In Leipzig wird sächsisches Kunstgefilde umkreist

Der Körper als Chiffre

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 4 Min.
In Leipzig beleuchtet die Ausstellung "Sachsen. Werke aus der Sammlung Deutsche Bank" ausschnitthaft ein halbes Jahrhundert deutscher Gegenwartskunst. Im Museum der bildenden Künste werden bis zum 21. April hochkarätige Arbeiten bedeutender deutscher Kunstschöpfer ausgestellt.

Spinnwebhaft breitet Carlfriedrich Claus seine kalligraphischen Spuren über das Blatt aus. Wie Strandgut erscheinen seine Ast- und Steinformen. Korallenrot verführerisch leuchtet das Innere einer Tüte, die genauso gut eine Muschel sein könnte. Klaus Sobolewski, sein Kollege, ist 1986 kongenial mit ihm in einen künstlerischen Austausch getreten und hat subtile Radierungen geschaffen, in denen sich sein Mikrokosmos nach geheimen Gesetzen assortiert. Von Ferne erinnert eine seiner Formen an den etwas ungelenken italienischen Stiefel. »codes« haben die beiden Freunde ihren Dialog getauft. Und so ist nun auch eine der Sektionen in der Leipziger Ausstellung mit dem lakonischen Titel »Sachsen« überschrieben.

A. R. Pencks archaisch vereinfachte Zeichensysteme trifft hier auf Via Lewandowskys tagebuchartige Serie von Wachsmalkreide-Zeichnungen. Lewandowsky nutzt zwei Jahre vor dem Mauerfall den malträtierten Körper als biografische und politische Chiffre – als radikalen Gegensatz zu dem idealisierten Menschenbild des sozialistischen Realismus.

Zweiunddreißig Künstler aus der Sammlung Deutsche Bank werden im Museum der bildenden Künste in Leipzig mit 180 eindrucksvollen Arbeiten auf Papier präsentiert. Doch ist nicht ein Label wie »Sachsen« obsolet in Zeiten internationaler Kunstverflechtungen? Lassen sich Menschen und Werke heute überhaupt durch regionale Zuordnungen kategorisieren? So bilden einen Schwerpunkt dieser Ausstellung auch Werke von in Sachsen geborenen Künstlern, die ihre Laufbahn in den 1960er Jahren im Rheinland oder West-Berlin begannen wie Gerhard Richter, Imi Knoebel oder Georg Baselitz. Würden sich diese als »sächsische Künstler« bezeichnen, werden sie so gesehen?

Ausschnitthaft möchte die Ausstellung ein halbes Jahrhundert deutscher Gegenwartskunst beleuchten in einer der dafür wohl spannendsten Regionen Europas. Die ersten Kontakte zwischen der Kunstabteilung der Deutschen Bank und der Kunststadt Leipzig wurden bereits Ende der 1980er Jahre geknüpft. Die frühen Ankäufe konnten nur unter mühsamen Bedingungen mit den zögerlich vergebenen Genehmigungen des Staatlichen Kunsthandels stattfinden. Ab März 1990 begannen dann regelmäßige Galerie- und Atelierbesuche in Leipzig und Dresden. In dieser Dekade wurde der Großteil der in der Ausstellung gezeigten Werke angekauft – nicht nur in Sachsen, sondern auch in Frankfurt am Main, Berlin, Düsseldorf oder – wie im Fall von A. R. Penck – in New York. Viele der jungen sächsischen Künstler standen in den frühen 1990er Jahren noch ganz am Anfang ihrer Karriere oder befanden sich noch mitten in der Ausbildung, so Neo Rauch in Leipzig bei Arno Rink, Thomas Scheibitz in Dresden bei Ralf Kerbach.

Die Klammer »Sachsen« erweist sich beim Flanieren durch die Schau als Orientierung wie etwa ein Vergleich mit der aktuellen Ausstellung der Kunstsammlung des Bayer-Konzerns im Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt. Eher der jeweilige Geschmack der Vorstandsvorsitzenden lässt sich hier ablesen denn eine stringente Auswahl. Die Sammlung des Pharma-Herstellers wie auch diejenige der Deutschen Bank hängen in allen Hierarchiestufen der Mitarbeiter. Es wäre natürlich wunderbar, wenn sich künftig das Bankhaus gegenüber dem Museum der bildenden Künste ähnlich generös verhalten würde wie 2010. Damals erhielt das Frankfurter Städel rund 600 hochkarätige Arbeiten aus der Unternehmenssammlung, die seither im neuen Erweiterungsbau der Gartenhallen zu sehen sind. Zu diesen Meisterwerken gehören auch einige der Arbeiten von Hermann Glöckner, Blinky Palermo oder Eugen Schönebeck, die nun in Leipzig ausgestellt sind.

Das Pandämonium, mit dem Georg Baselitz und Eugen Schönebeck in den frühen 1960er Jahren auf die verdrängte Nazi-Vergangenheit und den Muff der Wirtschaftswunderjahre reagieren, findet nun in Leipzig seinen Niederschlag im Kapitel »Helden/Antihelden«. Mit seinem 1988 geschaffenen »Ausbruch« nimmt Wolfgang Mattheuer das vorweg, was im November des nachfolgenden Jahres Realität werden sollte: Aus drangvoller Enge schiebt sich eine stolpernde Menge hinaus in die Freiheit, die erst noch erobert werden will. Manche sind waghalsig, andere zaudern noch.

In der Abteilung »Affekte/ Geste/ Kontrolle« darf Hartwig Ebersbach nicht fehlen mit seinen schwelgerischen »Kaspars«, den Alter Egos. Dieser Entladung der körperlichen Spannung steht die prononciert unterkühlte Alltagswelt von Eberhard Havekost gegenüber: die Reduktion auf die bloße Fläche von gesichtslosen Balkonwänden. Kalkuliert erscheint die malerische Geste bei Thomas Scheibitz. Nach der Lektüre ihrer Stasi-Akten, die bei der Künstlerin vornehmlich Ekelgefühle auslöste, konterkariert Cornelia Schleime in »Auf weitere gute Zusammenarbeit« den trockenen Bürokratenton durch collagierte Fotos. Sie finden Eingang in die Rubrik »Nachbilder«, welche auf vorgefundenem Material basieren. Wie in einer Botanisiertrommel sammelt Olaf Nicolai mit seiner Polaroidkamera florale Tapetenfragmente und naiv wirkende Wandbemalungen. Die russische Avantgarde beeindruckte Hermann Glöckners eigenwilliges Werk mit Gitterstrukturen und plakativen Kippbildern.

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus: Im Mai lockt das Leipziger Museum mit einem Gipfeltreffen dreier sächsischer Großkünstler: Anlässlich Richard Wagners 200. Geburtstag trifft der Gesamtkünstler auf den bildenden Künstler Max Klinger und den Schriftsteller Karl May.

Sachsen – Werke aus der Sammlung Deutsche Bank, bis 21. April im Museum der bildenden Künste Leipzig

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