Shakespeare ohne Worte

Staatsballett Berlin: »Romeo und Julia«

  • Ekkehart Krippendorff
  • Lesedauer: 2 Min.

Da dürfte es im restlos ausverkauften Haus an der Bismarckstraße niemanden im Publikum gegeben haben, der die Geschichte von Romeo und Julia nicht kennte: »Die kürzeste Liebesgeschichte der Welt« - sie dauerte von der legendären Liebe auf den ersten Blick bis zum tragischen Tod nur eine Woche - fesselt nach wie vor, und in John Crankos Choreografie aus dem Jahre 1962 zur Musik von Sergej Prokofjew von 1935 hat sie gewissermaßen theatergeschichtlich so etwas wie eine zweite Unsterblichkeit erhalten: Welche Inszenierung irgendeines Bühnenwerkes kann man 50 Jahre nach seiner Erstaufführung heute noch bewundern, weil sie kein Gramm Staub angesetzt hat!

Das allein rechtfertigt den empfehlenswerten Besuch. Warum das so ist, dürfte schwer zu begründen sein. Es liegt eben nicht am bekannten Stoff, sondern an etwas anderem, das auch und nicht zuletzt mit dem Medium Ballett zu tun hat, das in der Lage ist, emotionale und ästhetische Energien freizusetzen und auf das Publikum zu übertragen, wie kaum eine andere Bühnenform.

Noch einmal gefragt: Wie ist die begeisterte Zustimmung (vom wiederholten Szenenbeifall ganz abgesehen) zu erklären? Vielleicht liegt es daran, dass hier ohne Sprache kommuniziert wird, was ja im Falle des absolut größten Bühnendichters, Shakespeare, ein Paradox ist: Shakespeare ohne Worte, nur mit Musik und in der wunderbaren Körpersprache des Tanzes müsste eigentlich ein Widerspruch in sich selbst sein. Müsste - ist es aber eben nicht; darum die Besonderheit dieses wohl erfolgreichsten Balletts des 20. und nunmehr möglicherweise auch des 21. Jahrhunderts.

Dass es Prokofjew gelungen ist, für Shakespeares Liebestragödie eine unmittelbar kommunizierende Musiksprache zu finden - viele Themen bleiben noch lange nach der Vorstellung innerlich hörbar - gehört natürlich entscheidend dazu. Dieses Balletterlebnis ist wie eine Droge, von der man kaum genug haben kann. Und für die Neuproduktion in neuer Kostüm- und Bühnenausstattung (Thomas Mika) verdankt sich der besondere Berliner Publikumserfolg den ohne Einschränkungen hochmotivierten und -qualifizierten Tänzern und Tänzerinnen, allen voran dem wie körperlos den Raum ausmessenden und durch die Luft schwebenden Traumpaar Iana Salenko als Julia und Marian Walter als Romeo.

Weniger zu loben ist das Orchester der Deutschen Oper, dirigiert von Guillermo García Calvo, das die intelligente Schärfe und das Profil der Prokofjewschen Musik über weite Strecken einem pastosen Breitenklang opfert.

Nächste Vorstellungen:
2. März, 6. und 9. April

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