Die Hochschule selbst gestalten

»Alternative Universität«: Studierende in Regensburg organisieren eigene Lehr- und Lernveranstaltungen

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Hochschule selbst gestalten

Der Zeitgeist ist ein eigenartiger Geselle und er weht, wo er will. Zum Beispiel an der Universität. Ob da an den Pinnwänden mehrheitlich zum Humpenumdrunk bei der Burschenschaft, zum Marx-und-Engels-Studium des maoistischen Hochschulbundes oder zum Karriere-Coaching des Jungunternehmer-Verbandes eingeladen wird, hat viel mit dem jeweiligen (Bewusstseins)Zustand der Gesellschaft oder deren »Eliten« zu tun. Heute, in den Zeiten von Bachelor und Niedriglohnsektor ist es eher so, dass die Studierenden an den Hochschulen sozusagen »ihren Geschäften nachgehen«, während die alt gewordenen Hochschullehrer kopfschüttelnd über die studentische Jugend in ihren Bart brummeln und sich stolz erinnern, wie sie seinerzeit die rote Fahne schwenkten.

Nun, es gibt Ausnahmen und unter dem Bachelor-Beton versucht so mancher Spross zu gedeihen. Zum Beispiel im bayerischen Regensburg. Beton gibt es hier genug, die Hochschule mit ihren 20 000 Studierenden wurde in den »goldenen« 1970er Jahren errichtet und strahlt noch heute den reformpädagogischen Charme dieser Zeit aus, auch wenn mittlerweile hie und da schon die ersten Mäuerchen bröckeln. Abgebröckelt ist auch das Studienfach Soziologie, das ebenso wie die Geografie geschlossen wurde, was auch etwas über die politische Lage der Hochschulen aussagt.

In einer Ecke des weitläufigen Universitätsgeländes steht »Grüne Nudeln mit Soja-Pasta 1,80« auf einem Zettel, der an einer Glastür hängt. Dahinter ist die Mensa und davor sitzt an einem der weißen Plastiktischchen Martin Oswald. Der 27-Jährige studiert hier in Regensburg Philosophie, mittlerweile im Masterstudiengang. Vorher hat er seinen Bachelor gemacht, mit Politikwissenschaft und Tschechisch als Nebenfächern. »Ja, doch«, sagt er, »der Bachelorstudiengang ist sehr verschult, aber in den Geisteswissenschaften ist's noch nicht ganz so schlimm.« Er habe seine Seminare frei wählen können.

Martin studiert Philosophie aus »Interesse am Fach«. Was er beruflich machen will, weiß er noch nicht. »Praktische Philosophie« ist einer seiner Schwerpunkte, der durch Erfahrung in praktischer Tätigkeit ergänzt wird: Der Student arbeitet zweimal in der Woche an der Kasse beim »Neukauf«, ein 400-Euro-Job. Soweit so gut und nicht ungewöhnlich, wenn Martin nicht ein derzeit eher ungewöhnliches Ansinnen hätte: die Idee einer »alternativen Universität.«

»Die Mitbestimmung an der Uni geht gegen null«, sagt Katja Ertl, die inzwischen dazugestoßen ist. Die 24-Jährige studiert Politikwissenschaft und auf Lehramt in Geschichte. 2009 und 2010 saß sie als Vertreterin des SDS im Konvent, dem Parlament der Studierenden, zusammen mit dem 30-jährigen Pädagogikstudenten Hans-Peter Dantscher.

SDS, das ist ein Kürzel, das an den »Sozialistischen Deutschen Studentenbund« von 1968 und an die glorreichen Tage der Studentenrevolte erinnert. Heute steht SDS für den »Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband«, der der Linkspartei nahe steht. In Regensburg wurde er 2008 gegründet und hat heute rund 15 Mitglieder. Die Hochschulgruppe trat auch zu den Konventswahlen an - jedenfalls bis zum Mai vergangenen Jahres. Da erklärten Katja Ertl und Hans-Peter Dantscher ihren Rücktritt als Konventsmitglieder. Ihre Begründung: »Die Arbeit des Konvents seit Oktober 2010 ist blanker Hohn. Die Sitzungen fanden weder einmal monatlich noch in irgendeiner Form regelmäßig statt. Die Sitzungsleitung hat nicht die geringste Ahnung von Satzungsfragen und es vergingen Stunden bis man sich einigen konnte, was ein Geschäftsordnungsantrag oder eine Gegenrede überhaupt ist. Das Ganze ist dermaßen beschämend, dass wir uns entschlossen haben, kein Teil mehr von diesem Gremium sein zu wollen.«

Weniger studentische Rechte in Bayern

Zur Hochschulwahl 2011 trat die Gruppe nicht mehr an und kritisierte stattdessen fehlende demokratische Rechte der Studierendenvertretung, die Abhängigkeit von der Hochschulleitung und mangelnde finanzielle Ausstattung. Dazu muss man wissen, dass in Bayern 1974 der Allgemeine Studentenausschuss (AStA) und die Verfasste Studierendenschaft abgeschafft wurden, um den »linken Sumpf auszutrocknen«, wie es der damalige Wissenschaftsminister ausdrückte. Stattdessen erfand die CSU den »Studentischen Konvent«, dessen Rechte und Finanzmittel sich zu denen des AStA in anderen Bundesländern ähnlich verhalten wie Malzkaffee zu einem doppelten Espresso.

Um diesem Demokratieersatz etwas entgegenzusetzen, rief die Regensburger SDS-Gruppe: »Auf zu neuen Ufern!« und propagierte den »Aufbau neuer Strukturen, unabhängig, selbstverwaltet, transparent und offen für alle«. Unter dem Stichwort »Alternative Universität« gehe es um das »Verlassen der ausgetretenen Pfade, die alle in der gleichen Sackgasse enden«, so die Hochschulgruppe. »Die Universität kann mehr sein, als nur eine Art Schule«, sagt Katja, »die Universität ist auch ein Lebensraum, in den wir unsere Fähigkeiten einbringen können«.

»Eigentlich könnten sich hier alle ihren Interessen widmen. Eigentlich hätten hier alle die Möglichkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten. Eigentlich könnte es eine Freude sein, die Tage an der Universität zu verbringen. Eigentlich«, heißt es in einem von der Gruppe verteilten Flugblatt zur »Alternativen Universität«. Aber die Hochschulen würden »mehr und mehr zu exklusiven und elitären Institutionen, die Menschen zu KundInnen und KonkurrentInnen machen und sich immer seltener am Gemeinwohl und immer mehr an privatwirtschaftlichen Profitinteressen orientieren«.

Dem setzen die Regensburger entgegen: »Aus der Enttäuschung, die die vielen wirkungslosen Demonstrationen, die vielen Stunden des mühevollen, ehrenamtlichen Engagements mit sich gebracht haben, wächst eine Erkenntnis - Wir müssen uns selbst holen, was uns bislang verwehrt bleiben sollte.« Eine alternative Universität als Gegenentwurf: mit freier Bildung für alle, unabhängig von sozialer Herkunft, frei von ökonomischen Interessen. Bildung anstelle von »sturem Auswendiglernen herrschender Meinungen.« Und: »Was uns die institutionalisierte Universität nicht bietet und bieten will, wollen wir selbst entwickeln.«

Förderung der Meinungsbildung

Szenenwechsel. Ein Jugendraum im DGB-Haus an der Richard-Wagner-Straße. An der Wand hängt ein antifaschistisches Plakat: »Block Dresden 2012«. Neun Leute haben sich heute in dem Kellerraum versammelt, um über die alternative Uni zu diskutieren. Katja führt Protokoll. Man ist sich einig, dass die alternative Uni offen sein soll für alle - und unabhängig vom SDS. Vorschläge werden gesammelt und die offenbaren eine große Bandbreite - vom selbstverwalteten Frauencafé über Flüchtlingsgespräche und Vorträge zur Makroökonomik bis hin zu Yoga und einen Veganer-Kochkurs. Im Wesentlichen geht es um »studentisches Leben«, das die Studierenden selbst organisieren, weniger wohl zunächst um Theorie-Kurse. Und es geht darum, eingefahrenes Schubladendenken zu überwinden. Auch darum, wie schwer es heute manche empfinden, sich eine eigene Meinung zu bilden, Geschriebenes zu hinterfragen und wie wenig Tradition in dieser Hinsicht existiert. Dass wenig eigenes Bekenntnis oder Haltung zu den Dingen zu finden sei, meint Martin. Weil sich auch viele für unwissend halten. Das soll die alternative Universität ändern. »Ich glaube, das ist ein gutes Projekt«, meint eine Teilnehmerin. Dann geht die Diskussion weiter: um Inhalte, einen neuen Treffpunkt, um das Layout für einen Flyer. Kleine aber notwendige Schritte hin zum Ziel einer »alternativen Universität.«

Universitätsstadt Regensburg: Weil Studierende das Lehrangebot ihrer Hochschule als nicht ausreichend und zu unkritisch betrachten, veranstalteten sie in den vergangenen Semestern Lesekreise zu Marx' Kapital, Texten von Rosa Luxemburg und dem politischen Essay »Der kommende Aufstand« sowie die Veranstaltungsreihen »Was ist links?« und »Feminismus« - mit Elmar Altvater, Georg Fülberth, Wolfgang Eßbach, Frigga Haug und Senta Trömel-Plötz. Die große Resonanz hat sie ermutigt, das Projekt »Alternative Universität« ins Leben zu rufen.
Universitätsstadt Regensburg: Weil Studierende das Lehrangebot ihrer Hochschule als nicht ausreichend und zu unkritisch betrachten, veranstalteten sie in den vergangenen Semestern Lesekreise zu Marx' Kapital, Texten von Rosa Luxemburg und dem politischen Essay »Der kommende Aufstand« sowie die Veranstaltungsreihen »Was ist links?« und »Feminismus« - mit Elmar Altvater, Georg Fülberth, Wolfgang Eßbach, Frigga Haug und Senta Trömel-Plötz. Die große Resonanz hat sie ermutigt, das Projekt »Alternative Universität« ins Leben zu rufen.
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