Ist Norwegens Recht zu sanft?

Die meisten am Fjord lehnen die Todesstrafe ab

  • Thomas Hug, Oslo
  • Lesedauer: 3 Min.
Anders Behring Breivik wird leben dürfen - anders als seine 77 Opfer. Am Dienstag wurde ein Laienrichter vom Prozess gegen den norwegischen Massenmörder suspendiert, weil er sich für die Todesstrafe ausgesprochen hatte. Eine Umfrage in Oslo zeigt, dass er kaum auf Anklang trifft.
Musste gehen: Thomas Indebrö
Musste gehen: Thomas Indebrö

Thomas Indebrö brach ein Tabu: Am 23. Juli 2011, einen Tag nach den Anschlägen von Oslo und Utöya mit ihren 77 Todesopfern, hatte er auf Facebook geschrieben, die Todesstrafe sei die einzig gerechte für eine solche Tat. Am Dienstag wurde er als Laienrichter für parteiisch erklärt und musste den Gerichtssaal verlassen. Das Richterkollegium im Osloer Breivik-Prozess besteht aus zwei Berufs- und drei Laienrichtern.

Indebrö verteidigte seine Aussage. »Ich glaube, ich habe geschrieben, was viele damals dachten«, sagte er zum staatlichen norwegischen Fernsehsender NRK. War es wirklich so? Viele Norwegerinnen und Norweger haben in den vergangenen Monaten versucht, die blutigen Anschläge zu vergessen. Das Medienspektakel rund um den Prozess ruft ihnen die Ereignisse jedoch wieder in Erinnerung.

Der Prozess muss unter anderem entscheiden, ob Breivik überhaupt zurechnungsfähig - und damit straffähig - ist. Doch ob zurechnungsfähig oder nicht, vielen Norwegern haben bereits die ersten Prozesstage klar gemacht, dass der Massenmörder Breivik durchaus nicht »einer von ihnen« ist - auch wenn er wie ein normaler Norweger aussieht. »Es war abscheulich, wie Breivik selbstzufrieden lächelte«, sagt Anja, eine junge Osloerin, dem Korrespondenten. »Ich kann einfach nicht begreifen, wie jemand so boshaft und schlecht sein kann.« So weit wie der entlassene Laienrichter Indebrö will die junge Osloerin aber nicht gehen. Sie lehnt die Todesstrafe ab - obwohl sie verstehen könne, dass Indebrö am Tag nach dem Anschlag dafür eintrat.

Ähnlich sieht es Leif B. Erichsen. Der Prozess sei makaber, er werde sich nur noch ab und zu damit befassen, sagt der Osloer. »Trotzdem, es ist richtig, dass dieser Richter gehen musste. So grausam die Tat auch ist - wir müssen die Gesetze und Regeln, die hier in Norwegen gelten, genau befolgen«, sagt Erichsen.

Allerdings ist vielen Norwegern das heimische Recht zu sanft. »Wir sollten viel strengere Strafen haben«, sagt Vera, die wie die meisten ihrer Landsleute den Prozess aufmerksam beobachtet. »Ich wurde eigentlich überrascht, wie wenig streng es ist.« Doch die Todesstrafe lehnt auch sie ab - aus Prinzip.

Ganz ähnlich denkt Pär. Er ist Schwede, wohnt und arbeitet aber schon seit längerem in Norwegens Hauptstadt. Breiviks Tat sei unverständlich und brutal. Er verstehe, dass die Norweger schockiert und betroffen vom Auftreten des Massenmörders während des Prozesses sind. »Aber obwohl Breivik sagt, er würde es wieder tun, bin ich gegen die Todesstrafe. Niemand sollte anderen das Leben nehmen dürfen.« Sonst würden sich die Gesellschaft auf das gleiche niedrige Niveau wie der Attentäter begeben.

»Ab und zu braucht es eine Barbarei, um eine Barbarei zu verhindern«, hatte Breivik geäußert. Er bereue seine Tat nicht. Er würde es wieder tun. Damit hat er den Abscheu seiner Landsleute nur noch verstärkt.

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