Christmas gnadenlos

Experte beklagt Dauerbeschallung vor Weihnachten

  • Anika von Greve-Dierfeld, dpa
  • Lesedauer: 2 Min.
»O du fröhliche« - Weihnachtslieder dudeln in der Adventszeit überall. Mit dem Advent hat diese Musik aber nicht viel zu tun, meint Musikprofessor Thomas Seedorf aus Karlsruhe. Oft nicht mal mit Weihnachten.

Karlsruhe. Adventsmusik gerät nach Ansicht von Musikwissenschaftlern immer mehr ins Hintertreffen. »Wir werden schon Wochen vor Weihnachten mit Musik vollgedröhnt, die eigentlich gar nicht in die Adventszeit gehört«, sagte Thomas Seedorf von der Musikhochschule in Karlsruhe der dpa. Die Kommerzialisierung von Weihnachten verdränge die traditionelle Adventsmusik aus dem Bewusstsein. »Im kommerziellen Bereich ist Weihnachtsmusik ungeheuer präsent.« Die Vorverlegung des Weihnachtlichen in die Adventszeit finde in allen Bereichen statt: in Kaufhäusern, auf den Straßen, in Supermärkten - und in der Musik.

»Am ersten Montag vor dem ersten Advent schalten wir die Weihnachtsdekorationen an und es beginnt die musikalische Dauerbedröhnung«, sagte der Professor. Im Bereich der Populärmusik klafften zudem die eigentliche Bedeutung von Weihnachten und die in den Wochen davor gespielte Musik weit auseinander: Paradebeispiel sei der Welthit »Last Christmas« von George Michael. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit sei der Song überall zu hören. »Mit Weihnachten aber hat das Lied wirklich überhaupt nichts zu tun«, so Seedorf. »Es wird aber gnadenlos gespielt.« In »Last Christmas« geht es um eine gescheiterte Beziehung. Alles werde zu einer »großen musikalischen Weihnachtssuppe« verrührt, beklagt Seedorf. Dabei seien gerade die Wochen vor Weihnachten zu Bachs Zeiten eine Zeit der Stille und der Erwartung gewesen - mit ganz wenig Musik. »Und wenn, dann war es Adventsmusik.«

Erwartung und Warten werde in der Adventsmusik - also beispielsweise in kaum noch gesungenen Liedern wie »Es kommt ein Schiff geladen« oder »Maria durch ein Dornwald ging« - meist in der Moll-Tonart oder »gedeckteren Farben« ausgedrückt. »Damit wird in der Musik das Sich-Hinbewegen zum Heiligabend hörbar gemacht - etwas, das unserer Wahrnehmung inzwischen völlig fehlt.« Das Strahlende, die Freude angesichts der Geburt Jesu in der Dur-Tonart von »Stille Nacht, heilige Nacht« oder »In dulci jubilo« oder »Oh du fröhliche« habe im Advent eigentlich noch nichts zu suchen. »Musikalisch aber wird Advent und Weihnachten inzwischen gleichgesetzt - dabei ist das etwas völlig Verschiedenes.«

Aber warum spricht die Weihnachtsmusik so viele Menschen an? »Das Besondere an Musik ist, dass sie oft den Dingen, die eigentlich dahinter stecken, enthoben ist.« Musik habe einen Eigenwert, sie erzeuge Stimmung und berühre die Menschen. Pünktlich nach dem zweiten Weihnachtsfeiertag sei es dann aber schlagartig mit der Weihnachtsmusik vorbei. »Dann steht Silvester vor der Tür - und alles schaltet um auf den nächsten kommerziellen Anlass.«

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