- Politik
- Im Schatten der Ruhrgebietsmetropolen liegt Wülfrath. In der Stadtmitte die Wilhelm-Straße. Dort trifft man einmal pro Woche KLAUS JANN:
Samstags, Roter Hugo
keinen Nutzwert.“ Jann ist Fördermitglied und hält lockere Verbindung. 1990 haben er und seine Leute vor der Bundestagswahl für die PDS geakkert. „Da sind Leute gekommen und haben gesagt, Herr Jann, hängen Sie sich doch nicht schon wieder an welche aus dem Osten, machen Sie doch Ihre eigene Politik. Zwei Prozent sind rausgekommen. Guck dir mal unsere Kommunalergebnisse an.“
Ende 1991 gründeten sie eine Wählergemeinschaft - Demokratische Linke Wülfrath. An die 40 Mitglieder sind eingetragen, seit Jahren schon. Ein paar Kommunisten, eine Sozialdemokratin, eine Jungdemokratin, Autonome, viele Parteilose. Kaum Abgänge, kaum Neueintritte. Bei der Kommunalwahl 1994 faßten sie knapp 2 000 Stimmen ab -13,5 Prozent. Daß Wülfrath die drei Buchstaben DLW, die ja immerhin auch Deutsche Linoleum-Werke bedeuten, so schnell in die Alltagssprache aufnehmen würde, hätte Jann nicht geglaubt. Die Arbeit läuft, weil ein harter Kern sich kümmert. Wie überall. Der Kern des Kerns ist Jann.
„Wir müssen los, solange es hell ist“, drängelt Jann. Ein kleiner Stadtrundgang. Jann ist süchtig nach Öffentlichkeit. Er muß unter Leuten sein. Zeit dazu hat er genug. Auf einer Auslandsreise erwischte.,, ihn vor Jahren,.irgendein,yixus, sagt er. Jetzt ist er Frührentner, mit 55.
Durch die Straßen geht er wie ein heimlicher Bürgermeister. Er grüßt unablässig, wird gegrüßt, er duzt den Stadtkämmerer und den ehemaligen evangelischen Vikar. Jann linst durch das große Fenster, aber im Cafe Paciello sitzt gerade niemand von seinen Leuten. Macht nichts, gehen wir noch zu Hugo, einem knallroten, dreirädrigen Gefährt. Fast ist er so eine Art Ehrenbürger.
Jeden Sonnabend tuckern sie mit ihm auf den Heumarkt und bauen ihren Stand auf. Wer in der Wilhelm-Straße einkaufen will, muß am Roten Hugo vorbei. Die Leute bleiben stehen, erzählen einen Schlag. Jann, der lange, schlaksige Kerl, diskutiert für sein Leben gern. Er will sich nicht um alle kümmern, wie sein SPD-Ratskollege, der aufs Ganze achtet, auch auf die Millionäre, die man in Wülfrath halten müsse.
Deren Schicksal juckt Jann wenig, „die kommen auch ohne uns durch. Wir wollen für die kleinen Leute da sein, die bezahlen hier auch ihre Steuern.“ Nebenbei verkauft Jann für ein paar Groschen den „Roten Reporter“ Der Name klingt etwas nach Barrikadenkampf, aber das stört keinen. Seit über 25 Jahren erscheint die Zeitung; einmal im Monat mit acht Seiten, außerdem jede Woche ein kleines Extrablättchen.
Im „Roten Reporter“ tobt sich der Journalist Jann aus. Viel Stadtpolitik, ein bißchen Klatsch und Tratsch, das wollen die Leute lesen. „Wenn am Mittwoch im Rathaus was passiert, steht's am Sonnabend im Blättchen“, sagt Jann. Jeden Monat werden 7 000 Zeitungen abgesetzt. Wie gesagt, Wülfrath hat 22 000 Einwohner. Beinahe könnte man Jann einen Medienmogul nennen. Immerhin, die Sache ist legendenumwoben. Stadträte aus anderen Parteien machen sich hin und wieder Gedanken. Das Auto, die Zeitung usw., das kostet doch. Irgendwas muß da wohl sein.
Darüber kann Jann nur noch lächeln. Er begreift sowieso nicht, warum Stadträte überhaupt Diäten bekommen. „Warum muß beispielsweise
ich als Fraktionsvorsitzender über 1200 Mark im Monat kriegen?“ Die fünf DLW-Abgeordneten überweisen ihre Diäten auf ein Konto, von dem alles bezahlt wird. Das klappt, sagt Jann. Fast jedenfalls. Mit einem Genossen müßten sie nochmal darüber diskutieren.
Daß die anderen Parteien am Ort nicht besonders gut auf den „Roten Reporter“ zu sprechen sind, ist für Jann ein Erfolgsmaßstab. „Die anderen könnten ja auch auf die Straße gehen, aber sie tun's nicht. Vor der Wahl, ja, da hatten sie auch ihre Stände. Aber danach waren sie plötzlich verschwunden. Seit über einem Jahr sind wir wieder alleine. Wir sind so aktiv wie die alle zusammen.“ Der Mann ist Opposition in Person. Er verspottet Bürgermeister, Beamte und Abgeordnete, und er stachelt die Leute zur Widersetzlichkeit auf.
Als er nach der letzten Wahl den Vorsitz des Beschwerdeausschusses verlangte, klingelten bei den anderen Fraktionen die Alarmglocken. Sie wußten, daß Jann diesen Posten ungeniert ausnutzen würde. Also schoben sie ihm den Verkehrsausschuß zu. Glücklich werden sie darüber nicht sein. Denn der Verkehrsausschuß hat inzwischen die meisten Besucher, sagt Jann. Er sammelt und bearbeitet mit Begeisterung Eingaben und organisiert Vor-Ort-Termine.
Und er handelt mit Müllsäkken. Die Idee ist so einfach wie genial. Alle Wülfrather Haushalte müssen von der Stadtverwaltung eine bestimmte Anzahl Müllsäcke im Jahr kaufen. Das Stück für acht Mark sechzig. Die Sache ist auf einen Durchschnittsverbrauch be-
rechnet, aber wie das mit dem Durchschnitt so ist - im Einzelfall stimmt er nur selten. An diesem Punkt steigen Jann & Co. ein: Wer zu viele Müllsäcke hat, wird sie im DLW-Büro los und bekommt vier Mark pro Stück. Wem welche fehlen, der kann sie hier kaufen. Auch für vier Mark, um die Hälfte billiger als bei der Stadt.
„Wir machen dabei keinen Pfennig Gewinn“, sagt Jann, „aber die Leute kommen, und viele sogar zweimal. Einmal, um die Säcke zu bringen, das zweite Mal, um ihr Geld zu ho-
Derzeit ist Frau von Hoegen zu Hause und kümmert sich um ihre Kinder Sie nennt sich nicht Hausfrau, sondern Familienfrau. Die Frage, wann sie wieder arbeiten wolle, mag sie nicht. Als ob Erziehung keine Arbeit wäre.
Ja, sagt Jutta von Hoegen, die DLW deckt viele Mißstände auf. Aber dieser Populismus, der sei ärgerlich. Jetzt gerade sammelten sie Unterschriften gegen die höheren Telefongebühren und schickten sie nach Bonn, zum Postminister Was das mit Kommunalpolitik zu tun haben soll, leuchtet Frau von Hoegen nicht ein. Andererseits könne' man mit der DLW schon zusammenarbeiten. Zum Beispiel in der Kindergarteninitiative. Da habe sie selbst mitgemacht, und die sei damals von der DLW stark unterstützt worden. Im Gegensatz zu anderen Parteien. Jetzt gebe es in Wülfrath genügend Kindergartenplätze.
Die Aktivisten aus der Initiative seien damals von allen Parteien umworben worden. Auch von Jann und seinen Leuten. Aber bei denen, sagt Jutta von Hoegen, habe sie das Gefühl gehabt, sie solle ideologisch festgelegt werden. „Bloß, ein Kindergartenplatz ist einfach ein soziales Bedürfnis, das hat doch nichts mit links oder rechts zu tun.“
Ach, die Jutta, sagt Jann, die ist schon in Ordnung. Eigentlich sei die auch eine Linke. Aber seit sie und ihr Fraktionskollege dem von der CDU vorgeschlagenen Bürgermeister die entscheidenden Stimmen gaben, hat Jann sie irgendwie auf dem Kieker. Diese Bürgermeistermehrheit von CDU, FDP und Wählergemein-
schaft regt ihn auf. Da kann er alle Freundlichkeit vergessen und schreibt im „Roten Reporter“ bissige Kommentare.
Jutta von Hoegen dagegen ist mit ihrer Bürgermeisterwahl halbwegs zufrieden. Der Mann hänge nicht im SPD-Filz fest, habe immerhin einen parteilosen Dezernenten eingesetzt und sei offen für ökologische Vorschläge. Die DLW fordere zwar allerhand, zum Beispiel einen größeren Kulturetat, durchaus nötig, gewiß, aber wenn das Geld fehlt? „Wer Verantwortung übernehmen will, muß sich eben bestimmten Zwängen fügen“, erklärt Frau von Hoegen.
Übers Geld läßt Jann nicht mehr mit sich diskutieren. „Wenn der Bürgermeister irgendwas finanzieren will, ist das Geld immer da“, sagt er, „und bei unseren Vorschlägen kommen sie jedesmal mit der Verschuldung und fangen an zu jammern. Sogar, wenn es nur um 500 Mark geht.“ Bei solchen Gelegenheiten holt Jann im Stadtrat regelmäßig und unverdrossen den Jäger 90 raus. Daß die anderen dabei die Augen verdrehen, stört ihn nicht im geringsten. „Das sind doch die Widersprüche“, sagt er. „Warum müssen wir hier die Sozialprojekte hin- und herschieben, wenn sie in Bonn das Geld verschleudern? Soll doch der Bürgermeister mit uns dagegen protestieren.“
Jann weiß, daß der Bürgermeister sich hüten wird. Die Fundamentalopposition macht ihnen keiner streitig in Wülfrath, das ist ihre Stärke. Vor ein paar Jahren gab es einen Stadtdirektor, „ein SPD-Linker war das, der kam zu unseren Fraktionssitzungen und hörte
zu. Der hat uns richtig ernstgenommen. Bald hatten wir das Gefühl, wir brauchten nur noch zu ihm hingehen, etwas beantragen, und schon läuft das. Wir waren richtig eingebunden“, sagt Jann. Das klingt wie: Der hat uns den Schneid abgekauft. Inzwischen ist das anders. Nachdem der neue Bürgermeister gewählt war, verkündete die DLW lauthals verschärfte Opposition und sieht seitdem wieder klare Fronten. Der Bürgermeister kommt im „Roten Reporter“ wahrlich nicht gut weg.
Ulrich Eilebrecht will das auf gar keinen Fall verbissen sehen. Obwohl er nach einer Attacke von Jann im Stadtrat schon meinte, ein Teil seines Gehalts müsse Schmerzensgeld sein. „Immerhin“, sagt Jann, „der hat ja Humor.“ Eilebrecht ist seit einem Dreivierteljahr Bürgermeister. Er stammt nicht aus Wülfrath, ist gerade erst zugezogen Und bewegt sich vorsichtig auf dem
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