, doch auch hier blockiert vor allem Berlin.
Stabile Haushalte im Euroraum kann es auch nur dann geben, wenn man einen Ausgleichsmechanismus, vergleichbar dem deutschen Länderfinanzausgleich, zwischen armen und reichen Regionen sowie zwischen Ländern mit Handelsbilanzüberschüssen und -defiziten schafft. Europa, das Solidarität verweigert, wird auf Dauer keinen Bestand haben.
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