»Niemand unterstützt uns«

Aktivistin Alla Oliynik hat einen lesbischen Fußballverein in Kiew gegründet - gekickt wird im Verborgenen

  • Ronny Blaschke, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

Alla Oliynik wischt mit dem Zeigefinger über das Display ihres Handys, das Foto, das ihren Freundeskreis verstört hat, ist schnell parat. Es zeigt einen Mann, der am Boden liegt, zusammengekrümmt, die Arme hinterm Kopf verknotet, zum Schutz vor den Männern, die auf ihm herumtrampeln. »Ich wusste, dass etwas Schlimmes passiert, aber damit habe ich nicht gerechnet.« Alla Oliynik wollte der ersten ukrainischen »Gay Parade« der homosexuellen Ukrainer Mitte Mai von Anfang an fernbleiben - und ihre Sorge wurde bestätigt. Maskierte Männer griffen den Organisator in Kiew mit Pfefferspray an, prügelten ihn krankenhausreif. Polizisten waren vor Ort und schauten tatenlos zu.

»Je offener wir uns geben, desto gefährlicher leben wir«, sagt Oliynik, geboren und aufgewachsen in Kiew. »Deshalb sind wir mit unserer Gemeinschaft isoliert.« Sie sitzt in einem Café am Majdan, dem Platz der Unabhängigkeit. Die 29-Jährige ist eine selbstbewusste Frau mit weichen Gesichtszügen, spricht akzentfrei Englisch. Sie ist herumgekommen in Europa, verkörpert die junge ukrainische Generation, die sich am Westen orientiert und nicht an Russland.

Es fällt ihr leicht, über ihr Coming Out zu sprechen, zumindest gegenüber einem deutschen Gast. Mit Anfang 20 sollte sie bei einem Trinkspiel mit Kommilitoninnen eine Freundin küssen. Der Kuss gefiel ihr viel besser, als sie erwartet hatte. Sie beendete die krampfhafte Suche nach einem Mann und traute ihren Instinkten. »Meine Eltern waren verwundert, aber nicht schockiert. Ich hatte Glück, unsere Gesellschaft tickt völlig anders.« 2007 ermittelte das US-amerikanische Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center, dass 69 Prozent der Ukrainer Homosexualität ablehnen. 2011 reichten sechs Parlamentsabgeordnete einen Gesetzesentwurf ein, der »Propaganda von Homosexualität« unter Strafe stellen soll. Bis heute warten Aktivistinnen wie Alla Oliynik auf einen rechtlichen Diskriminierungsschutz ihrer Sexualität.

2005 hat sie mit Freundinnen und Freunden einen Sportverein gegründet, »Energy«. Wenn die Gruppe sich auf die Suche nach einem Spielfeld begibt, rückt sie nie mit der Wahrheit raus. »Wir können nicht sagen, dass wir auf Frauen stehen. Die Behörden würden uns rauswerfen und sich danach die Hände waschen, für sie sind wir eine Bedrohung der nationalen Sicherheit.« Die Organisatoren der EM hatten sich ein buntes Treffen der Kulturen erhofft. In der Ukraine ging dieser Plan schief: Die Vorbereitung wurde von der Debatte um Julia Timoschenko überschattet. »Doch es gibt andere Anlässe, um über Menschenrechtsverletzungen zu sprechen«, sagt Oliynik. Zum Beispiel über die Behandlung von Homosexuellen.

Alla Oliynik nutzt den Sport gegen Homophobie. 2011 organisierte sie in Kiew ein Fußballturnier mit schwulen und lesbischen Teams. Details tauschten die Teilnehmer in einem Internetforum aus, mit Passwort, aus Angst vor Beschimpfungen. Oliynik konnte keine Plakate kleben, keine Handzettel verteilen, keine Anzeigen schalten. »Zeitungen, die Schwule und Lesben positiv beschreiben, bekommen Ärger. Von ihren Chefs, von der Politik, aber vor allem: von ihren Lesern.« So veranstalteten sie ein Turnier, das kaum Zuschauer hatte, das aber den Zusammenhalt und Mut der schwullesbischen Gemeinschaft stärkte. »Unser Verein bringt Frauen und Männer zusammen, die sich unverstanden fühlen. Bei uns merken sie, dass sie nicht allein sind.«

Aus der ganzen Ukraine sind Lesben und Schwule nach Kiew gezogen. Vielen von ihnen geht es nicht um Sport, sie wollen reden, Kontakte knüpfen. Sie sehnen sich nach Normalität. Alla Oliynik hat Personen des öffentlichen Lebens kennengelernt, Politiker zum Beispiel, die schwul sind, aber eine schwulenfeindliche Politik vertreten, aus Angst davor, ertappt zu werden. Sie selbst arbeitet in einem Telekommunikationsunternehmen, dort weiß nur eine Kollegin, dass sie lesbisch ist.

In Deutschland, der Schweiz und Spanien bestehen 21 schwullesbische Fanklubs von Profivereinen, die Rainbow-Borussen in Dortmund, Andersrum Rut-Wiess in Köln oder die Meenzelmänner in Mainz. 2006 haben sie ein Netzwerk gegründet: Queer Football Fanclubs. Ihr Ziel: das Aufweichen von Chauvinismus, Homophobie und Sexismus im Fußball. »Ich konnte nicht glauben, dass es so etwas in Europa gibt«, sagt Oliynik: »Bei uns gibt es niemanden, den wir um Unterstützung bitten könnten. Niemanden!« Dem ukrainischen Populisten Ruslan Kukharchuk laufen dagegen die Menschen in Scharen zu, der Titel seiner Kampagne: »Liebe gegen Homosexualität.«

Alla Oliynik würde mit ihrer Freundin, mit der sie seit sieben Jahren zusammen ist, nie Hand in Hand durch die Straßen gehen. Fußballtouristen empfiehlt sie daher: »Es ist nicht ohne Risiko, in den Stadien offen zur Homosexualität zu stehen. Aber Deutsche, Franzosen oder Engländer haben weniger Repression zu fürchten als wir Ukrainer.« Das Netzwerk Football Supporters Europe hat in in einem Internetportal über Treffpunkte für Homosexuelle informiert. Alla Oliynik hat ihre Lieblingscafés angegeben, sie konnte sie an einer Hand abzählen.

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