Aufklärung statt Abrechnung

Hans-Dieter Mäde legte Hand an sein Denken

  • Brigitte Zimmermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Hans-Dieter Mäde, in der DDR erfolgreicher Theatermann und langjähriger Generaldirektor der DEFA, hat ein sprachmächtiges, überaus intelligentes Buch über das Denken geschrieben. Sein Denken. Er schont sich dabei nicht. Auch die von ihm teils mitgeschaffenen Verhältnisse werden, einfach gesagt, einem nachträglichen Elchtest unterzogen, den sie, keine Überraschung, nicht bestehen.

Mädes Erkenntnisse sind schmerzvoll, weil sie auf Analyse der realsozialistischen Wirklichkeit beruhen und ihren »gezackten Frontverläufen« wie es treffend heißt. Also keine Plattheiten à la Unrechtsstaat und Punkt. Der Autor fragt selbstkritisch, wie eigentlich aus dem Sinn geraten konnte, »dass dieses Leben auch uns maß, statt immer nur umgekehrt wir, die wir's so herrlich weit gebracht, über Werk und Leben befänden?« Mäde, 2009 verstorben (das Buch wurde 2003 beendet), bekennt seinen Enthusiasmus für den Neubeginn im Osten. Keine Einzelreaktion bei einem Jungen, dem der Totale Krieg mit 15 die Schulpflicht entzog. Früh entschlossen, etwas am Theater zu werden, bemerkt er überall seine »helle Unkenntnis« und stürzt sich, schon vor dem Studium in Rostock und Weimar, in exzessive Lektüre. Ernst Bloch, Goethe, Thomas Mann, Brecht, Georg Lucács, schließlich der von ihm zeitlebens hoch verehrte Maxim Gorki. Er hat die Bücher seines Aufbruchs in die Geisteswelt über alle Umzüge gerettet und liest sie ab Mitte der 90er noch einmal. Er will wissen, warum er dachte, was er dachte. Und wo sein Denken endete, als es vielleicht hätte weitergehen müssen. Keine Abrechnung also, sondern Aufklärung.

Seine ersten Hausgötter und die, die noch hinzutraten sowie die Regiebücher der Stücke, die er inszenierte, offenbaren bei der Wiederbegegnung diesen und jenen Richtungspfeil, den er einstens wegdrückte. So erinnert er sich der tiefen Bestätigung, die er empfand, als Thomas Mann in seiner Goethe-Rede 1949 in Weimar davon sprach, dass es nach Krieg und Herrschaft des Ungeistes in Deutschland für die Menschheit nötig sei, »sich auf eine neue Stufe ihrer sozialen Reife zu erheben«.

Mäde bekennt, in seiner Begeisterung für ein nunmehr ganz anderes Leben hätte er, am Radio, dem alten Mann am liebsten bedeutet: Sei ruhig, wir werden das schon machen. Und gleichzeitig bringt das Gedächtnis auch seine leise Beängstigung erneut hervor, als er die Mahnung wieder liest, bei aller Notwendigkeit des Neuen »Freiheit, Recht und Würde des Individuums« nicht untergehen zu lassen.

Der verständige Beifall an dieser Stelle ist Mäde damals Labsal und Beruhigung seiner noch sehr unterschwelligen Befürchtung, der neuen Bewegung könnte dafür die Kraft nicht reichen. Mäde sagt, sein Verhältnis zur DDR war mit Hoffnung aufgeladen, mit dem Affekt der Hoffnung, der ihn lange getragen hat, auch als das Ächzen und Knirschen einsetzte. Aber geht etwas ohne Hoffnung? Eine neue Gesellschaft bestimmt nicht, nicht einmal ein Fiskalpakt. Bevor Hoffnung der Desillusionierung weichen muss, bringt sie, Mäde schildert es eindrücklich, nicht nur bei ihm einen lang anhaltenden, nahezu heiligen Ernst der Arbeit hervor. Es wird viel investiert in Konzepte, in Debatten innerhalb der Ensembles und mit dem Publikum. Stanislawski hin oder Brecht her - ein Konfliktfeld früher Tage - Mäde möchte in der flüchtigen Kunst des Theaters »ein Erkennen anbieten, das über Perfektion und Augenblicksgenuss hinausreicht«.

Und er fragt sich, warum dies auch bei ihm schnell belehrend wurde, beispielsweise bei der Verteidigung seiner Karl-Marx-Städter »Hamlet«-Inszenierung. »Der Duktus des Eingeweihten, des Bescheidwissens, der nicht nur meine Krankheit war, aber um meine geht es hier« wird wohl mehr Leute verstört als gewonnen haben, erkennt er rückblickend.

Sein Fazit ist hart, aber schwer abzuweisen: Er hält es für Hochmut, aller bisherigen Geschichte quasi das Prädikat der Vorläufigkeit zu verleihen und sich selbst für angekommen zu erklären, obwohl gerade erst losgelaufen.

Der Edition Schwarzdruck wäre zu raten, ihre verdienstvollen Bücher mit mehr Lesekomfort auszustatten. Die Schrift, obwohl schon größer als in anderen Ausgaben der Reihe »Erkundungen«, ist bei der beachtlichen Satzbreite noch immer zu klein. Dem Leser wird buchstäblich nichts geschenkt. Schade.

Hans-Dieter Mäde: Nachricht aus Troja. Edition Schwarzdruck Gransee. 289 S., brosch., 20 €.

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