Erhalt oder Abbruch
Bremen/Marburg. Fast schamhaft hängt ein buntes Mosaik vor der großen Betonwand in der Bremer Kirche Ellener Brok. »Farben sind das Kleid Gottes«, verkündet der kleine Wandvorhang vor dem mächtigen Grau. Auch Altar, Taufbecken und Kanzel, ja, selbst die Sockel für die Kirchenbänke sind aus Beton gegossen. »Große Gesten, die heute erdrückend wirken«, sagt der Bremer Kirchenarchitekt Thilo Wichmann. Ellener Brok ist ein Beispiel für die Betonkirchen, die nach dem Krieg in Westdeutschland in den überall wachsenden Neubau-Gemeinden entstanden. Heute gehören sie zu den ungeliebten Architekturschätzen.
Unter dem Motto »Jenseits des Guten und Schönen« widmet sich der »Tag des offenen Denkmals« am 8. September Gebäuden, die unbequem sind oder als hässlich gelten - und deshalb oft sogar vom Abriss bedroht sind. »Von den Betonkirchen, die nach 1945 entstanden, stehen heute die wenigsten unter Denkmalschutz«, sagt Wichmann.
Dabei hat das Baumaterial in der Nachkriegszeit eine Revolution ausgelöst. »Ein formbares Gussmaterial, mit dem sich viele plastische Möglichkeiten eröffneten«, schwärmt der Hamburger Architekt und Hochschullehrer Friedhelm Grundmann, der viele Kirchen gebaut und lange die Zeitschrift »Kunst und Kirche« herausgegeben hat.
Nun konnte rund, oval oder eckig gebaut werden. Der Marburger Theologieprofessor Horst Schwebel erzählt fast euphorisch von den neuen Möglichkeiten, die der Beton für den Gottesdienst eröffnete. »Der Gedanke der Gemeinschaft des Gottesvolkes, das sich um den Altar herum schart, konnte jetzt baulich umgesetzt werden.«
Bis ins Detail rangen Architekten wie der Mannheimer Helmut Striffler um Form und Inhalt. Bestes Beispiel dafür ist die Versöhnungskirche, die Striffler auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau komplett aus Beton gebaut hat. Der Aufbau erinnert an einen Weg, der langsam in die Tiefe führt. Rechte Winkel sucht man hier vergebens. Schwebel erinnert sich: »Als Protest gegen die eckigen Lagerbaracken schuf er eine Kirche, die das genaue Gegenteil war.«
Typisch für viele Betonkirchen sind große leere Flächen. »Ein protestantisches Element«, urteilt Schwebel. »Die Architekten wollten Charakter zeigen, auch wenn er herb ist. Für sie musste es nicht überall flimmern und leuchten.« Doch die Konstruktionen aus Sichtbeton erinnern vor allem Ältere an Bunker. Jüngere empfinden sie oft als schwermütig. Dazu bilden sich bei Regen auf der Außenhaut hässliche Schlieren, der Abdruck der Holzverschalung wirkt grob. Nicht zuletzt darum werde heutzutage eher eine Betonkirche geopfert, wenn Sakralgebäude aus Kostengründen aufgegeben werden müssten oder wenn eine Sanierung anstehe, sagt Schwebel.
So wurde etwa die 1955 erbaute Heilandskirche im Frankfurter Stadtteil Bornheim 2005 abgerissen. Auch katholische Bauten etwa in Himmelstadt im Landkreis Main-Spessart oder im unterfränkischen Waigolshausen fielen dem Abrissbagger zum Opfer. In Hannover wurde erst kürzlich nach einem Gerichtsentscheid die evangelische Corvinuskirche aus dem Jahr 1962 zum Abriss freigegeben. Das Landesamt für Denkmalpflege hatte sich noch für den Erhalt eingesetzt. »Bei diesen Kirchen ist nichts Barock oder Rokoko«, interpretiert Schwebel die Distanz vieler Menschen zu den Betonkirchen. »Da ist nichts Einschmeichelndes. Dem Kuscheligen und Gefälligen begegnen Betonkirchen mit Elementarität«, sagt der langjährige Direktor des Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart in Marburg.
Auslöser des sakralen Beton-Booms war die 1955 eingeweihte französische Wallfahrtskirche Ronchamp des Architekten Le Corbusier bei Belfort, gestalterisch eine Mischung aus Muschel und aufgeblähtem Segel. »Das war nur in Beton zu realisieren«, sagt Schwebel. In der Folge entstanden Entwürfe wie der gewaltige Wallfahrtsdom im nordrhein-westfälischen Velbert-Neviges, in dem sich 6000 Gläubige wie in einem Zelt versammeln können.
»Brutalismus« heißt der Architekturstil, der in Velbert in Reinkultur umgesetzt wurde. Das sei weit weg von der Kirchentagsfrömmigkeit der Gegenwart, räumt Kirchbauexperte Schwebel ein. »Lieder, Danke, überall geht die Sonne auf, da wird getanzt in der Kirche - das passt nicht zu dem harten Beton.«
Schwebel aber bricht auch als Prediger eine Lanze für die ungeliebten Kirchen. »Wenn in diesen Räumen verkündigt wird«, sagt der Theologieprofessor, »dann kann man da schlecht lügen, das Schwafeln fällt schwerer, die Umgebung betont Ernst und Wahrheitsanspruch.« Ihm liegt am Herzen, dass sich nachfolgende Generationen daran erinnern, wenn es um die Frage geht, welche Gotteshäuser erhalten werden sollen. Schwebel ist überzeugt: »Betonkirchen sind mit Werten verbunden.«
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