Folgenreich

FUKUSHIMA - EIN JAHR DANACH

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 2 Min.

Mediale Aufmerksamkeit ist offenbar ähnlich wie ein mit Spielzeug überhäuftes Kind - schnell gelangweilt, verlangt sie nach neuen Themen. Die Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi nach dem Erdbeben vom 11. März 2011 tauchte ab dem vergangenen Sommer beinahe nur noch als Begründung des Atomausstiegs in Zeitungen und Fernsehberichten auf. Gelegentlich beschäftigte sich auch mal ein Bericht mit dem Schicksal der Tausenden evakuierten Japaner.

Dass alle vier Reaktoren nach wie vor stark strahlen, die Brennelemente bei dreien geschmolzen, teilweise aus dem Druckbehälter herausgeflossen sind und noch für viele Jahre Kühlung benötigen, daran wird erst jetzt zum ersten Jahrestag wieder an vielen Stellen erinnert. Die Schweizer Journalistin Susan Boos jedoch fragte sich bereits vor einem halben Jahr, wie es nun in Japan aussieht, wie man dort mit den Folgen von Erdbeben, Tsunami und Super-GAU fertig wird. Sie bereiste das Land, befragte Betroffene, Umweltaktivisten, kritische Fachleute ebenso wie Vertreter des AKW-Betreibers Tepco und Bürgermeister der Gemeinden rund um das AKW.

Herausgekommen ist eine überaus lesenswerte Mischung aus Reportage und Hintergrundanalyse. Die Autorin räumt auch mit manchem wohlgepflegten Vorurteil auf. Das fängt an mit den Japanern, die angeblich bis Fukushima Anhänger der Atomkraft gewesen seien. Boos findet Aktivisten, die schon seit den 70er Jahren gegen AKW-Neubauten protestieren und Fachleute aus der Kernkraftwerkstechnik, die erkannten, wie unrealistisch die vollmundigen Sicherheitsversprechen sind und öffentliche Kritik an Konstruktionsmängeln mit Karriereverzicht bezahlten.

Das Buch beleuchtet auch den Einfluss der von der Atomwirtschaft und ihren politischen Unterstützern getragen internationalen Strahlenschutzkommission ICRP auf die Festlegung von Strahlungsgrenzwerten, die von der wissenschaftlich unhaltbaren Vorstellung wirkungsloser Niedrigstrahlung ausgehen.

Für deutsche Leser besonders interessant ist das Kapitel über die Schweizer AKW, die zu den ältesten in der Welt zählen. Drei stehen direkt an der Grenze. Katastrophenschützer gaben der Autorin Auskunft über Konzepte für AKW-Unfälle. Fazit: Ein Unfall der Größe von Fukushima ist nicht zu beherrschen.

Susan Boos: Fukushima lässt grüßen. Die Folgen eines Super-GAUs. Rotpunktverlag Zürich. 271 S., br., 19,80 €.

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