Der Sadist und Mörder aus »Schindlers Liste«

Durch einen Zufall erfuhr Jennifer Teege, wer ihr Großvater war

  • Daniela Fuchs
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war ein gewaltiger Schock für die 38-jährige Ehefrau und zweifache Mutter Jennifer Teege, als sie durch Zufall in einer Bibliothek auf ein Buch stieß, das ein düsteres Geheimnis ihrer Familie enthielt. Ausgerechnet sie, eine Deutsche mit einem afrikanischen Vater, die adoptiert worden war und in Israel studiert hatte, sollte die Enkelin eines fanatischen, skrupellosen SS-Offiziers und Massenmörders sein? Sie kannte Amon Göth bislang nur aus Spielbergs Film »Schindlers Liste«, dargestellt von Ralph Fiennes.

Dass es zwischen dem sadistischen KZ-Kommandanten des Lagers Plaszow, der morgens gern wahllos vom Balkon seiner Villa auf Häftlinge schoss oder speziell abgerichtete Hunde auf sie hetzte, und ihr eine verwandtschaftliche Verbindung geben könnte, ahnte sie nicht. Als sie Gewissheit darüber erlangte, war für sie nichts mehr wie es einmal war. Ihr Buch enthüllt Lügen und verdrängte Wahrheiten, erzählt von Scham- und Schuldgefühlen, auch wenn Schuld nicht vererbbar ist. Da ist Jennifers geliebte Großmutter Ruth Irene Kalder, die ihren ehemaligen Lebensgefährten Amon Göth bis zu ihrem Freitod 1983 wie einen Heiligen verehrte und jegliche Verantwortung ablehnte. Jennifer Teege erinnert sich an ihre Geschichten über einen gut aussehenden und charmanten Mann aus Wien. Gemeinsam mit der Großmutter betrachtete sie Fotos und erfuhr, dass der Großvater »wie viele andere auch« im Krieg sein Leben lassen musste. Doch das stimmte so nicht, wie Jennifer jetzt weiß.

Erste »Lorbeeren« in seiner Mörderlaufbahn hatte sich Göth bereits in verschiedenen Lagern im deutsch besetzten Polen erworben, bevor er nach Plaszow in der Nähe von Krakau kam. Überlebende des dortigen Ghettos wurden im März 1943 in das Arbeitslager gebracht, das später als KZ mit zeitweilig über 20 000 Häftlingen diente. »Gott« nannte sich Göth in seiner Antrittsrede als Lagerkommandant, tatsächlich erhob er sich zum Herrscher über Leben und Tod. Gnadenlos lebte er seine perversen Fantasien aus, quälte Juden und bereicherte sich an deren Eigentum. Nach dem Krieg von den US-Alliierten nach Polen ausgeliefert, wurde er am 13. September 1946 in Krakau gehenkt.

Jennifer Teege hätte noch gern ihre Großmutter zu deren Lebenslüge befragt. Aus Sicht der Enkelin war diese zwar keine Täterin, wohl aber duldsame Mitwisserin und Profiteurin, denn sie wusste, was ihr Lebensgefährte tat und hatte tatkräftig dessen SS-Karriere unterstützt. Bedrückend sind die Schilderungen der Autorin über ihre leibliche Mutter Monika, der Tochter von Göth und Irene Kalder. Die 1946 Geborene hatte keine persönlichen Erinnerungen an ihren Vater, litt jedoch unter Taten. Es gelang ihr nicht, das Trauma zu bewältigen, der Mördervater hatte derart von ihr Besitz ergriffen, dass sie immer wieder psychisch krank wurde. Sie war nicht in der Lage, ihr Kind aufzuziehen und gab daher ihre Tochter im Alter von vier Wochen in ein Heim und später zur Adoption frei. Später entstand aus langen Interviews mit dem Filmemacher Matthias Kessler das Buch »Ich muß doch meinen Vater lieben, oder?« Es war jenes Buch, das Jennifer Teege zufällig entdeckte.

Mit ihren eigenen Recherchen, die sie auch nach Krakau und Plaszow führte, verteidigt die Enkelin Amon Göths vehement ihr Recht auf ein eigenes, normales Leben. Sie hat mühsam gelernt, offen mit ihrer Familiengeschichte umzugehen, ohne falsche Rechtfertigungen, aber im Bewusstsein einer besonderen Verantwortung. Die ist sie sich, ihren Kindern und ihren Freunden in Israel schuldig. Jennifer Teege lebt mit ihrer Familie in Hamburg und ist in der Werbebranche tätig.

Jennifer Teege: AMON - Mein Großvater hätte mich erschossen. Unter Mitarbeit von Nikola Sellmair. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013. 256 S., geb., 19,95 €.

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