Dieses Funkeln in den Augen

Für Sterne-Koch Stefan Hartmann ist gutes Essen ein sinnliches Erlebnis

Stefan Hartmann in seinem Kreuzberger Restaurant.
Stefan Hartmann in seinem Kreuzberger Restaurant.

Liebe geht durch den Magen. Das kann Stefan Hartmann aus ganz persönlicher Erfahrung bestätigen. Mittags, Stunden, bevor die ersten Gäste kommen, sitzt der inzwischen mit diversen Preisen ausgezeichnete Berliner Sterne-Koch bei einem Kaffee in seinem Restaurant und plaudert aus dem Nähkästchen. »Man sieht es den Gästen meist an, dass sie ein gutes Essen mit allen Sinnen genießen. Es ist dieses Funkeln in den Augen. Und es ist sehr schön für einen Koch, bei der Runde von Tisch zu Tisch die Begeisterung zu spüren. Ich glaube, dass man Menschen mit einem tollen Essen sehr, sehr glücklich machen kann.« Ob er schon einmal direkt im Restaurant einen Heiratsantrag bekommen hat? Hartmann lächelt vielsagend.

Kochen ist für den 36-jährigen Uelzener Leidenschaft. »Bei der Arbeit im Restaurant, aber auch, wenn ich zu Hause für Freunde koche, ist das für mich ein fast sinnliches Erlebnis. Es ist ein tolles Gefühl, frische Produkte anzufassen, sie zu verarbeiten, daraus etwas zu zaubern, was auch anderen Freude bereitet.« Dass Kochen »ganz nebenbei« auch harte Arbeit ist, verschweigt Hartmann nicht: »Es ist Schweiß, es ist - gerade, wenn alle 14 Tische im Restaurant besetzt sind - Stress, es kostet Nerven«, erzählt er, während das emsige Klappern und der Duft aus der Küche verraten, dass die Dessertvariationen für den Abend vorbereitet werden. Vier Köche sind im »Hartmanns« für die Gäste tätig, dazu ein Patissier und natürlich das Servicepersonal, einschließlich einer Sommelière.

In die Wiege gelegt wurde Hartmann die Haute cuisine aber nicht. »Schuld« an seiner Küchenkarriere ist sein Onkel, selbst Hotelier und Koch. Der hatte einen Hof mit Gaststätte und Pension, dort verlebte der Schüler Hartmann manche Ferien. Die Entscheidung für eine Ausbildung in der Gastronomie traf er noch vor seinem Abschluss. »Ich war damals im Ausland, auf der Highschool in Amerika, und von dort habe ich meine Bewerbung geschrieben. Ich wollte eigentlich etwas im Hotelmanagement machen. Mein Onkel sagte: Wenn du diese Richtung einschlagen willst, dann solltest du als Koch anfangen. Das war ein guter Rat, denn wer in der Küche zurechtkommt, hat schon mal eine gute Grundlage, um ein Haus, egal ob Hotel oder Restaurant, zu führen. Hängen geblieben bin ich dann allerdings in der Küche. Ich hatte schnell festgestellt, dass ich ein kleines Talent zum Kochen habe.«

Das »kleine Talent« ist untertrieben. Stefan Hartmann gehört heute zu den Großen der Branche. Nach seiner Ausbildung im Steigenberger Hotel in Kiel, Stationen im »Le Canard« in Hamburg, im »Patina« in Los Angeles und im südfranzösischen Vence (»Auslandserfahrungen machen dich offener und reifer, du lernst, viele Dinge im Leben auch aus anderer Perspektive zu sehen.«) stieg er als Souschef beim Berliner Spitzenkoch Kolja Kleeberg im »Vau« ein. Später führte er das »Jolesch« in Kreuzberg, 2007 folgte die Eröffnung des eigenen Restaurants »HARTMANNs« im selben Stadtbezirk, kurz darauf die Auszeichnung als »Aufsteiger des Jahres« und 2008 die Prämierung zum »Berliner Meisterkoch«. Den ersten Stern erkochte sich Hartmann zwei Jahre später - er hält ihn bis heute. Und den vielen neugierigen Hörern seines regelmäßigen Koch-Features auf dem Brandenburger Sender radioeins gibt Hartmann regelmäßig Rezeptvorschläge und Tipps für den richtigen Umgang mit Produkten, Küchengeräten & Co.

Dabei legt Hartmann keinen Wert auf Chichi, seine Küche ist ebenso bodenständig wie kreativ. Wer blasierte Oberkellner und steife Atmosphäre erwartet, wird in dem Souterrain-Restaurant mit prasselndem Kaminfeuer auf angenehme Art enttäuscht werden. Der Gast soll sich wohlfühlen und nicht vor lauter Etikette den Spaß am Essen verlieren. »Der Stern«, sagt Hartmann »ist ja nicht nur eine Auszeichnung für unsere Kochkunst, sondern auch Beleg dafür, dass das Gesamtkonzept aufgeht.«

Und was hat sich mit dem Stern geändert? »Man wird anders wahrgenommen. Klar, du hast ein gewisses Talent für das, was du machst, sonst hättest du diese Auszeichnung nicht bekommen. Aber du kochst, um zu kochen, und nicht, um einen Stern zu haben.« Reich wird man mit einem Stern übrigens nicht. Von den Sterne-Restaurants in Deutschland ist nur etwa ein Viertel inhabergeführt. »Jede Currywurst-Bude macht mehr Gewinn als wir mit unserem Essen«, meint Hartmann. »Wir haben einen unheimlichen Arbeitsaufwand, die besten und frischesten Produkte. Wenn du 2000 Bratwürste im Tiefkühler hast, kannst du die benötigten jederzeit heraus holen. Unsere Ware ist verderblich, einfrieren oder aufbewahren kannst du sie nicht. Das ist unser Risiko, das nicht immer sicher zu kalkulieren ist.«

Überhaupt die Logistik. Ohne ein eingespieltes Team und gute Organisation läuft nichts, erklärt Servicechefin Linda Stößer. »Wenn Gäste eine halbe Stunde später kommen und andere eine halbe Stunde früher, wenn gleichzeitig verschiedene Gerichte, Menüs und Weine bestellt werden, kommen wir und die Jungs in der Küche ins Schwitzen.« »Man ist ein bisschen wie ein Dirigent«, ergänzt Hartmann. »Und gerade wenn es stressig wird, passiert es auch einmal, dass das Orchester etwas wild spielt. Dann musst du eingreifen und alles wieder in Harmonie bringen.«

Dirigent am Herd will Hartmann auch bei der Familienfeier zu Weihnachten bleiben. »Nichts gegen meine Mama oder meinen Papa, aber ich koche ja auch zu Hause gern. Ich finde es aber wichtig, dass es schnell gemacht ist. Bei uns gehören Spaziergänge, Gespräche, Familienspiele zu den Feiertagen. Da kann man nicht stundenlang in der Küche stehen.« Also der Klassiker, Würstchen mit Kartoffelsalat? »Um Gottes willen! Dass Leute heutzutage noch so etwas machen, verstehe ich nicht. Würstchen mit Kartoffelsalat kannst du das ganze Jahr essen. Aber zu Weihnachten? Das ist, wie sich mit einer Tüte Chips aufs Sofa zu setzen. Nein, bei uns soll es zu den Feiertagen schon etwas Festliches geben.« Sagt's, und gibt endlich sein diesjähriges Festessen preis: Pute, gefüllt und in Folie zwölf Stunden bei 60 Grad im Ofen gegart. Schnell gemacht? »Da brauche ich doch nichts zu tun, das geht ganz von alleine.«

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Es ist besser ein Gericht Kraut mit Liebe, denn ein gemästeter Ochse mit Hass.
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